Eine kleine Gärtnerin im Mitmachgarten bei der Schillerhöhe Marbach Foto: Michael Raubold Photographie

Endlich gibt’s auch hier Städter, die Hühner halten und gemeinsam gärtnern!

Marbach - Urbanes Gärtnern zum Mitmachen und die Hühnerhaltung auf mitunter ziemlich kleinen Privatgrundstücken sind bundes- und in den Industrieländern sogar weltweite Trends. Zwischen Hochhausschluchten in New York gedeihen schon lange gemeinschaftlich gepflegte Pflänzchen. Im ebenfalls von Wolkenkratzern geprägten Stadtstaat Singapur sollen sich Freiwillige mittlerweile in 1000 staatlich geförderten Gemeinschaftsgärten treffen.

Frank Wewoda

Dass auch im deutlich weniger zubetonierten Marbach öffentliche Stellen ihre Bürger beim Gärtnern (weniger bei der Hühnerhaltung) unterstützen, ist dagegen etwas ganz Neues. Die Aktiven des hiesigen Mitmachgartens dürfen seit Mai an der Schillerhöhe eine städtische Fläche am Collegienhaus des Literaturarchivs beackern. Dort treffen sie sich unter Apfelbäumen zum gemeinschaftlichen Hacken und Säen.

Unsere Groß- oder Urgroßeltern wären für den neuen Freizeitspaß eher weniger zu begeistern, denke ich da, weil sie oft aus purer Not in Kriegs- und Nachkriegsjahren selbst Landwirtschaft betrieben oder Hühner und Hasen in Innenhöfen hielten wie meine Familie in Kornwestheim. Alle tier- und naturbegeisterten Menschen, mit denen ich in Marbach gesprochen habe, während im Hintergrund Hühner flatterten oder „Totholzhecken“ in die Höhe wuchsen, waren Berufstätige. Viele von ihnen sitzen tagaus, tagein ganz oder zumindest mehrere Stunden lang vor dem Computer. Dass sie sich in der Freizeit naturnah beschäftigen, erzählt wohl auch von der Sehnsucht nach einem schlichten, handfesten Leben, fernab von Bildschirmen oder vibrierenden Smartwatches am Handgelenk, mit denen manche ja sogar ins Bett gehen sollen.

Als ich diese Woche den Aktiven des Marbacher Mitmachgartens begegnet bin, hat mich zuerst deren entschlossenes Zupacken trotz widriger Umstände – es regnete in Strömen – beeindruckt. Noch mehr ins Staunen brachte mich aber, wie ernsthaft die Mitglieder ihre Aufgabe verstehen. Sie wollen etwas unternehmen für die Artenvielfalt und gegen das Insektensterben, Bienen in Obsthecken etwas zu naschen geben oder Vögeln, Eidechsen und Käfern zu Brutplätzen in ihrer Totholzhecke verhelfen. Das verdient jede Unterstütung und helfende Hand!

Uneigennützige Motive verfolgen sie allesamt, weil alle hier pflanzen und ernten dürfen, wonach ihnen gerade der Sinn steht, niemand einen Anspruch auf irgendeinen Teil des Gartens erhebt, den er vielleicht mit angelegt hat. Als durchaus heilsam empfinde ich dieses Gemeinschaftsprinzip in Zeiten, in denen Egoismus und Ellenbogenmentalität oft eher als kluge Durchsetzungsfähigkeit gelten.