Burghart Klaußner, Johann von Bülow und Christian Friedel (von links) in „Elser“ Foto: Berlinale / Bernd Schuller

Der Hype wirkt: Vor der Premiere der polierten Mainstream-Erotik von „Fifty Shades Of Grey“ im Berliner Zoo-Palast löst Hauptdarsteller Jamie Dornan Kreisch-Alarm aus. Derweil mühen sich im Wettbewerb Berlinale gestandene Filmemacher um Huldigungen großer Vorbilder. Oliver Hirschbiegel etwa. Er setzt dem Hitler-Attentäter Georg Elser ein filmisches Denkmal.

Berlin - Wie wichtig ein Filmproduzent sein kann und wie sehr der verstorbene Bernd Eichinger fehlt, das war am Donnerstag im Berlinale-Wettbewerb zu sehen. Regisseur Oliver Hirschbiegel inszenierte mit Eichinger in „Der Untergang“ (2006) die Endzeit im Führerbunker hochdramatisch. Nun hat er sich am Hitler-Attentäter Georg Elser versucht, der im Münchner Bürgerbräukeller 1939 eine Bombe platzierte und nur scheiterte, weil Hitler das Lokal 13 Minuten zu früh verließ. Führerlos hätten sich die Nazis wahrscheinlich selbst zerfleischt, Elser hätte Krieg und millionenfachen Mord verhindert.

Eine große Chance also, einem mutigen Widerständler ein filmisches Denkmal zu setzen, das über Klaus Maria Brandauers berührendes Elser-Porträt von 1989 hinausgeht. Gezeigt wurde bei der Berlinale außer Konkurrenz ein eher konventionelles Fernsehspiel, das mit dem Anschlag beginnt und dann parallel zu den Verhören Elsers zurückschaut auf dessen Leben. Christian Friedel gibt Elser als freiheitsliebenden Musiker und Verführer, den die zunehmenden Repressionen der Nazis aufbringen. Überraschungen gibt es kaum. Reichskriminaldirektor Arthur Nebe (Burghart Klaußner) wurde 1945 als Stauffenberg-Unterstützer hingerichtet – womöglich hat Elsers Klarheit ihn beeinflusst. Zwischen den Figuren entsteht aber keine fühlbare Verbindung, und Klaußner, der das natürlich könnte, wirkt kaum richtig angefasst. Einer wie Eichinger hätte da wohl mehr gefordert.

Hirschbiegel zeigt dafür ausführlich die Folter an Elser und die komplette Erhängung Nebes. „Das dauert eine Minute 40, ich fand das wichtig, das ganz zu zeigen“, sagt der Regisseur vor der Presse. Die Gesichter der Vollstrecker hätten dazu freilich gereicht, das zuckende Opfer im Vordergrund macht die Kinozuschauer zu Mitvoyeuren. Elsers Leistung sei „noch ein bisschen größer“ als die Stauffenbergs, findet Hirschbiegel: „Elser war ein Arbeiter und Einzeltäter, er hat den Krieg vorausgesehen und mit großer Zivilcourage sein Leben aufs Spiel gesetzt.“ Friedel erklärt: „Es ist wichtig, dass uns bewusst wird, dass jeder Mensch politisch ist und eine Stimme hat. Deswegen ist es gut, dass der Film genau jetzt in die Kinos kommt.“ Pegida lässt grüßen.

Elser stammte aus dem schwäbischen Königsbronn, die MFG-Filmförderung hat den Film unterstützt. Am Mittwoch vergab sie in der baden-württembergischen Landesvertretung den Thomas-Strittmatter-Drehbuchpreis, erstmals geteilt an zwei Preisträger. Beide Bücher hätten eine „überzeugende und konsequente Erzählhaltung“, befand die Jury, in der auch Regisseur Volker Schlöndorff saß. „Und nichts um uns als Sterne“ von Inna Dietz handelt von zwei Kindheitsfreunden, dem Deutschrussen Max (18) und seinem Freund Denis (18), die ein Aufenthalt im Gefängnis entzweit. In „Die Abkratzer“ erzählt Simon X. Rost einfühlsam vom zwölfjährigen Flip, der unheilbar erkrankt und im Kinderhospiz in den anderen todkranken Kindern eine verschworene Gemeinschaft findet.

