Wir stellen neun Werke vor, darunter einen TedTalk von Chimamanda Ngozi Adichie (IMAGO/Luka Dakskobler) und den Film „Moonlight“ (DCM/David Bornfriend). Collage: Monique Bächtold

Der Black History Month neigt sich dem Ende zu. Dennoch lohnt es sich auch über den Februar hinaus, sich mit dem Thema und den Akteuren auseinanderzusetzen. Wir stellen Werke von Schwarzen, Indigenen und Personen of Colour vor.

Jedes Jahr im Februar wird der Black History Month gefeiert. In diesem Monat geht es darum, Personen of Colour, ihre Geschichte und ihre Kultur besonders zu würdigen. Anfangs wurde der Black History Month vor allem in den Vereinigten Staaten und in Kanada gefeiert, in Deutschland gibt es ihn seit den 1990er-Jahren.

Der Begriff Black Indigenous People of Colour umfasst dabei Schwarze, Indigene sowie People of Color. People of Colour umfasst Personen, die Rassismus ausgesetzt sind oder von der weißen Mehrheitsgesellschaft als anders definiert werden.

Empfehlung 1: „Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt“ von Maya Angelou

Maya Angelou gilt als Ikone der afroamerikanischen Literatur. 2014 verstarb die Bürgerrechtlerin, die eine enge Vertraute von Martin Luther King und Malcom X gewesen war. Durch ihre autobiografischen Werke wird sie vielen jedoch in Erinnerung bleiben. Der erste Teil ihrer Biografie „Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt“ erschien in den USA bereits 1969, in Deutschland erst 1980. Darin beschreibt sie die Erlebnisse ihrer Kindheit im amerikanischen Süden bis zu ihrem 17. Lebensjahr, die von Diskriminierung und Gewalt geprägt war.

Die Originalausgabe erschien 1969 bei Random House, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 1980 beim Verlag Stroemfeld/Roter Stern Foto: Suhrkamp Verlag

Seit der gescheiterten Ehe ihrer Weltern wächst Maya in den Dreißigerjahren mit ihrem Bruder Bailey bei der Großmutter in Arkansas am Rande einer Baumwollplantage auf. Das Leben ist geprägt von der strikten Rassentrennung und rassistischen Anfeindungen. Immer wieder wird ihr vor Augen geführt, dass die Weißen stets privilegierter sein werden. Das stärkt zwar ihre Neigung zum Aufbegehren, was ihr dabei hilft, die erste schwarze Straßenbahnfahrerin San Franciscos zu werden. Die kindliche Hilflosigkeit schwindet aber auch nie – besonders, als sie nach einem traumatischen Missbrauch verstummt. Ihre Erfahrungen schildert Maya aus einer Verschmelzung der erwachsenen Perspektive – nebst der Frage, wie sie in bestimmten Situationen hätte anders handeln können – und der Erzählung des Kindes. Laureta Nrecaj

Empfehlung 2: „When they see us“ – eine Miniserie auf Netflix von Regisseurin Ava DuVernay

„Sie haben uns gezwungen zu lügen“, stellt Yusef Salaam, gespielt von Ethan Herisse, fest. „Warum sind die so zu uns?“ fragt Kevin Richardson (Asante Blackk). „Waren sie je anders zu uns?“ antwortet Raymond Santana (Marquis Rodriguez) resigniert. Ein Gespräch in einer Jugendarrest-Zelle, das zugleich den Inhalt der Serie wiedergibt und die Frage, die sich wohl jeder Zuschauerin, jedem Zuschauer aufdrängt: Wie konnte das passieren? „When they see us“ ist eine amerikanische Netflix-Serie aus dem Jahr 2019, die auf einem der größten Justizskandale der jüngeren US-Geschichte beruht. Fünf unschuldige latein- und afroamerikanischen Jugendlichen zwischen 14 und 16 Jahren wurden dafür verurteilt, 1989 eine Joggerin im Central Park vergewaltigt und fast zu Tode geprügelt zu haben.

