Keiner bügelt Hemden so akkurat wie Christos Kirzakis Foto: Leif Piechowski

Im Behindertenzentrum Stuttgart in Plieningen leben seit 1989 insgesamt 35 Menschen mit Behinderungen in Wohngemeinschaften zusammen. Einige sind von Anfang an dabei. Vor kurzem hatte das Zentrum, das von der Diakonie getragen wird, Jubiläum.

Stuttgart - „Zum Geburtstag darf man sich etwas wünschen“, stellt Christos Kirzakis fest, als das Behindertenzentrum (Bhz) Stuttgart am vergangenen Sonntag Geburtstag feierte. Der 46-Jährige leidet seit seiner Geburt an einer schweren Spastik und an einer leichten geistigen Behinderung. Als Fußballfan hat sich der Grieche natürlich gewünscht, dass die griechische Nationalelf bei der WM weiterkommt. Daraus wurde leider nichts. Als Heimbeirat des Behindertenzentrums hat er aber auch noch einen Wunsch. Für die 34 übrigen Bewohner und sich selbst wünscht er sich größere Zimmer. Diese haben etwa um die zwölf Quadratmeter. „In den 20 Jahren, in denen ich bereits hier lebe, hat sich so viel angesammelt – der Platz reicht einfach nicht“, stellt Kirzakis fest.

Ins Heim gekommen ist Kirzakis mit 26, nachdem seine sieben Brüder mit ihren Familien aus Stuttgart weggezogen waren und seine Mutter der Meinung war, ihm täte es gut, mehr mit anderen Menschen zusammen zu sein. Außerdem ist die Behindertenwerkstatt im Fasanenhof, in der der 46-Jährige arbeitet, von Plieningen aus sehr viel besser zu erreichen als von seinem früheren Wohnort in Feuerbach..

Jeden Morgen um 7.30 Uhr werden er und knapp zwei Dutzend andere Bewohner des Behindertenzentrums nach dem Frühstück im Heim abgeholt und zur Arbeit gefahren. Kirzakis’ Job in der Werkstatt für behinderte Menschen erfordert Fingerspitzengefühl: „In der medizintechnischen Abteilung schneide ich Schläuche für Absauggeräte“, sagt er stolz. Das sei eine Arbeit, die nicht jeder machen könne, weil das Material leicht kaputtgeht, ergänzt Wohnbereichsleiterin Isolde Vogt. Christos Kirzakis spricht zwar sehr langsam, aber überlegt und konzentriert. Durch seine Konzentration fällt ihm auch die filigrane Arbeit in der Werkstatt leicht. Zwei Stunden arbeitet er am Stück. Dann, um zehn Uhr , ist Vesperpause. Danach wird bis zum Mittagessen um zwölf Uhr weitergearbeitet. Um 16 Uhr haben Kirzakis und seine Kollegen Feierabend.

Zurück im Heim, ist Hausarbeit angesagt. „Unser Motto ist, dass die Bewohner alles, was sie selbstständig erledigen können, auch selbstständig erledigen sollen“, sagt Vogt. Bislang konnte Kirzakis alles: seine Wäsche waschen, sein Zimmer aufräumen, sich im Wechsel mit seinen Mitbewohnern am Küchendienst beteiligen und Gemüse schnippeln, sogar staubsaugen und wischen. Mit dem Saugen und Wischen klappt es jetzt nicht mehr so gut.

Bis vor kurzem konnte er noch an Krücken gehen. Seit einiger Zeit ist er mehr und mehr auf den Rollstuhl angewiesen. „Vom Rollstuhl aus klappt Wischen und Saugen nicht gut“ , sagt er, und Vogt versichert, dass dafür eine Lösung gefunden werde. Einen Tag in der Woche muss Kirzakis nicht in die Werkstatt, da unterstützt er die Hauswirtschaft im Behindertenzentrum und hat sich freiwillig fürs Bügeln gemeldet. Und am allerliebsten bügelt er Hemden. „Das kriegt keiner so akkurat hin wie Christos“, sagt Vogt. „Und es geht vom Rollstuhl aus“, strahlt dieser.

Seit Jahren hat Kirzakis einen Freund, den Günther, im Behindertenzentrum. Die beiden machen fast alles zusammen: in die Stadt fahren, ins Kino gehen, einkaufen. „Wenn der Günther dabei ist, gibt das dem Christos Sicherheit“, sagt Vogt. Nicht nur Freundschaften können in dem Behindertenzentrum gelebt werden. Auch Paarbeziehungen entwickeln sich dort. „Ob Freunde oder Paare, die Partner gehen sehr rücksichtsvoll und liebevoll miteinander um“, ist Vogts Erfahrung.

Ob er unter seiner Behinderung leidet? Kirzakis zögert mit der Antwort, schüttelt erst den Kopf – und sagt dann aber doch: „Dass ich nicht laufen kann, war immer ein Problem. Aber im Alltag vergesse ich das meist.“ Als er das sagt, setzt er seine dunkle Sonnenbrille wieder auf. Sie ist sein Markenzeichen, ohne sie ist er kaum anzutreffen. „Der Christos hätte auch gern wie seine Brüder den Führerschein gemacht und wäre gern mit dem Cabrio und der Sonnenbrille auf der Nase durch die Straßen geflitzt.“ Vogt kennt die heimlichen Träume ihrer Gruppe. Die 35 Bewohner leben in drei Wohngruppen. „Es hat sich zufällig ergeben, dass in einer Gruppe die Jüngeren zwischen 19 und 30 zusammen sind“, sagt Vogt. Dass die Zimmer zu klein sind, kritisiert sie; man merke, dass das Heim vor 25 Jahren gebaut worden sei. Damit sich Kirzakis Wunsch von mehr Platz erfüllt, wird jetzt ein Grundstück für einen Neubau gesucht, und das alte Gebäude soll saniert werden.

Den Schmerz über die Niederlage der griechischen Fußballer hat Kirzakis verdaut. Im Laden hat er sich jetzt eine deutsche Fahne gekauft. „Griechische Fahnen gab es dort sowieso nicht“, lacht er.