Vor einem Jahr wurde im Berlinale-Wettbewerb das neue chinesische Kino gefeiert, das gerne Europäer und Amerikaner zu kopieren versucht. Diesmal nun geht Jiang Wen mit „Gone With The Bullets“ ins Rennen, der auf Hochglanz polierten Geschichte eines Trickbetrügers um 1920 in Schanghai. Eine absurde Farce mit opulenter Kulisse und Traumsequenzen, in der permanent gequasselt wird – Scorsese und DiCaprio können so etwas einfach besser. Das große fernöstliche Erzählkino von Wong Kar Wei und Zhang Yimou scheint passé.

Viel interessanter ist da die Botschaft des in China festgesetzten Künstlers Ai Weiwei, der aus der Ferne via Skype eine Episode des Films „Berlin, I Love You“ dreht – mit seinem traurig wirkenden kleinen Sohn, der ohne Vater im Berliner Exil lebt. Til Schweiger spielt eine Nebenrolle als Magier, der beide wiedervereinen will, gedreht wird öffentlichkeitswirksam mit Großleinwand unter anderem neben der Topografie des Terrors und an der Gedenkstätte Berliner Mauer an der Bernauer Straße.

„Das Kino stirbt nicht!“, ruft der exzentrische Brite Peter Greenaway (72) der in Berlin versammelten Presse zu. Einst hat er mit Filmen wie „Der Kontrakt des Zeichners“ (1982) und „Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber“ (1989) Maßstäbe gesetzt, nun erzählt er in „Eisenstein in Guanajuato“ vom Filmdreh des russischen Filmkünstlers Sergej Eisenstein („Panzerkreuzer Potemkin“, 1925) im Mexiko der Jahre 1931/32. Zuvor in Hollywood gescheitert, drehte Eisenstein zig Stunden Material, sprengte das vom US-Autor Upton Sinclair aufgetriebene Budget, beendete den Film nie.

Warum? Weil er ein Coming-out mit einem Mexikaner hatte, behauptet Greenaway, der zu Beginn Eisenstein-Schnipsel und dessen Stil aufnimmt, später aber nur noch nackte Männer zeigt, die in opulenter Hotelkulisse kopulieren und danach ohne Unterlass reden. Greenaway vertraut seinen Bildern nicht mehr, spielt mit Weitwinkel, Kamerakreisen, Schwarz-Weiß und geteilter Leinwand, doch oft scheint es beliebig.

Der „ultimative Vater des Weltkinos“ sei Eisenstein, sagt der Regisseur. „Scheitern ist immer viel interessanter als Erfolge. Wir scheitern oft, wenn wir unsere Heimat verlassen. Weit weg von sowjetischer Dialektik, Paranoia und Verfolgung wurde Eisenstein freier und empathischer im Blick auf den Zustand der Menschheit, es ging ihm nun mehr um Individuen als um Massenbewegungen. Er wurde ein anderer und machte jahrelang keinen Film mehr.“ Greenaways Philosophie? „Ich komme aus einem Land, in dem Realismus hoch im Kurs steht, aber das Kino ist hochartifiziell. Warum sollte man sich all die Mühe machen, wenn man realistisch sein möchte, das hat Gott doch schon getan, wieso ihn imitieren?“

Während Greenaway mit englischer Ironie druckreif redet und Leidenschaft für sein Medium versprüht („Let’s enjoy film!“), versammeln sich am Mittwochnachmittag am Zoo-Palast schon Dutzende junger weiblicher Fans – lebende Beweise dafür, dass es beim Film sehr oft gar nicht um den Film geht.