Michel Friedman hat sich zu den Vorgängen um die Berlinale geäußert. Foto: IMAGO/Panama Pictures/IMAGO/Dwi Anoraganingrum

Auch Tage nach der Berlinale-Gala reißt die Debatte um Kritik an Israel und um Antisemitismus nicht ab. In der Folge gibt es selbst Todesdrohungen gegen einen der umstrittenen israelischen Filmemacher.

Der Publizist Michel Friedman hat nach den israelkritischen Äußerungen während der Berlinale-Gala mehr Widerspruch gefordert. Durch Deutschland rolle seit dem Terroranschlag der Hamas und den israelischen Reaktionen „eine weitere, dramatische, antisemitische Welle“, schrieb der frühere Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland in einem Beitrag für die „Süddeutsche Zeitung“. „Ein exzessiver Judenhass (um es deutlich zu sagen: Jüdische Menschen sind meist nicht israelische Staatsbürger, sondern Deutsche), Gewalt macht sich breit.“ 

Während der Gala am Samstag war der Nahostkonflikt mehrfach thematisiert worden. Zahlreiche Mitglieder aus Jurys sowie Preisträgerinnen und Preisträger forderten verbal oder mit Ansteckern einen Waffenstillstand im Gaza-Krieg. In Statements war auch die Rede von Apartheid im Zusammenhang mit der Situation in den von Israel besetzten Gebieten und von Genozid (Völkermord) mit Blick auf das Vorgehen der Armee in Gaza.

„In der Kulturszene setzt sich schon seit Langem Aggressivität gegen den Staat Israel durch, und antisemitische Tendenzen werden immer radikaler“, schrieb Friedman. Zugleich konstatierte er: „Harte, durchaus berechtigte Kritik an der israelischen Regierung ist eine Selbstverständlichkeit und kein Judenhass.“ Wenn Künstler sich politisch äußerten, seien sie von der Meinungsfreiheit geschützt, nicht von der Kunstfreiheit, die für Kunstwerke gelte. Dabei sei aber maßgeblich, dass die Würde des Menschen unantastbar sei. „Dies gilt auch für jüdische Menschen“, so Friedman. 

Bühne sei ersichtlich missbraucht worden

Während der Gala sei die Bühne ersichtlich missbraucht worden, „Israel wurde als Apartheid-Staat bezeichnet, dafür und für den Vorwurf des Genozids und für das weiträumige Verschweigen der Hamas als Terrororganisation gab es Applaus“. Aus Sicht Friedmans hätte sich die Berlinale auf den Eklat vorbereiten können. Zugleich kritisierte er prominente Anwesende wie Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne), Berlins Regierenden Bürgermeister Kai Wegner und Kultursenator Joe Chialo (beide CDU). Nachdem die Moderation versagt habe, die Geschäftsführung sich hinter dem Vorhang versteckt habe, die Meinungen der Künstlerinnen durch ihre massive Einseitigkeit im Raum gestanden hätten, wäre es an der Zeit gewesen zu widersprechen, „denn auch der Widerspruch gehört zur Meinungsfreiheit“.

Für Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda (SPD) hat die Berlinale gezeigt: „Es gibt internationale Diskurslagen, die sich hart brechen mit dem, was wir in Deutschland für richtig und angemessen halten. Je stärker man in internationalen Netzwerken arbeitet und je mehr internationale Künstlerinnen und Künstler präsent sind, desto mehr kann es deshalb zu Konflikten kommen“, sagte der SPD-Politiker der „Zeit“. „Deshalb ist es wichtig, dass man vorab klärt, wie man damit umgeht. Diese Aufgabe kann den Kulturveranstaltenden keiner abnehmen.“ Sie müssten sich immer wieder neu entscheiden und Kritik an ihrer Entscheidung aushalten.

Die politisch Verantwortlichen müssten sorgfältig abwägen: „Wie weit reicht die Schutzverantwortung des Staates auf der einen Seite und das Freiheitsversprechen zum Beispiel für künstlerisches Arbeiten auf der anderen Seite?“ Die Grenze für den Staat sei aus Sicht von Juristen das Strafrecht. „Alles Weitere ist ein öffentlicher Aushandlungsprozess, in den eine Gesellschaft sich begeben muss. Da hätte ich mir auch bei der Veranstaltung der Berlinale von den Beteiligten klaren Widerspruch gewünscht“, sagte Brosda. Zugleich warnte der Kultursenator vor Regelungen wie Antisemitismus-Klauseln. „Kunstfreiheit bedeutet, dass der Staat von Künstlerinnen und Künstlern kein inhaltliches Bekenntnis verlangt. Wenn im Rahmen dieser Kunstfreiheit etwas passiert, das Anstoß erregt, dann streiten wir uns darüber heftig und öffentlich.“ Bekenntnisklauseln könnten keine Abwägung ersetzen „oder gar irgendeinen Vorfall verhindern“.

Todesdrohungen erhalten

Während der Gala sprach der israelische Filmemacher Yuval Abraham, der zusammen mit dem Palästinenser Basel Adra in einem israelisch-palästinensischen Kollektiv für den Film „No Other Land“ über die Siedlungspolitik in der West-Bank ausgezeichnet wurde, von Politik der Apartheid. „In zwei Tagen werden wir in ein Land zurückkehren, wo wir nicht gleich sind“, sagte Abraham. „Ich darf mich in dem Land frei bewegen, Basel ist wie Millionen Palästinenser eingeschlossen in der West-Bank. Diese Situation der Apartheid zwischen uns, diese Ungleichheit muss ein Ende haben.“ 

Abraham erhält nach eigenen Angaben seitdem Todesdrohungen. Auch seine Familie sei bedroht worden. Dies sei geschehen, nachdem israelische Medien und deutsche Politiker seine Rede „absurderweise als „antisemitisch“ bezeichneten“, schrieb er auf der als Twitter bekannt gewordenen Plattform X. Er sieht einen „entsetzlichen Missbrauch dieses Wortes durch Deutsche“ und nannte es „besonders empörend“, diesen Begriff gegen ihn zu instrumentalisieren. Der größte Teil der Familie seines Großvaters sei im Holocaust von Deutschen ermordet worden.