Will einen Umbau des Bildungssystems: Richard David Precht. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Rüstet unser Bildungssystem junge Menschen für die Herausforderungen der Zukunft? Richard David Precht sagt Nein – und fordert beim Stuttgarter Kongress „Invest in Future“ eine grundlegende Bildungsrevolution.

Stuttgart - In 20 Jahren, sagt der Philosoph Richard David Precht, werden wir in einer völlig anderen Gesellschaft leben. Einer, in der selbstfahrende Autos die konventionellen verdrängt haben. Einer, die durch die digitale Revolution und durch Immigration nicht mehr viel mit der Welt zu tun hat, die wir heute kennen. „Die Herausforderungen der Zukunft können wir nur bestehen, indem wir unser Bildungssystem fundamental umbauen“, fordert Precht zur Eröffnung des Stuttgarter Bildungskongresses „Invest in Future“. Von Bildungsrevolution spricht er dabei – denn das aktuelle Bildungssystem vermittle nicht die Kompetenzen, die Heranwachsende in Zukunft bräuchten.

„Momentan gilt für alle Schüler einer Altersstufe, dass sie den gleichen Stoff lernen müssen, nach der gleichen Notenskala bewertet werden und in jedem Bereich gleich stark gefördert werden“, sagt Precht. „Das ist Unfug.“ Statt einheitlicher Klassenverbände will er Projektgruppen nach individuellen Interessen und Neigungen – ab der sechsten Klasse. Statt naturwissenschaftlich-technischer Förderung für alle fordert er diese nur für diejenigen, die auch eine Affinität dazu haben. Lehrer sollten eher Berater sein, die den jungen Menschen Selbstorganisation beibringen, Wertschätzung bieten und Moral vermitteln. Und zur Stärkung der Gemeinschaft schlägt er eine Unterteilung der Schulen in Lernhäuser vor – also in Gruppen, die sich spielerisch messen. So wie später in der Arbeitswelt, sagt Precht.

Mit seinem Appell für einen Umbau des Bildungssystems eröffnete der Philosoph und Autor am Montag den Bildungskongress im Stuttgarter Haus der Wirtschaft. Bis Dienstagabend diskutieren dort Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft und Pädagogik Themen aus den Bereichen Kinderbetreuung und Bildung sowie Fragen zur Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Pflege.

Hauptsache-ich-Mentalität

Kita und Schule müssen vor allem eine Lehrstätte für soziales Handeln sein“, sagt Kongress-Initiatorin Waltraud Weegmann, Geschäftsführerin von Konzept-e. Die Stuttgarter Firma ist Träger von Kinderhäusern und Beratungseinrichtung zugleich. In Klassenverbänden, wie sie momentan bestünden, würden Leistungsdenken und das Arbeiten gegeneinander gefördert, kritisiert Weegmann. Dies gehe einher mit einer zunehmenden „Hauptsache ich“- oder „Hauptsache mein Kind“-Mentalität, so die Expertin. „Wir brauchen mehr Gemeinschaftssinn, und der kann durch projektbezogene Arbeit in Gruppen erlernt werden.“

Vieles von dem, was Precht fordere, werde praktisch bereits umgesetzt, sagt Annette Kreiter, stellvertretende Leiterin des Kindertagheims Charlottenkrippe in Ludwigsburg. „Da schaut man von klein an hin, wo die Begabungen liegen und wie diese gefördert werden können“, so Kreiter. Zum Beispiel im Hinblick auf eine individuelle Förderung im naturwissenschaftlich-technischen Bereich. Eine Herausforderung für die frühkindliche Erziehung sieht Kreiter im digitalen Wandel. Und erhofft sich hier Impulse von einem Kongress-Workshop zum Thema Medienpädagogik.

Ob Digitalisierung oder eine zunehmende Unübersichtlichkeit an Möglichkeiten: „Erst, wenn die Persönlichkeitsentfaltung das oberste Ziel von Bildung wird, können wir Potenziale richtig fördern“, sagt Precht.