Kathedrale der Bildung: Die Stuttgarter Stadtbibliothek. Foto: dpa

Tagsüber ein hoch aufragender Kubus, in der Dunkelheit eine überdimensionale Lichtskulptur. Stuttgarts 2011 eröffneter Stadtbibliotheksneubau des koreanischen Architekten Eun Young Yi löst als ausdrucksstarkes Gebäude die Programmatik einer Bibliothek als Forum lebenslangen Lernens ein.

Stuttgart - 1994 hat die Bildungswelt ein neues Zauberwort: „Edventure“. Bildung (Education) und Abenteuer (Adventure) sollen eine gewinnbringende Mischung ergeben. Es ist eine brisante Mixtur – auch und gerade für Bibliotheken. Wie werden sie reagieren, welche Rolle werden sie spielen? Das ist die Ausgangsfrage auch in Stuttgart, als sich Mitte der 1990er die Pläne für den Neubau einer zentralen Stadtbibliothek verdichten.

Das Stichwort lebenslanges Lernen hat Konjunktur, und Wolfgang Schuster bekräftigt 1997 als neuer Oberbürgermeister der Landeshauptstadt das im Wahlkampf formulierte Ziel, über den Neubau von Kultureinrichtungen zwei zentrale Orte in der Stadt neu zu erschließen. Am Schlossplatz soll das neue Kunstmuseum entstehen, auf dem ehemaligen Areal des Güterbahnhofs der Neubau der Stadtbibliothek. Schusters Kulturbekenntnis ist nicht weltfremd: Gerade die Bibliothek sieht er offen und offensiv als „Frequenzbringer“.

Das Ergebnis gibt Schuster recht. Im März 2005 eröffnet, ist das Kunstmuseum Stuttgart weit mehr als ein Ort des Bewahrens und Ausstellens. Es ist eine Bühne der Bildung und als solche Forum aller Generationen. Faszination Bildung – dies ist auch der Schlüssel für den Erfolg der 2011 eröffneten neuen Stadtbibliothek.

„Lernen und Dichten, Lesen und (Internet-)Surfen: die Stadtbibliothek hat sich zu einem Erlebnispanorama der Lerngesellschaft gewandelt“, schrieb unsere Zeitung bereits 1997. Das war die Vorleistung des Teams um die damalige Direktorin Hannelore Jouly – und die Voraussetzung für die Konzeption Bibliothek 21, mit der Stuttgart bei Präsentationen auf der ganzen Welt höchste Anerkennung erzielte.

Wie aber würde der Traum Bildung als Abenteuer Gestalt werden können? Im Juni 1999 fällt die Entscheidung – für einen Entwurf des in Köln lebenden Koreaners Eun Young Yi, für ein starkes Signal öffentlichen Bauens und öffentlicher Nutzung auf einem von Handel und Finanzdienstleistung bestimmten Areal.

35 Meter hoch ist der Bau

2003 soll die Bibliothek 21 gebaute Realität sein, doch die Bürgerbühne muss warten. Obgleich nicht unmittelbar Teil des Verkehrs- und Städtebauprojektes Stuttgart 21, stocken auch die Planungen für das einzig im Bahnbesitz befindliche Areal A1. Acht Jahre vergehen. Jahre, in denen Eun Young Yis Architektur viel bewegt hat. Der Bau steht in konsequentem Gegensatz zu einer schnell verderblichen Architekturware. Yis Kubus erhebt Ansprüche für die Nutzung, gibt der neuen Bibliothek unübersehbar Rang. So geht auch die Kritik fehl, der Bau schirme sich ab. Klar in der Außengestalt, begeistert das Innen als Kathedrale der Bildung, die zugleich klug organisierte Veranstaltungs- und Rückzugsräume bietet.

35 Meter hoch ist der Bau. Von außen durch die Fassadenrhythmisierung von Sichtbeton und Glasbausteinen bestimmt, erlebt der Besucher im Inneren zunächst einen radikalen Gegensatz. Kein Buch, nirgends. Nur ein Raumquadrat von 14 Meter Höhe, Breite und Tiefe. Yi schafft inmitten eines betont offenen Innenraumgeflechts einen Gegenraum der Leere.

Und die Faszination in Weiß geht weiter – mit einem von Oberlicht erfüllten Bibliothekskern, einem Atrium mit Galerien aus Bücherwänden, das sich über fünf Ebenen entwickelt. Der Purismus dieses sich über vier Ebenen erstreckenden Kubus im Kubus ist nicht aufgesetzt, sondern radikale Einlösung des Selbstversprechens, sich mit dem Betreten der Bibliothek an einen anderen Ort zu begeben.

Wie Sebastian Hascher und Rainer Jehle im Kunstmuseum-Kubus setzt auch Eun Young Yi auf eine sinnbildliche Logik: Zwischen der Doppelfassade findet sich ein begehbarer Raum. Man bewegt sich draußen im Inneren. Die Grenzen sind aufgehoben – auch dies ein Spiegel der inhaltlichen Ausrichtung der Stadtbibliothek Stuttgart mit ihrem leuchtenden Fixstern im Stadtzentrum, 17 Stadtteilbibliotheken und zwei Bücherbussen.

Die Konzeption „Bibliothek als innovativer Lernort“ sei denn auch in Stuttgart „konsequent umgesetzt“, heißt es in der Begründung für die mit 30.000 Euro dotierte Auszeichnung als „Bibliothek des Jahres 2013“. Der Applaus gilt vor allem Ingrid Bußmann, die als Direktorin seit 2001 die Konzeption „Bibliothek 21“ forcierte und realisierte. Vergeben durch den Deutschen Bibliotheksverband und die Hamburger „Zeit“-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, wird die Ehrung an diesem Donnerstag entsprechend dem Selbstverständnis der Stadtbibliothek gefeiert, die seit April dieses Jahres von Christine Brunner geleitet wird. Dem Festakt am Vormittag folgen ein Tag weit offener Türen und ein Abend, der zum Bürgerfest in Eun Young Yis Neubau am Mailänder Platz einlädt.

Festakt und Bürgerfest am Abend

Der Festakt in der Stadtbibliothek Stuttgart zur Auszeichnung als „Bibliothek des Jahres“ an diesem Donnerstag um 11.30 Uhr ist zugleich Auftakt der bundesweiten Aktionswoche „Treffpunkt Bibliothek“ vom 24. bis zum 31. Oktober. Um 9.30, 10.30, 14 und 14.30 Uhr gibt es öffentliche Führungen durch den Neubau.

Um 20.30 Uhr beginnt an diesem Donnerstag in der Stadtbibliothek am Mailänder Platz ein Bürgerfest. Klicken Sie für mehr Infos hier.

Der Erfolg des Neubaus mit mehr als einer Million Besucher im ersten Jahr machte bauliche Nachbesserungen wie einen dritten Aufzug und eine Schiebe- statt einer Drehtür am Eingang Richtung Türlenstraße notwendig.