Kelly God (3. Norne), Claire Barnett-Jones (2. Norne) und Okka von der Damerau (1. Norne) stehen im 1. Aufzug der „Götterdämmerung“ auf der Bühne in Bayreuth Foto: dpa/Enrico Nawrath

Mit der „Götterdämmerung“ hat sich der „Ring“ geschlossen. Manche szenischen Gewürze kommen nicht gut an – die Darsteller aber alle.

Die „Meistersinger“ stehen in diesem Festspieljahrgang nicht auf dem Programm. Man fühlte sich aber nach der „Götterdämmerung“ am Ende des wiederaufgenommenen „Rings“ von Valentin Schwarz beim Schlussapplaus für die Protagonisten und die lautstarken Buhs für das Regieteam daran erinnert. Wie nicht anders zu erwarten, übte sich ein Teil des Publikums – so ähnlich wie Sixtus Beckmesser – darin, jede Abweichung von der vermeintlich festgeschriebenen „Ring“-Regel mit einem quietschenden Kreidestrich, sprich einem Buh, zu quittieren. So verbissen fanatisch wie im vorigen Jahr war es aber nicht.

Am Ende bleibt das Fazit: Valentin Schwarz hat seine Grundidee zum „Ring“ nicht nur beibehalten, sondern tatsächlich die Chancen der Werkstatt genutzt. Nicht nur in der Arbeit mit seinen fabelhaften Darstellern, sondern auch szenisch.

Der Ring fehlt

Nach dem Vorgänger-„Ring“ von Frank Castorf, der das Scheitern großer Utopien bildmächtig durchdekliniert hatte, bricht der Österreicher Schwarz die Erzählung vom Untergang der Götterwelt konsequent aufs Menschenmaß einer Familiensaga herunter. Diese Perspektive durchzuhalten gelingt ihm tatsächlich überzeugender als im Vorjahr. Dass hinter der Figurenkonstellation eine dialektische Wechselbeziehung waltet, ist nicht neu – sie so konsequent zu personalisieren wie hier geschehen, aber schon.

Es fehlen zwar etliche Utensilien, die eigentlich zum „Ring“ gehören, vor allem der Ring selbst. Dafür gibt es aber einiges an Zusatzpersonal und ein eigenes System von optischen Leitmotiven wie etwa ein Walhall-Pyramiden-Modell.

Embryos, die sich bekämpfen

Hier bekämpfen sich Wotan und Alberich schon als Embryos im Mutterleib. Der Ring als Symbol der Macht wird zu einem von Alberich entführten Knaben (so kommt er zu seinem „Sohn“ Hagen), den er dann freilich weiterreichen muss. Hier geht’s nicht um ein Schmuckstück mit Wunderkraft, sondern um den Anspruch auf die Zukunft. Den Wotan seinerseits ja erst mit seinem Sohn Siegmund und dann mit Enkel Siegfried vergeblich durchzusetzen versucht. Dass Wotan diesmal wahrscheinlich sogar selbst der Vater seines Enkels ist, gehört zu den szenischen Gewürzen dieses „Ring“-Menüs ebenso wie die (neu hinzugefügten) Liebes-Schattenspiele von Siegfried und Gutrune, die in der „Götterdämmerung“ nicht nur (höchst nachvollziehbar!) Brünnhilde in Rage versetzen, sondern wohl auch die Buhrufer am Ende anfeuerten. Sinn – zumindest in der Binnenlogik dieser Lesart – ergibt das aber durchaus.

Stimmiger Schluss

Selbst wenn man dem prinzipiellen Ansatz von Schwarz im vorigen Jahr schon gefolgt war, so hat die „Götterdämmerung“ erst jetzt einen deutlich stimmigeren Schluss. Wenn der Rundhorizont hinter dem deprimierend ausgetrockneten Pool des grandios gescheiterten Walhall-Neubaus fällt, Brünnhilde sich mit Benzin übergossen und nicht angezündet hat und ihr Kopf auf den von Hagen ermordeten Siegfried sinkt, sieht man inmitten des eiskalten Neonröhren-Feuerzaubers den tropfenden, erhängten Wotan. Diesmal gelingt wenigstens dem dazu erfundenen Kind von Brünnhilde und Siegfried die Flucht aus dem Desaster. Hoffentlich in eine Welt mit Therapeuten, nach dem was es mit ansehen musste.

Bösewichte werden zum Opfer ihrer selbst

Schwarz erzählt jetzt auch „seine“ Geschichte von Siegfried und Hagen schlüssig zu Ende. Diese beiden hatten sich eine Oper davor am Krankenbett des greisen Fafner kennengelernt. Der grandiose Mika Kares lässt uns als Hagen seine Erinnerungen daran und seine Enttäuschung über Siegfried, der ihn dann einfach wieder vergaß, noch einmal miterleben. Nicht nur die Götter, auch notorische Bösewichte wie Hagen als fehlbare Menschen werden zum Opfer ihrer selbst. Die ganze Szene im Pool wird so zu einem tieftraurigen Finale der Untergangsstory, die der „Ring“ nun mal ist.

Dass das im zweiten Jahr auf dem Hügel szenisch zu berühren vermochte, lag aber auch am aktuellen „Ring“-Dirigenten Pietari Inkinen, der im vergangenen Jahr von Cornelius Meister vertreten werden musste. Der junge Finne konnte sich nach leichten Startschwierigkeiten im „Rheingold“ imponierend von Teil zu Teil steigern und wurde vom Publikum erst ermutigt, dann gefeiert. Er beherrscht den verdeckten Graben nicht nur technisch, sondern sorgte für betörend schwelgerische Orchestermomente, aber auch für atemlose Spannung – wie etwa bei der Trauer um Siegfried, die diesmal sogar seinen Mörder erfasste.

Phänomenale Crew

Und es lag an der phänomenalen Crew, die nach einigen Umbesetzungen im Vorfeld zu einem (Um-)Besetzungsglanzstück der Festspielchefin geriet. Vorneweg: Heldentenor-Wunderwaffe Andreas Schager mit beiden Siegfrieden. Erst da richtig bei sich, wenn es nicht mehr durchschlagender geht, dennoch auch mit gelegentlich fast zarten Tönen. Dann die charismatisch auftrumpfende Catherine Foster als Brünnhilde (in „Walküre“ und „Götterdämmerung“), aber auch ein grandioser Tomasz Konieczny mit allen Wotan- und Wanderer-Auftritten. Von Festspiellieblingen wie Klaus Florian Vogt (Siegmund) und Georg Zeppenfeld (Hunding) oder Christa Mayer als Fricka und Waltraute gar nicht erst zu reden. Kein Manko nirgends. Und eine Inszenierung auf dem Weg zu sich selbst – und vielleicht ja auch zu einem wachsenden Teil des Publikums!