Bricht zum Abschied eine Lanze für die beruflichen Schulen: Andreas Moser. Foto: Ralf Poller/Avanti

„Berufliche Schulen sind wie Wundertüten“, sagt Andreas Moser. Schade nur, dass sie in der Außenwahrnehmung meist unterm Radar liefen, findet der geschäftsführende Schulleiter dieser Schulart und Chef der Ludwigsburger Oscar-Walcker-Schule, der jetzt aufhört.

Für Außenstehende ist es nicht leicht, sich eine Vorstellung davon zu machen, was in der Oscar-Walcker-Schule alles läuft. Musikinstrumentenbauer gehen dort in die Meisterschule, ebenso drücken aber Jugendliche die Schulbank, die noch einen Hauptschulabschluss anstreben. Geflüchtete lernen dort Deutsch, Friseure oder Bautechniker besuchen die Berufsfachschule. Im Profilfach Umwelttechnik kann man Abitur machen, in Berufssparten wie Farb- oder Holztechnik, Gesundheit, Körperpflege oder Nahrung die zweijährige Berufsschule absolvieren. „Berufliche Schulen“, sagt Andreas Moser, „sind wie Wundertüten.“

Moser, der jetzt in ein Sabbatjahr und dann in den Ruhestand geht, hat sein Herz an diese Schulart und die jungen Leute verloren, die dort wichtige Etappen auf ihrem Weg ins Arbeitsleben verbringen. Und er bedauert es, dass sie in der Öffentlichkeit und in den Medien oft unterm Radar laufen und dass auch die Politik die Gegebenheiten und Notwendigkeiten der beruflichen Schulen mit ihren sehr multiplen Bedarfen oft nicht auf dem Schirm hat. Warum das so ist? „Da kann ich nur Theorien aufstellen“, meint der 63-Jährige. An den entscheidenden Stellen säßen Menschen, deren Kinder eher keine beruflichen Schulen besuchten. „Die meisten bildungsnahen Familien wählen nicht das Übergangssystem, das wir bieten. Also kommen sie mit dieser Welt kaum in Kontakt.“

Der Seiteneinstieg und die glückliche Fügung

Auch er selbst hatte schon mehr als zehn Jahre als Architekt in verschiedenen Büros gearbeitet, bevor er als Seiteneinsteiger ein Referendariat machte. Dass er nach mehreren Etappen Schulleiter wurde, sei kein Karriereziel gewesen, sondern „eine glückliche Fügung“, erklärt er. Wobei der Anlass ein trauriger gewesen war: Sein Vorgänger hatte krankheitshalber aufgeben müssen.

Moser hatte immer Freude daran, die Lern- und Persönlichkeitszuwächse der Schülerinnen und Schüler zu beobachten: „Das ist toll und hält jung.“ Klar gingen nicht alle mit Begeisterung in die Schule. Aber manche, „bei denen der Umgangston auf der Baustelle oder in der Werkstatt rauer ist oder die in ihrem Betrieb so schaffen müssen, dass sie ins Schwitzen kommen“, würden die Schule noch mal neu zu schätzen lernen, ist Mosers Erfahrung. „Und manche sagen: Ein Handwerk ist schon recht, aber ich brauch noch ein bisschen mehr für meine Birne.“

„Wir Berufler sind bekannt dafür, dass wir’s immer irgendwie hinkriegen“

Gerade in den harten Coronazeiten hätten berufliche Schulen Gewaltiges geleistet – und das trotz Erlassen und Verordnungen, „die vielleicht für Grundschulen gepasst haben, für uns aber nicht“, so Moser. Die einen Schüler kommen fünf Tage die Woche, andere anderthalb Tage, die nächsten blockweise. Manche sind ausschließlich an der Schule, manche ergänzend zur Ausbildung im Betrieb. Für sie alle über den Kamm geschorene Präsenz- und Homeschoolingregelungen umzusetzen, die sich noch dazu dauernd ändern? Das gleicht der Quadratur des Kreises. „Wir haben manchmal unsere eigenen Wege finden müssen“, sagt Moser, der auch der geschäftsführender Schulleiter aller sechs Berufsschulen in Landkreis-Trägerschaft war. „Wir Berufler sind ja bekannt dafür, dass wir’s immer irgendwie hinkriegen.“

Dabei hatten die Berufsschulen, als Corona ausbrach, gerade eine andere Riesen-Herausforderung einigermaßen gestemmt: die Beschulung junger Geflüchteter. Moser war für ihre Aufnahme und Verteilung und für die Schaffung entsprechend zugeschnittener Klassen in den Kreisberufsschulen zuständig, die den Übergang ins reguläre berufliche Schulwesen ebnen sollten.

Obwohl das ein Kraftakt war und „kein Schulleiter sich freut, wenn er mitten im Jahr neue Klassen aus dem Hut zaubern soll“, schaut Moser gerne auf diese Zeit zurück. Warum? „Weil wir gesehen haben, was alles geht, statt zu lamentieren, was alles nicht geht. Weil ich Kollegen von neuen Seiten kennengelernt habe und ein großes Engagement da war. Plötzlich standen sie da und sagten: Ich habe eine Ausbildung für Deutsch als Fremdsprache. Oder sie haben auf andere Weise geholfen. Das war beflügelnd.“ Von dieser großartigen Gemeinschaftsleistung profitiere man jetzt auch bei der Integration junger Ukrainer.

In der Schule soll niemand Angst haben

Die Jahre hätten aber an den Lehrerinnen und Lehrern gezehrt, stellt Moser klar. „Sie sind platt und ausgebrannt. Sie brauchen Wertschätzung und gesunderhaltende Angebote.“ Ein Unding ist es für ihn, dass jetzt über die Sommerferien wieder Tausende angestellte Lehrer entlassen wurden: „Dass die sich nicht schämen! Wir müssen gottfroh sein, dass wir sie haben!“

Seiner Schulart wünscht Andreas Moser mehr Gestaltungsspielräume. Der frühere Architekt vergleicht das mit einer Baustahlmatte: „Die Horizontalen und Vertikalen geben die Struktur, aber die Schulen sollten sie individuell ausfüllen können. Und von Verwaltungsarbeit entlastet werden.“ Dazu gehöre eine praxisorientierte Digitalisierung der Verwaltungsvorgänge, die Erleichterung schaffe und nicht zusätzlichen Aufwand produziere. Was ihm persönlich in seiner Zeit als Schulleiter wichtig war? „Ein wertschätzender Umgang. Und dass in der Schule grundsätzlich niemand Angst haben muss.“