Wulf Gatter hat die Fernrohre ausgerichtet. Für ihn und seine Mitarbeiter beginnt die 47. Zugvogel-Beobachtungssaison. Foto: Horst Rudel

Wulf Gatter beobachtet nicht nur seit vier Jahrzehnten den Vogelzug am Randecker Maar, sondern seit 20 Jahren auch die Wanderungen von Insekten. Weil die immer weniger werden, lohnt deren Zählung nicht mehr.

Bissingen - Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat einen dramatischen Rückgang der Fluginsekten festgestellt – und beruft sich dabei auf seine Windschutzscheibe. Früher sei die nach langen Autofahrten voll von Insekten gewesen, sagt er. Heute, so ist ihm aufgefallen, klebe da kaum noch etwas dran. „Voll“ und „kaum“ sind zwar keine wissenschaftlichen Kriterien, doch der gelernte Biologe Kretschmann liegt mit seiner Einschätzung nicht daneben. „Der Rückgang an Insekten ist in der Tat dramatisch“, sagt der Kirchheimer Vogelkundler und Insektenforscher Wulf Gatter.

 

Gatter muss es wissen. Seit dem Jahr 1966 erfasst der ehemalige Leiter des ökologischen Lehrrevieres der Landesforstverwaltung Baden-Württemberg den jährlichen Vogelzug über dem Randecker Maar. Mehr noch: Rund zwei Jahrzehnte lang hat der mittlerweile 73 Jahre alte Ornithologe mit seinem Helferteam auch die Insektenwanderungen erfasst – als Pionier auf diesem Gebiet.

Seit 20 Jahren kein Trauermantel mehr

„Früher haben wir in unseren Reusen an guten Tagen pro Stunde bis zu 1500 Schwebfliegen gefangen. Jetzt sind es, wenn es hochkommt, gerade noch ein paar Dutzend“, sagt Gatter. Auch Schmetterlinge seien rar geworden. Tausende von Weißlingen seien früher an einem Tag über den markanten Bergeinschnitt nahe des Bissinger Teilorts Ochsenwang gen Süden gezogen, jetzt könnte man sie an einer Hand abzählen. „Einen Schmetterling wie den Trauermantel haben wir hier seit 20 Jahren nicht mehr gesehen“, sagt Gatter.

Die Forscher am Randecker Maar haben ihre Konsequenzen aus dem Rückgang schon gezogen. Weil sich die zeitaufwendige Betreuung der Reuse – mit der Zählung und Kategorisierung der Insekten war ein Mitarbeiter den ganzen Tag lang ausgelastet – nicht mehr lohnt, baut Gatter die Anlage gleich gar nicht mehr auf.

Er benötigt in der jetzt beginnenden Beobachtungssaison ohnehin jedes Augenpaar an den Ferngläsern. „Die Konkurrenz macht uns Probleme“, sagt er und meint dabei nicht die anderen, meist ebenfalls auf der Basis einer geringen Aufwandsentschädigung arbeitenden Beobachtungsstationen. Vielmehr seien es die Windkraftbetreiber, die laut Gatter die fähigen, häufig von ihm selbst ausgebildeten Ornithologen abwerben würden. „Wer eine millionenschwere Anlage bauen will, muss der Standortwahl in der Regel ein ornithologischen Gutachten beilegen. Dafür gibt es für den damit beauftragten Ornithologen dann mehr Geld als bei uns“, sagt Gatter.

Tag der offenen Tür am 9. Oktober

Trotz dieser Schwierigkeiten steht das Team, mit dem der Stationsleiter in das 47. Beobachtungsjahr geht. „Für die bis zum 6. November dauernde Saison brauchen wir rund 20 Leute“, sagt Gatter. Pro Schicht würden zwei erfahrene Ornithologen den Himmel beobachten und ein oder zwei Protokollführer die Sichtungen zu Papier bringen. Über die Jahrzehnte ist so eine Datengrundlage zusammengekommen, die europaweit einmalig ist.

„Wir haben am Randecker Maar bisher 20 Millionen Zugvögel erfasst, dazu mehr als 100 000 Schmetterlinge“, sagt Wulf Gatter, der um seiner Verdienste willen inzwischen mit zwei Ehrendoktortiteln ausgezeichnet worden ist.