Vier der fünf Jugendlichen, hier im Bild Caleel Harris als Anton McCray, unterschrieben nach stundenlangem Verhör, in dem sie ohne ihre Eltern zu Aussagen gedrängt wurden, Geständnisse. Diese zogen sie später zurück. Foto: www.imago-images.de/Atsushi Nishijima/Netflix via www.imago-images.de

Die Regisseurin Ava DuVernay schafft es, in vier Folgen das Versagen der Polizei, der Justiz und der Medien offenzulegen, das auf strukturellem Rassismus beruht. Sie begleitet die Charaktere 25 Jahre lang und zeigt damit nicht nur in fast unerträglicher Weise, wie sich das Leben der Jugendlichen über Nacht ändert, sondern auch, wie schwer die Wiedereingliederung nach einer Haftstrafe ist.

Eine Serie, die voraussichtlich nie an Bedeutung verlieren wird. Doch gerade jetzt – in Zeiten, in denen Donald Trump erneut Präsident werden könnte – ist sie wieder besonders relevant. Denn auch er taucht in der Miniserie auf: Als Immobilienmogul investierte Trump mehrere tausend Euro, um in einer ganzseitigen Anzeige die Todesstrafe für die Jugendlichen zu fordern. Anna-Sophie Kächele

Empfehlung 3: „Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche“ von Reni Eddo-Lodge – eine Art Vorbereitung für notwendige Gespräche

„Ich spreche nicht länger mit Weißen über das Thema Hautfarbe“ schrieb Reni Eddo-Lodge 2014 in ihren Blog, aus dem wenig später ein Buch wurde. Das betreffe nicht alle, schob sie sogleich hinterher. Nur mit denjenigen, die strukturellen Rassismus und seine Symptome negieren, könne sie nicht mehr über Rassismus diskutieren. Denn wo solle man anfangen, wenn offenbar nie der Ursprung verstanden wurde? Reni Eddo-Lodge ist Bloggerin, Autorin und arbeitet als Journalistin unter anderem für den „Guardian“ und die „New York Times.“ In ihrem Buch zeigt sie unmissverständlich auf, wie sehr in der Gesellschaft die Ungleichbehandlung von Weißen und nicht-Weißen verankert ist.

„Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche“ von Reni Eddo-Lodge ist 2019 im Tropen Verlag erschienen. Foto: Tropenverlag/Klett-Cotta Verlag

Was sich dennoch lesen lässt, als würde sich Eddo-Lodge damit aus dem Dialog verabschieden, ist in Wahrheit genau das Gegenteil. Es ist die Vorbereitung darauf, miteinander ins Gespräch zu kommen: Um Weißen die Leerstelle begreiflich zu machen, dass sie als weiße Person nicht diskriminiert würden, und wie es ist, von der Norm abzuweichen. Reni Eddo-Lodges Buch von 2018 könnte heute aktueller nicht sein, schreibt sie doch auch davon, dass es nicht nur die Extremisten sind, die in Bezug auf Rassismus das Problem sind. Es sind auch die, die strukturellen Rassismus nicht sehen oder nicht sehen wollen. Chiara Sterk

Empfehlung 4: „Moonlight“ – Filmdrama über das Erwachsenwerden eines schwulen Afroamerikaners

Im Film “Moonlight” porträtiert der Regisseur und Drehbuchautor Barry Jenkins das Erwachsenwerden eines Jungen, dessen Lebensumstände kaum geringer privilegiert sein könnten. Er heißt Chiron, ist Afroamerikaner und lebt in einem Getto in einem Vorort von Miami. Drogenkonsum und Kriminalität bestimmen sein Umfeld. Der Junge ist schlaksig und schweigsam, seine Mutter drogenabhängig. Und Chiron ist schwul.

Rassensegregation, Identitätsfindung, Schwulsein in einer überbetont maskulinen Welt – der Film greift gleich mehrere soziale Themen auf, ohne jedoch selbst eine Wertung abzugeben. Die Geschichte Chirons, an dessen Stelle jeder andere schwarze, schwule Junge stehen könnte, spricht für sich. Die Geschichte basiert auf dem Theaterstück „In Moonlight Black Boys Look Blue“, das der Afro-Amerikanische Schauspieler Tarell Alvin McCraney in Anlehnung an seine eigene Kindheit geschrieben hat. „Moonlight“ ist der erste Film eines schwarzen Regisseurs, der 2017 mit einer reinen BIPoC-Besetzung einen Oscar gewonnen hat. Isabell Erb

Empfehlung 5: „Mädchen, Frau, etc.“ von Bernardine Evaristo

Wenn „Mädchen, Frau etc“ eines nicht tut, dann ist das, sich an Konventionen zu halten. Der 2021 erschienene Roman der britischen Autorin Bernardine Evaristo umspannt das Leben zwölf schwarzer Frauen und nicht-binärer Personen, die alle mit unterschiedlichen Problemen kämpfen und doch eines vereint: Die Frage, was es bedeutet, in unserer Welt einer Minderheit anzugehören.

