Leichtathlet und Oberbürgermeister von Bietigheim-Bissingen: Jürgen Kessing auf dem Dach der Schillerschule Foto: Simon Granville

Bietigheim-Bissingen baut mehr Solarmodule auf Dächer und Felder als die meisten anderen Gemeinden im Land. Was macht die Stadt richtig, die sonst vor allem für ihre hohe Rapperdichte bekannt ist?

Es ist idyllisch da oben auf dem Dach der Schillerschule in Bietigheim-Bissingen: Der Verkehr scheint weit weg, stattdessen hört man das Rascheln in den Kronen kräftiger, grüner Bäume. In der Ferne dreht sich träge ein Windrad. Und zwischen Wildkräutern und Wildblumen liegen auf dem Dach der Schule 73 Solarmodule.

 

Rund 25 Kilowattpeak können aus diesen erzeugt werden. Das reicht während Phasen hoher Sonneneinstrahlung aus, um den Großteil des Verbrauchs der Schule abzudecken. An Wochenenden oder in Ferien wird sogar ein Überschuss produziert. „Wir legen zurzeit bei allen Gebäuden, bei denen wir Zugriff haben, nach und nach Fotovoltaik drauf“, sagt Oberbürgermeister Jürgen Kessing (SPD). „Bei diesen Klimaextremen ist jeder gefordert, seinen Beitrag zu leisten.“

Kreis Ludwigsburg schreitet schnell voran

Klingt simpel. Aber offenbar ist Bietigheim-Bissingen mit diesem simplen Rezept erfolgreich. Im Zeitraum von zwei Jahren hat die 43 000-Einwohner-Stadt im Kreis Ludwigsburg ihre installierte PV-Leistung um 78 Prozent erhöhen können. Das zeigt eine Auswertung der Daten aus dem Marktstammdatenregister, die unsere Redaktion gemeinsam mit dem „Wattbewerb“ erstellt hat.

Auch die Zahl der Solarmodule in Bietigheim-Bissingen wächst stetig. Knapp 1300 Solaranlagen kommen Stand Anfang August 2023 auf mehr als 15 500 Kilowattpeak. Unter den Kommunen mit mehr als 20 000 Einwohnern in Baden-Württemberg landet sie damit landesweit auf Platz vier, innerhalb der Region Stuttgart ist sie sogar Spitzenreiter. Direkt hinter Bietigheim-Bissingen folgen mit Kornwestheim (plus 77 Prozent installierte Leistung) und Vaihingen / Enz (plus 74 Prozent) zwei weitere Kommunen aus dem Kreis Ludwigsburg.

Wie ist das gelungen? „Mit viel Energie“, sagt Daniel Dittes von den Stadtwerken Bietigheim-Bissingen. Man habe sich 2021 vorgenommen, künftig jedes Jahr 250 Kilowattpeak zu installieren. Um das zu erreichen, mussten sie sich fokussieren: zunächst auf die mehr als 100 städtischen Gebäude. „Wir versuchen, so schnell wie möglich so viel wie möglich aufs Dach zu bekommen“, sagt Dittes.

Auf dem Rathaus wird es keine Solarmodule geben

Bei der Schillerschule wurde längst nicht das komplette Dach mit Solarmodulen belegt. Lediglich der 2021 eingeweihte Anbau mit Mensa, einem weiteren Lehrerzimmer und Klassenzimmern hat PV aufs Flachdach bekommen. Der ältere Teil der Schule hat ein spitzes Dach, darauf liegen nach wie vor die klassischen roten Ziegel. Doch auch drei andere Schulen in der Stadt wurden bereits bestückt. Und in diesen Sommerferien sind eine weitere Schule, eine Kita und ein Jugendhaus dran. Damit erreichen die Stadtwerke dann ihr internes Ziel von 250 Kilowattpeak für dieses Jahr.

Man werde sicherlich nicht auf alle städtischen Gebäude Solarmodule legen können, sagt der OB Jürgen Kessing. Falls ein Dach in Richtung Norden ausgerichtet sei, ergebe dies keinen Sinn. Manche Dächer seien auch zu spitz. Und bei einigen mache der Denkmalschutz einen Strich durch die Rechnung – etwa in dem Gebäude, in dem er einen Großteil seiner Zeit verbringt: „Das Rathaus ist mehr als 500 Jahre alt, da wären die Denkmalschützer niemals einverstanden.“ Immerhin aber habe das Rathaus eine Ladesäule für E-Fahrzeuge; betrieben mit Ökostrom. „Wir tun, was wir können.“

Viele Privatleute müssen sich gedulden

Dazu gehört auch, dass die Stadt jene Eigentümer unterstützen will, die beispielsweise in der Altstadt denkmalgeschützte Gebäude besitzen und sich dementsprechend schwertun. Auf solche Häuser Solarmodule aufzubringen, ist zwar theoretisch möglich, aber teurer, weil etwa spezielle Solardachziegel nötig sind, die den Gesamtanblick eines alten Hauses nicht beeinträchtigen. „Da wollen wir mit Subventionen helfen“, sagt Kessing.

Allerdings müssen sich viele Privatleute noch gedulden. Denn auch vor Bietigheim-Bissingen macht der Handwerkermangel nicht halt. „Eine Zeit lang haben wir uns auch um Anlagen auf Wohn- und Gewerbegebäuden gekümmert, aber nun fokussieren wir uns zunächst auf die städtischen Gebäude“, erläutert Dittes. Bei den Stadtwerken reichten die Kapazitäten derzeit nicht für mehr. „Wir sind sehr auf Kante genäht“, sagt Dittes. „Aber weil beim Thema Solar alle mit Herzblut dabei sind, können wir die knappen Kapazitäten gut kompensieren.“

Und was braucht es, damit es so erfolgreich läuft wie in Bietigheim-Bissingen? „Eine gute Projektsteuerung“, sagt Dittes. Außerdem müssten sich die entscheidenden Personen klar zu erneuerbaren Energien bekennen: der Gemeinderat (der beschlossen hat, dass die Stadt bis 2035 klimaneutral werden soll), der Oberbürgermeister Kessing, die beiden Bürgermeister Michael Wolf und Michael Hanus sowie der Stadtwerke-Geschäftsführer Richard Mastenbroek. „Man bewegt Mitarbeiter eher in diese Richtung, wenn klar benannt ist, was das Ziel ist“, sagt Daniel Dittes.