Experten weisen auf die Bedeutung von Spielkonsolen im Gesundheitswesen hin. Foto: dpa

Computerspiele sind nicht so schlecht wie ihr Ruf. Zur Gesundheitsvorsorge und Rehabilitation von Patienten könnten sie künftig eine bedeutende Rolle spielen. In Heidelberg wird derzeit über ihr Potenzial diskutiert.

Heidelberg - Sie alle sitzen vor dem Bildschirm: das Kind, das gerade Zähne putzen lernt, der Übergewichtige, dem mehr Bewegung verordnet wurde, das Unfallopfer, das seine Feinmotorik wiedererlangen möchte. Und sie alle sitzen dort auf Anordnung eines Arztes oder Therapeuten. Laut Experten nehmen Computerspiele bei der Versorgung von Patienten und älteren Menschen sowie bei der Wissensvermittlung eine immer wichtigere Rolle ein.

 

Sogenannte Serious Games (Englisch für ernsthafte Spiele) sind Computerspiele, deren Fokus nicht auf Unterhaltung und Spaß liegt, sondern auf ernsten Zwecken. Sie werden einerseits zur Wissensvermittlung, andererseits aber auch für Therapien und Trainings eingesetzt. Dem Kind wird beispielsweise am Bildschirm gezeigt, wie es die Zähne richtig putzt. Erwachsene mit Bewegungsmangel laufen durch virtuelle Umgebungen, Feld und Wald, und sammeln Dinge ein. In einem virtuellen Supermarkt legt ein Unfallopfer Äpfel in einen Einkaufskorb und erlernt so wieder Kompetenzen in der Feinmotorik. „Die Computerspiele sind leicht und minimalistisch aufgebaut. Es wird immer das Erreichen einer bestimmten Leistung angestrebt“, erklärt Daniel Görlich, Informatikprofessor an der privaten SRH Hochschule Heidelberg. „Kamerabasierte Systeme nehmen bei Sport, Tanz und Bewegung Bilder auf, analysieren sie und errechnen die Körpermaße des Patienten.“ Mit Hilfe dieser Daten könne die Software auf den Patienten reagieren.

Spiele können älteren Menschen zu neuem Lebensgefühl verhelfen

Bisher werden diese Programme hauptsächlich zur Wissensvermittlung und Prävention eingesetzt. Sie informieren beispielsweise über gesunde Ernährung. Auch Fitness-Spiele finden laut Daniel Görlich regen Anklang. „Bei Therapien werden sie bisher eher weniger eingesetzt, weil diese Spiele dann auch medizinisch zertifiziert sein müssen. Hier besteht noch Potenzial.“

Außerdem können solche Spiele in Seniorenheimen älteren Menschen zu einem neuem Lebensgefühl verhelfen, wenn sie zumindest virtuell wieder eine Bowlingkugel anheben können. In vielen Seniorenheimen nutzen die Bewohner bereits Spielkonsolen, um Körper und Geist fit zu halten. „Die Serious Games werden jedoch auf keinen Fall Pflegepersonal ersetzen. Sie sind nur für ganz bestimmte Situationen in einem klar abgegrenzten Zeitraum einzusetzen.“ Laut einer Studie von Stefan Göbel, Mitarbeiter an der Technischen Universität Darmstadt, sind von Serious Games positive Einflüsse auf Gesundheit, Fitness und Ernährungsbewusstsein nachweisbar. Defizite bestehen hingegen noch bei der Personalisierung. Die Spiele seien zwar an eine bestimmte Zielgruppe, nicht jedoch an Individuen angepasst. Das soziale Defizit der Maschine sei bisher nicht auszugleichen.

Hoher Forschungsbedarf für die Zukunft

Daniel Görlich sieht auch die Problematik, dass Ärzte und Therapeuten noch viel zu wenig in die Programme eingebunden sind. „Es ist derzeit nicht möglich, einen individuellen Trainingsplan zu erstellen, zum Beispiel ein mehrwöchiges Konzept mit verschiedenen Schwierigkeitsstufen.“ Für die Zukunft bestehe hoher Forschungsbedarf. Der Stand der Medizin müsse in die Software überführt werden, die Geräte müssten die Daten der Patienten noch feinsinniger erfassen, Ärzte oder Therapeuten sollten die Übungen für jeden Patienten individuell einstellen können. Angestrebt werde, dass die Software gezielt auf den Patienten und sein Krankheitsbild eingehen kann. Ein Physiotherapeut würde die Übungen gemeinsam mit dem Patienten erarbeiten und die persönlichen Einstellungen speichern. Das soll verhindern, dass Rückenkranke zum Beispiel eine falsche Drehung machen oder Herzpatienten sich zu schnell bewegen.

Dies war auch das Ergebnis einer Tagung in Heidelberg, bei der sich Experten über die Möglichkeiten austauschten, die Computerspiele bei der Gesundheitsvorsorge und bei der Behandlung von Patienten bieten. „Über die Technologien, die Serious Games möglich machen, verfügen wir“, so Daniel Görlich. „Aber wir haben keine lukrativen Geschäftsmodelle und darum erhebliche Finanzierungsprobleme. Der Entwicklungsaufwand für medizinisch und therapeutisch indizierte Spiele ist jedoch massiv, und die Kosten sind sehr hoch.“ Großen Erfolg versprechen laut Daniel Görlich komplexe Spiele mit einer Fülle von Trainingsaufgaben, bei denen individuell Übungen ausgewählt werden können.