Bei der Hauptuntersuchung entscheidet sich, ob Autos auf der Straße bleiben dürfen. Mehrere selbstständige Prüfingenieure der Karlsruher GTS sollen sich bestechen lassen haben. Foto: dpa

Der Skandal um Prüfingenieure, die schrottreifen Autos die Plakette der Hauptuntersuchung verliehen haben sollen, weitet sich aus. Die Staatsanwaltschaft erhebt weitere Anklagen. Im Stuttgarter Fall muss das Land Kosten für 5000 Autobesitzer übernehmen.

Stuttgart/Tübingen - Beide Augen zudrücken und dafür die Hand aufhalten – diese Masche ist im Land unter Kfz-Gutachtern offenbar weit verbreitet gewesen. Zumindest bei den selbstständigen Prüfingenieuren, die für die Karlsruher Gesellschaft für technische Sicherheitsprüfungen (GTS) im Einsatz gewesen sind. Einer von ihnen sitzt bereits hinter Gittern. Er ist zu vier Jahren Haft verurteilt worden, weil er sich massenhaft der Bestechlichkeit schuldig gemacht haben soll. Tausende Autos vorwiegend im Großraum Stuttgart gingen durch seine Hände – und ziemlich viel Geld. Mehrere Hunderttausend Euro soll der Mann dafür bekommen haben, dass er die Fahrzeuge nur kurz oder gar nicht begutachtet. Eine Plakette der Hauptuntersuchung (HU) gab’s immer. Viel mehr Prüfungen konnte er so machen als gewöhnlich – und einen hübschen Aufpreis dafür verlangen.

Doch er bleibt nicht der einzige Fall. Ein Kollege ist vor einigen Monaten freigesprochen worden, weil ihm ähnliche Taten nicht eindeutig nachzuweisen waren. Und jetzt landen zwei weitere Gutachter, die für die GTS tätig gewesen sind, vor dem Richter. Die Tübinger Staatsanwaltschaft hat Anklage gegen die beiden Männer aus den Landkreisen Böblingen und Rastatt erhoben. Dabei kommen lediglich sieben Fälle zur Sprache – aber erstmals sind auch zwei Fahrzeughalter angeklagt. „Sie müssen sich wegen Bestechung verantworten, die beiden Prüfingenieure wegen Bestechlichkeit und Betruges“, sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft unserer Zeitung. Die Männer sollen im Jahr 2013 mit derselben Masche unterwegs gewesen sein wie ihr bereits verurteilter Kollege, das aber vorwiegend im Bereich Calw und Freudenstadt.

In einem weiteren Großkomplex wird ermittelt

Noch offen ist zudem ein weiterer Fall von enormen Dimensionen. Dabei stehen 39 000 verdächtige Prüfungen eines einzigen Gutachters zur Debatte. Für eine Anklage muss diese Zahl aber stark eingedämpft werden. Wann es so weit ist, steht wegen der riesigen Ausmaße auch nach jahrelangen Ermittlungen noch nicht fest.

Geklärt ist dafür jetzt eine andere Frage. Und die könnte das Land Baden-Württemberg rund 270 000 Euro kosten. Im Stuttgarter Fall waren in der zweiten Jahreshälfte 8500 Fahrzeuge zur Nachuntersuchung bestellt worden. Sie alle hatten zuvor die HU-Plakette vom inzwischen verurteilten Prüfingenieur bekommen. 5000 dieser Autos wurden tatsächlich noch einmal begutachtet, die restlichen 3500 waren „bereits zuvor von ihren Haltern außer Betrieb gesetzt worden“, teilt das Verkehrsministerium mit. Für die Nachuntersuchung waren Gebühren in Höhe von 53,50 Euro je Fahrzeug angefallen – und die übernimmt jetzt das Land.

Ausschlaggebend dafür ist ein Urteil des Landgerichts Tübingen vom 10. Dezember. Eine betroffene Fahrzeughalterin wollte dort die Gebühr einklagen – und bekam recht. Weil der Prüfingenieur hoheitliche Aufgaben des Landes wahrgenommen habe, muss das Verkehrsministerium nun auch für die Folgen einstehen. Das bedeutet: die Kosten für die zusätzliche Hauptuntersuchung übernehmen. Das Land betrachtet den Prozess als Musterverfahren und will das Urteil auf alle 5000 Betroffenen anwenden. 366 von ihnen hatten ihre Erstattungsansprüche bereits zuvor angemeldet.

Das Land will sich das Geld zurückholen

Die GTS weigert sich laut Verkehrsministerium nach wie vor, für den entstandenen Schaden aufzukommen. Damit die Kosten nicht am Steuerzahler hängen bleiben, geht das Land deshalb jetzt gegen die Prüfgesellschaft vor. „Wir wollen uns das Geld zurückholen“, sagte eine Sprecherin des Ministeriums unserer Zeitung. In der vergangenen Woche habe man deshalb eine Feststellungsklage eingereicht. Damit will das Land zum einen verhindern, dass Regressansprüche zum Jahresende verjähren. Zum anderen soll das Gericht feststellen, dass die Prüforganisation für den Schaden einstehen muss.

Welch große Gefahr für alle Verkehrsteilnehmer durch die Betrügereien ausgehen, zeigt eine beeindruckende Zahl: Bei den Nachuntersuchungen der 5000 Fahrzeuge wurden bei jedem zweiten so erhebliche Mängel festgestellt, dass es keine HU-Plakette bekam. Regelrechte Schrottkisten sind so monate- und jahrelang auf den Straßen unterwegs gewesen.

Hintergrund: Ansprüche geltend machen

Fahrzeughalter, die im zweiten Halbjahr 2012 von ihrer Zulassungsstelle aufgefordert worden sind, wegen des Plakettenskandals im Großraum Stuttgart ihr Auto zur Nachprüfung beim Tüv vorzuführen, können sich die Gebühren jetzt zurückholen. Wer es bisher noch nicht getan hat, kann die Zusatzkosten in Höhe von 53,50 Euro beim Land geltend machen. Das Verkehrsministerium empfiehlt, dies „umgehend“ zu tun.

Betroffene sollten sich unter dem Stichwort „HU-Plakette 2012“ an die Bürger- referentin des Verkehrsministeriums wenden. Das geht per E-Mail unter der Adresse Buergerreferent@mvi.bwl.de, per Fax unter 07 11 / 2 31 - 58 19 oder per Brief an das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur, Bürgerreferentin, Postfach 10 34 52, 70029 Stuttgart.

Die Nachricht sollte Folgendes beinhalten: Haltername, Postanschrift, E-Mail-Adresse, das damalige Kfz-Kennzeichen sowie das Datum der Nachuntersuchung. In der Betreffzeile sollte auf jeden Fall das Stichwort „HU-Plakette 2012“ angegeben sein, damit das Anschreiben an der richtigen Stelle ankommt. Das Ministerium wird nach Eingang der Nachrichten jedem Absender ein Bestätigungsschreiben schicken.