„Mädchen, Frau etc“ von Bernardine Evaristo ist 2021 im Tropenverlag erschienen. Foto: Tropenverlag/Klett-Cotta Verlag

Die Geschichten der Protagonisten überlappen sich im Laufe des Romans und zeichnen so ein komplexes Bild des modernen Lebens in Großbritannien. Fragen nach der eigenen Herkunft, gesellschaftlichen Stellung, Sexualität und Weiblichkeit werden aufgeworfen, ohne einfache Antworten zu bieten. Und das alles in einer Sprache, die zwischen Prosa und Poesie schwankt. Am Anfang wirkt sie noch ungewohnt wegen der bewusst weggelassenen Satzzeichen an den Satzenden; nach wenigen Seiten schon liest sich das aber komplett natürlich. Ein Roman, der lange nachwirkt und wegen seiner stilistischen Besonderheiten und sprachlichen Brillanz unbedingt im englischen Original gelesen werden sollte. Luisa Rombach

Empfehlung 6: „Vitamin X“ von Salim Samatou und Marvin Endres

Die beiden Macher Salim Samatou und Marvin Endres bezeichnen ihren Podcast „Vitamin X“ als den „politisch inkorrektesten Comedy Podcast Deutschlands“. Mit ihren Inhalten über „Satire-Nachrichten, gefährliches Halbwissen und Meta-Sarkasmus“ bewegen die beiden sich nach eigener Aussage irgendwo zwischen Comedy und Wahnsinn „und definitiv am Rande der Legalität“. In ihren Folgen laden sie verschiedenste Gäste ein und sinnieren – immer mit einem gewissen Augenzwinkern – über Themen von Sport über Filmkritiken bis hin zu Politik.

„Vitamin X“ ist auf Podcast-Plattformen wie Spotify und Apple Podcasts zu hören – und zu sehen auf Youtube. Foto: Vitamin X

Im Februar war etwa der Fußballer Stanley Ratifo zu Gast, der als Nationalspieler für Mosambik spielt und von seiner Erfahrung beim Africa Cup erzählt, inklusive Details über das Treffen mit dem Präsidenten Mosambiks und dem Geschenk, das dieser den Spielern für ihren Einsatz beim Turnier machte. Ernster ging es im Podcast Ende Januar zu, als sie einen Politikwissenschaftler zu den Correctiv-Recherchen und den Demonstrationen für Demokratie befragten. In dem Themenmix ist für jeden etwas dabei. Reinhören kann man auf Spotify, Apple Podcasts und anderen Plattformen, auf denen es Podcasts gibt. Und wer die Jungs sehen will, kann sich die Podcasts auch als Video auf Youtube anschauen. Neue Folgen gibt es jeden Sonntag. Julika Wolf

Empfehlung 7: „Ein verheißenes Land“ von Barack Obama

Barack Obama ist einer der bedeutendsten BIPoC-Personen der Geschichte. Der Sohn eines Kenianers und einer Amerikanerin wurde im November 2008 als erster Schwarzer zum Präsidenten der USA gewählt. In dem Memoirenwerk „A promised land“ (Ein verheißenes Land), das im November 2020 veröffentlicht wurde, beschreibt Obama auf über 700 Seiten seinen unwahrscheinlichen Aufstieg zum US-Präsidenten und seine erste Amtszeit als Staatsoberhaupt der USA – von seiner Amtseinführung bis hin zur Tötung des Terroristenanführers Osama bin Laden.

