Hausaufgabenzeit in der Carl-Benz-Schule Foto: Peter Petsch

Die Zahl der Ganztagsklassen an Grundschulen steigt, doch nicht für alle Eltern ist das Modell erstrebenswert. Einige vermissen die Horte und die Flexibilität, die ihnen durch deren Abschaffung verloren ging.

Stuttgart - In der Diskussion um den Ganztagsbetrieb hat sich die erste Aufregung zwar gelegt, Widerspruch gegen das Konzept der Stadt gibt es aber nach wie vor. Eltern, die bisher einen Hort für die Nachmittagsbetreuung ihrer Kinder gebucht hatten, müssen eine andere Lösung finden, weil die Horte zu Schülerhäusern für die Ganztagsschule umgewidmet werden. Auch die Angebote der offenen Ganztagsschule wird es nicht länger geben. Die verlässliche Betreuung an den Grundschulen endet künftig spätestens um 14 Uhr.

Nach unserer Berichterstattung über die Entwicklung der Ganztagsklassen in der Stadt hat sich beispielsweise Heike Greis aus Degerloch gemeldet. Sie moniert, dass sich die Schulverwaltung nicht die Mühe gemacht habe, den Bedarf der Eltern abzufragen: „Ist es nicht so, dass viele Familien lieber die freiwillige Betreuung der Horte genutzt hätten – weil das nämlich viel eher ihrem Lebensalltag entspricht? Da die Stadt aber gegen den erklärten Willen der Eltern die Horte schließt, wählen viele die Ganztagsschule, obwohl sie eine freiwillige und flexible Betreuung vorziehen würden. Wieso kann Stuttgart die Realität im heutigen Familienalltag nicht mehr in den Betreuungsangeboten abbilden? In anderen Städten geht es auch!“

Was beim Ganztagsunterricht eigentlich sein sollte, ist nicht in jedem Fall gewährleistet. Nicht alle Kinder haben nach 16 Uhr ihre Hausaufgaben erledigt, nicht alle sind noch fit genug für Vereinssport oder Musikschule. Das, so Carmen Kröner aus Marbach/a. N., beobachte sie an ihrer Tochter: „Sie besucht die 2. Klasse der offenen Ganztagsschule in Marbach, der einzigen Grundschule im Ort, mit rund 500 Schülern – etwa die Hälfte sind Ganztagsschüler. An einem Tag in der Woche haben alle Kinder Nachmittagsunterricht. Weil der Schulweg zu Fuß einfach fast 40 Minuten beträgt, muss sie an diesem Tag um 7.30 Uhr das Haus verlassen und über Mittag in der Schule bleiben; sie besucht die kostenpflichtige Kernzeitbetreuung und die Mensa. Kurz vor vier ist sie wieder zu Hause. Sie ist hungrig – das Essen war ‚bäh‘ –, überdreht und ausgelaugt. Treffen mit Freunden? Es wird nur gestritten. Lesen üben? Kaum durchsetzbar. Keine Frage: Jeder soll nach seiner Façon selig werden dürfen, aber ich fürchte, dass überbeaufsichtigte Kinder, die ihre Freizeit nie selbst kreativ gestaltet haben, als Jugendliche aus- oder irgendwann mit Burn-out zusammenbrechen.“

Inka Glaser-Gallion aus Degerloch bezweifelt, dass die Ausstattung der Schulen ihrem Anspruch gerecht wird: „So manche Ganztagsschule ist ohne Mensa“, schreibt sie und macht darauf aufmerksam, dass die Umsetzung der Ganztagskonzepte nicht überall gut laufe: „Man sollte als Eltern genau hinschauen, ob die Schule auch wirklich qualitativ hochwertige Sport-, Musik- und andere Angebote macht und den Unterricht rhythmisiert (also über den Tag verteilt).“ Ein adäquater Ersatz für die bisherige Hort- und Kernzeitbetreuung ist das für Inka Glaser-Gallion jedenfalls nicht: „Ganztags- oder Gar-nicht-Betreuung ist wohl die Stuttgarter Devise. Das ist weder kinder- noch familienfreundlich.“

„Auch wir standen bei meiner Tochter vor der Wahl zwischen Ganztags- und Teilzeitgrundschule. Wäre es in der Tat so gewesen, dass nachmittags immer hochwertige Angebote zur Verfügung gestanden hätten beziehungsweise Bildung vermittelt würde auf hoher Qualität, hätten wir uns dafür und nicht gegen das Angebot entschieden“, berichtet Y. Ipek aus Bad Cannstatt. Es gebe zwar ein paar lobenswerte Beispiele in Stuttgart, aber die „sind die Ausnahme“, die Realität seien „zu wenig Betreuer, schlecht ausgebildet und überfordert, und minderwertige Sportangebote“, die von mäßig ausgebildeten Übungsleitern geführt würden, kritisiert der Stuttgarter.