Wer darf in der Schule mitreden? Foto: dpa/Bernd Weißbrod

Schule ist ein wichtiger Ort, um Demokratie zu lernen. Aber wie? Eine Kommission der Hertie-Stiftung legt Vorschläge vor – und fordert ein Demokratie-Pisa.

Ein Euro pro Schülerin oder Schüler kann viel verändern. In Portugal habe man diese Summe den Schulen gegeben, berichtet OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher. Der Clou sei gewesen, dass die Schüler demokratisch selbst entscheiden durften, wie das Geld genutzt werden soll. „Dazu mussten sie sich untereinander auf Prioritäten einigen“, sagt Schleicher. Dabei hätten sie Kompromissfähigkeit gelernt. „Genau darum geht es bei Demokratie“, fügt er hinzu.

„Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein“, sagte einst Kanzler Willy Brandt. Viel spricht dafür, bereits in der Schule einzuüben, ein Volk der guten Sitznachbarn zu sein. Deshalb hat die Hertie-Stiftung eine Kommission eingesetzt, die Vorschläge für eine bessere Demokratiebildung vorlegen sollte. Zu den Mitgliedern zählen unter anderem Bildungsforscher wie Schleicher, der Soziologe Armin Nassehi und der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger. Beteiligt waren aber auch ein Schulleiter und eine Abiturientin.

Die Baustelle Demokratie

Dass Demokratiebildung eine Baustelle ist, hat gerade erst eine Studie der Bertelsmann-Stiftung gezeigt, für die Jugendliche im Alter von 12 bis 18 Jahren befragt wurden. Sie belegt: Die Demokratie findet nicht durchgehend bei allen die gleiche Unterstützung. Bei denen, die das Abitur anstreben, halten über drei Viertel der Jugendlichen die Demokratie für eine gute Regierungsform. Bei denen, die einen mittleren Schulabschluss haben oder machen wollen, sind es nur 55 Prozent. Wenn auch der nicht angestrebt wird, sind es gerade einmal 40 Prozent – ganze 15 Prozentpunkte weniger als noch vor einem Jahr. Die Demokratie hat hier stark an Rückhalt verloren.

Die Kommission legt deshalb acht Empfehlungen vor. Darunter sind eher allgemeine Forderungen wie diejenige, dass Demokratiebildung auf die Agenda der Bundesregierung gehöre. Diese solle mit den Ländern eine konzertierte Aktion „Demokratiebildung“ starten. Es geht aber auch um konkrete Projekte, wie das von Andreas Schleicher angeführte portugiesische Modell der Schülerbeteiligung. Für ein solches „Demokratiebudget“ empfehlen die Experten statt einem Euro pro Schüler in Deutschland mindestens fünf Euro.

„Gelerntes Wissen ist nicht automatisch gelebtes Wissen“, erklärt Schleicher. Nur weil jemand wisse, wie das Wahlsystem funktioniere, bedeute das nicht unbedingt, dass er das Gefühl habe, eine Wahl zu haben. Deshalb brauche es für junge Menschen Erfahrungsräume, in denen sie mitentscheiden könnten. Die Kommission ist einig, dass Kinder mit Demokratiebildung nicht erst in den späteren Klassen in Kontakt kommen dürften. Vielmehr gehöre das Thema bereits in die Grundschulen.

Lässt sich Demokratiebildung messen?

Doch wird das Thema je einen vergleichbaren Stellenwert wie Mathe oder Deutschunterricht haben? Solange Demokratiebildung unverbindlich sei, werde gern ihre Bedeutung beschworen – an der Umsetzung hapere es aber, so die Kommission. Deshalb fordert die Kommission, die Kultusministerkonferenz müsse für dieses Feld verbindliche Bildungsstandards festlegen. Und es solle ein „Demokratie-Pisa“ geben.

Lässt sich Demokratiebildung überhaupt messen wie Mathe- oder Lesefähigkeiten? Schleicher – Chef der Pisa-Studie, die bei ihrem ersten Erscheinen vor mehr als 20 Jahren viele Reformprozesse im deutschen Bildungssystem angestoßen hat – sagt: Ja. Ob ein Schüler etwa die für die Demokratie wichtige Fähigkeit habe, eine Sache auch mal aus der Perspektive von anderen zu betrachten, lasse sich testen. Gerade in der Demokratie gilt aber auch: Der wichtigste Test ist die Realität.