Ernst Kusterer im Haus der Katholischen Kirche bei seinem Arbeitsplatz, dem Eberhardsdom Foto: mh

So gut wie Radio-Pfarrer von Big FM, Ernst Kusterer, verstand die Jugendlichen keiner. Jetzt, mit 72, zieht es das bayrische Original ins Kloster. „Es wird nicht leicht für mich.“

Stuttgart - Extra Bavariam nulla vita! Diesen Satz hatte einst ein bayerischer Mönch auf Pergament gekritzelt. Sein mittelalterliches Selbstverständnis bedeutet: Außerhalb Bayerns ist kein Leben möglich. So gesehen, beginnt das Leben des Ordensmannes Ernst Kustererjetzt erst richtig. Ende des Monats verlässt der Ur-Bayer nach 16 Jahren Stuttgart. Er tauscht das Leben in der Großstadt mit dem im Kloster Ensdorf in der Oberpfalz. Der Mann, den wegen seiner Sendungen beim Radiosender Big FM alle nur Big Pater nennen, geht mit 72 Jahren in den Ruhestand.

Bayern hin, Württemberg her. Es wird nicht leicht für den Pfarrer am Eberhardsdom. „Die Stadt, die jungen Menschen, die Arbeit, die tägliche Aktivität – all das wird mir fehlen“, sagt er. Allein dass in Jugendpfarrer Jörg Widmann (49) ein guter Nachfolger gefunden ist, lindert seinen Abschiedsschmerz. „Bei ihm ist die Jugendarbeit in guten Händen, das beruhigt mich“, sagt Kusterer.

Die Jugend liegt ihm am Herzen. Genauso wie Don Bosco (1815–1888), dem Ordensgründer der Salesianer. Kusterer hat den Auftrag Don Boscos verinnerlicht. „Nicht mit Schlägen, sondern mit Güte wirst du sie zu Freunden gewinnen.“ Dieses Leitmotiv prägt Don Boscos Pädagogik. Auch Kusterer handelt immer nach dieser Überzeugung. „Don Bosco war davon beseelt, dass in jedem jungen Menschen ein guter Kern steckt, den es zu entdecken und zu fördern gilt“, sagt der Pater, der neben der Theologie auch Sozialpädagogik studierte. Und genau das hat er in seiner 16-jährigen Arbeit in Stuttgart immer wieder erlebt.

Ordensleben mit Schwerpunkt Jugendarbeit

Wie so oft im Leben sind es die ganz frühen Erfahrungen, die einen prägen. Auch bei Kusterer war es so. Dass er überhaupt ein Salesianer wurde, ist einer Ordensschwester zu verdanken. Der zehnjährige Ernst war schwer erkrankt und wurde von jener Ordensfrau gepflegt. Denn die Mutter musste für das tägliche Brot schuften. Der Vater war im Krieg gefallen. „Die Schwester hat immer zu mir gesagt: ,Schau, der Pfarrer ist schon sehr alt, und du kannst doch ein bisschen Latein, also könntest du doch irgendwann in seine Fußstapfen treten‘“, erzählt er von seiner Berufung. Nur eines wollte er nicht: den Gemeindepfarrer beerben. Kusterer entschied sich für das Ordensleben mit Schwerpunkt Jugendarbeit.

Dabei hat der Pater erfahren, wie sich im Laufe der Zeit die Themen der Jugendlichen gewandelt haben: „Waren es früher Drogen, sind die jungen Menschen heute mit ganz anderen Problemen beschäftigt.“ Kusterer spricht von Mobbing, Gewalt, Existenzangst und Orientierungslosigkeit. „Bei den vielfältigen Angeboten in der Stadt ist das ja auch kein Wunder.“ Wo keine Grenzen sind, ist keine Orientierung. Wo alles geht, werden die Dinge beliebig und austauschbar. In dieser Welt ohne Horizont reichte Ernst Kusterer den Jugendlichen einen Kompass.

Durch Radioauftritte genießt er eine gewisse Popularität

„Meine Methode ist eigentlich ganz einfach“, sagt er, „ich brauche dazu nur drei Dinge: Vernunft, Religion und Liebenswürdigkeit.“ Wie Don Bosco sieht er sich als ein Pädagoge der Vorsorge. „Man muss sich um die Kinder kümmern, bevor sie in den Brunnen gefallen sind“, sagt er und suchte ihre Nähe. In Schulen, Gemeinden, an den Plätzen der Stadt. „Man muss unter den Jugendlichen leben und ihre Sprache verstehen“, sagt er und ergänzt: „Aber man darf nicht ihre Sprache sprechen. Man darf sich nicht anbiedern.“ Noch wichtiger sei: „Bleib im Dialog mit den Jungen du selbst. Belehre nicht. Und bekehre niemanden! Dann wirst du als echt und erfahrbar erlebt.“

Mit diesen Prinzipien hatte der Pater Erfolg wie wenige in der Stadt. Durch seine Radioauftritte beim Privatsender Big FM genießt er sogar eine gewisse Popularität. Aus der zweiminütigen Gebetssendung „Big Pray“, die nur alle 14 Tage ausgestrahlt wurde, ist innerhalb kurzer Zeit der Nighttalk „Big Pater“ entstanden. Zwei Beispiele zeigen, wie er dort wirkte: Einmal gab er einem verzweifelten – weil schwangeren – 14 Jahre alten Mädchen wieder Hoffnung und gute Ratschläge. Ein anderes Mal befreite er ein Mädchen aus der väterlichen Hölle. Der Vater misshandelte seine Tochter, wenn er betrunken war. Am Ende war es die Helferkette Pater, Arzt, Polizei, die dem Schrecken ein Ende setzte.

Ein Gesicht von Kirche in der Stadt

Big Pater half vor allem mit guten Worten. Was für manche Ohren naiv klingen mag, ist in der heutigen Zeit wichtiger denn je. „Junge Menschen haben eine tiefe Sehnsucht nach Orientierung“, sagt Kusterer, „sie merken, dass dieses Leben nicht alles sein kann.“ Shoppen, Spaß, Facebook. Alles mehr Schein als Sein. Da werden irgendwann Fragen nach dem Sinn laut. Ernst Kusterer fand die passenden Antworten. In seiner Sprache, in seinem bayrischen Dialekt. Nicht in der Sprache der Kirche. „Mit Sakrament, Heil und Gnade können Jugendliche nicht viel anfangen“, sagt Kusterer und übersetzt es in Alltagssprache: „Gott ist es ein Anliegen, in schweren Situationen und in deinem ganzen Leben für dich da zu sein.“ Und weil das für manche auch zu abstrakt klingt, wird es durch Ernst Kusterer konkret: „In solchen Momenten spüren die Jugendlichen, dass jemand für sie da ist, ihnen zuhört und für bestimmte Werte steht.“

So hat der Big Pater für sich etwas vollendet, auf das er selbst ein wenig stolz ist: „Ich wollte den Jugendlichen immer ein Gesicht von Kirche in der Stadt geben.“ Selbst wenn man das anzweifelt. Eines ist sicher: Das bayrische Schwergewicht hat der katholischen Kirche eine prägende Stimme gegeben – nicht nur im Radio.