Das Buch „A promised land“ von Barack Obama verkaufte sich in den ersten zwei Monaten nach Veröffentlichung fast 2,6 Millionen Mal. Foto: GETTY IMAGES NORTH AMERICA/Michael M. Santiago

Dabei bietet Obama den Lesern tiefe Einblicke, indem er seine Gedanken und Gefühle offenlegt wie wohl kein US-Präsident zuvor. Das Buch zeigt eindrucksvoll, wie sich Obama trotz vieler Widrigkeiten nie unterkriegen ließ und bis zum Ende für ein vereintes Amerika kämpfte – ein Amerika, in dem die Menschen die gleichen Werte haben und Verständnis füreinander aufbringen. Obama inspiriert den Leser, für seine Überzeugungen einzustehen und selbst politisch aktiv zu werden – nicht nur für sich, sondern auch für seine Mitmenschen. Philip Kearney

Empfehlung 8: „Die Gefahr einer einzigen Geschichte“ – ein TedTalk von Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie

In ihrem TedTalk „Die Gefahr einer einzigen Geschichte“ spricht die nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie darüber, dass es in der westlichen Literatur nur eine Erzählung von Afrika gebe, und wie gerade dies dazu führe, dass Klischees entstehen. „Und das Problem mit Klischees ist nicht, dass sie unwahr sind, sondern dass sie unvollständig sind. Sie machen eine Geschichte zur einzigen Geschichte.“ Adichie schafft es, in nur 30 Minuten im Zuschauer und Zuhörer wachzurütteln. Schon die junge Chimamanda erlebt, dass sie sich nicht in Büchern aus dem Westen wiederfindet, dass sie denkt, andere Geschichten müssten zwingend aus dem Ausland kommen. So geht es später gerade weiter: Als sie in den USA studiert, will ihre Mitbewohnerin Adichies „Stammesmusik“ hören – und ist überrascht, als die damals 19-Jährige die US-Legende Mariah Carey aufdreht.

Chimamanda Ngozi Adichie Foto: www.imago-images.de/IMAGO/Luka Dakskobler

Das Ganze wird schließlich besonders authentisch, weil Adichie zugibt, auch bei sich selbst dieses Muster festzustellen. Sie erzählt, dass sie als Kind überrascht war, als die Familie der armen Angestellten ihrer Eltern einen schönen Korb herstellen konnten. Wusste sie doch über die Angestellten bis dahin nur, dass sie arm waren. Oder wie sie in Mexiko verblüfft war, wie die Menschen dort zur Arbeit gingen, miteinander lachten, rauchten – obwohl sie in ihrem Kopf bis dahin nichts weiter als „bedauernswerte Immigranten“ waren. Chiara Sterk

Empfehlung 9: „Freundin bleibst du immer“ von Tomi Obaro

In ihrem Debütroman „Freundin bleibst du immer“ erzählt BuzzFeed News-Redakteurin Tomi Obaro die Geschichte von drei jungen Frauen, die sich an der Universität in Zaria, im Norden Nigerias, kennenlernen und zu besten Freundinnen werden. Als sie sich nach dreißig Jahren bei einer Hochzeit wiedersehen, könnten ihre Leben verschiedener nicht sein: Funmi lebt mit einem zwielichtigen Geschäftsmann ein Luxusleben in Lagos. Zainab pflegt ihren Mann nach einem Schlaganfall. Und Enitan stürzt sich nach der Universität Hals über Kopf in eine Ehe mit einem Amerikaner, die ihr erst Sicherheit gibt, dann aber doch nicht so sicher ist.

„Freundin bleibst du immer“ von Tomi Obaro ist 2022 im Verlag hanserblau erschienen. Foto: hanserblau

Das Buch erzählt die Geschichten der Frauen aus verschiedenen Blickwinkeln, wechselt zwischen Perspektiven, Orten, Zeiten hin und her. Bei der Hochzeit sinnieren sie über ihr Leben und ziehen eine Bilanz ihrer Erfahrungen und Herausforderungen, der tragischen Momente und lebensverändernden Schicksalsschläge. Eben vom Leben. Das ist so, wie es überall sein könnte – nur spielt es hier in verschiedenen Städten Nigerias. Ein Handlungsort, der in der deutschsprachigen Literatur nicht allzu häufig vorkommt. Und seinen Platz dort doch unbedingt verdient hat. Julika Wolf