Das größte Wohnbaugebiet in Stuttgart: Im Seepark in Möhringen sollen insgesamt 500 Wohnungen entstehen. Foto: Peter-Michael Petsch

Unternehmer führen das starke Interesse darauf zurück, dass Bauland knapp geworden ist.

Stuttgart - Im Ballungsraum Stuttgart sind Neubaugebiete zurzeit schon halb verkauft, bevor der erste Bauherr loslegt. Unternehmer führen dies in erster Linie auf knappes Bauland zurück – aber auch die Eurokrise trägt ihren Teil bei.

31 Reihenhäuser und 59 Wohnungen in Mehrfamilienhäusern hat die Hochtief Solutions AG aus Essen seit Anfang 2010 auf dem Gelände einer ehemaligen Ziegelei in Leinfelden-Echterdingen hochgezogen. Bis auf ein Reihenhaus und vier Wohnungen sind alle verkauft. „Unsere Erwartungen wurden mehr als erfüllt“, sagt Hochtief-Sprecherin Gabriele Stegers über den Vertrieb des Projekts „Gartenstadt am Ziegelhain“. Stegers räumt ein, dass die Nachfrage nach Wohnraum im zurückliegenden Jahr der Finanzkrise „noch mal zugenommen“ hat. Stuttgart sei aber generell eine Gegend „mit sehr hoher Nachfrage“. Große Wirtschaftskraft, viele Arbeitsplätze, beengte Verhältnisse. „Stuttgart hat mit seiner Lage keinen Raum, sich auszudehnen“, sagt Gabriele Stegers, „in der Stadt können wir Bauplätze deshalb noch schneller vermarkten.“ Das war zuletzt bei einem Projekt auf der Gänsheide zu beobachten.

Stuttgart wächst

Kein Wunder: Während die Bevölkerung Baden-Württembergs seit vier Jahren schrumpft, weil die Zuwanderung das Geburtendefizit nicht mehr aufwiegt, profitieren die Region und voran die Landeshauptstadt nach wie vor von Zuwanderung. Nach Angaben von Axel Fricke besonders in den vergangenen beiden Jahren: Während die Einwohnerzahl von 2000 bis 2009 um 10.000 Neubürger zulegte, waren es 2010 und 2011 zusammen 9500. „Wir liegen regelmäßig über unserem eigentlichen Ziel, die Einwohnerzahl zu halten“, sagt der Leiter der Stadtentwicklungsplanung. Auch die Bevölkerung der Region insgesamt, die nach Prognosen schon seit 2009 schrumpfen sollte, wächst nach wie vor. Fast 2,7 Millionen Einwohner lautete die Rekordzahl vom Stichtag 31. März 2012 – so viele Einwohner wie nie. Rolf Gaßmann vom Mieterverein Stuttgart und Umgebung kritisierte jetzt den Umstand, dass die städtischen wie die Landesstatistiker mit ihren Prognosen „ungewöhnlich stark daneben liegen“ und die Stadt damit die falschen Schlussfolgerungen für die Wohnungspolitik ziehe. Gaßmann: „Der von den Statistikern festgestellte Einwohnerverlust entspricht kaum dem in allen anderen Großstädten sich zeigenden Trend zum Wohnen in der Stadt und den Realitäten am Wohnungsmarkt in Stuttgart.“ Tatsächlich würden zu wenig Wohnungen gebaut und der ohnehin vorhandene Wohnungsmangel weiter verschärft.

Mehr als geplant

Nach den Vorgaben des Gemeinderats von 2011 sollen jährlich nicht mehr mindestens 1500, sondern nur noch 1300 Wohnungen entstehen, damit die Bevölkerung nicht schrumpft. Im vergangenen Jahr wurden aber 1417 Wohnungen fertig, im Jahr davor sogar 1550. Während die Stadt aber 2010 für lediglich 1401 Wohnungen Baugenehmigungen erteilte, waren es 2011 schon wieder ähnlich viele wie vor der Wirtschaftskrise: 1727. Bei insgesamt 4200 genehmigten, aber noch nicht gebauten Wohnungen erwartet Fricke, „dass sich die Bautätigkeit fortsetzt“. Zumal es nicht nur auf dem 20-Hektar-Baugebiet Hohlgrabenäcker in Zazenhausen mit erwarteten 450 Wohnungen brummt, sondern seit kurzem auch auf der größten Baustelle der Landeshauptstadt weitergeht: dem Seepark in Möhringen mit geplanten 500 Wohnungen.

Nur teure Wohnungen

An einem „wertstabilen Standort“ wie Stuttgart boomt der Wohnungsmarkt laut Fricke auch in Zeiten, da die Wirtschaft schwächelt. Mit der Finanzkrise und schwindenden Renditen in anderen Anlageformen sei die Stadt aber noch mehr in den Fokus der Anleger gerückt. Das Problem: Hier sind lediglich Objekte des oberen Preissegments gefragt, Wohnungen im neuen Gerber-Viertel, im geplanten Milaneo auf dem Stuttgart-21-Areal oder an Stelle des ehemaligen Mercedes-Forums an der Heilbronner Straße werden laut Fricke schnell verkauft sein. Im mittleren und unteren Segment fehle es aber an Angeboten:„Insgesamt bauen wir genügend Wohnungen, aber nicht genügend preiswerte Wohnungen.“ Wie Gabriele Stegers nennt Fricke die Kessellage als Hemmnis. Er setzt auf die Möglichkeiten durch Stuttgart 21 und den Neckarpark.

Nachfrage auch außerhalb

Aber nicht nur in Stuttgart wird schnell gebaut, wo ein Gebiet mit Straßen, Strom und Wasserleitungen erschlossen ist. Auch in Ludwigsburg, Leonberg oder Herrenberg läuft das Geschäft. Im Baugebiet an der Raingasse in Herrenberg-Affstätt etwa waren laut Rainer Stingel vom Bauverwaltungsamt 40 von 50 städtischen Grundstücken verkauft, „als die Erschließung noch nicht mal abgeschlossen war“. Der Ansturm im vergangenen halben Jahr sei auch auf das günstige Zinsniveau und die Unsicherheit auf dem Anlagemarkt zurückzuführen. „Andererseits ist die Raingasse mit 6,5 Hektar nach längerer Zeit wieder ein größeres Baugebiet bei uns“, sagt Stingel. Der Hunger nach Bauplätzen war demnach groß.

Geld lieber in werthaltige Immobilien statt in spekulative Anlagen investieren

Talsohle durchschritten

Auf Seiten der Wirtschaft tut man sich mit dem Begriff Bauboom schwer. Barbara Auer vom Verband Bauwirtschaft Baden-Württemberg sieht den aktuellen Aufschwung im Lichte der jüngeren Vergangenheit: „Wir hatten davor große Einbrüche.“ Am Ende der jüngsten Wirtschaftskrise wurden im Jahr 2010 so wenig Wohnungen wie noch nie seit der Gründung Baden-Württembergs fertig: laut Statistischem Landesamt rund 22.200. Da ist es für Auer zwar erfreulich, dass die Bauunternehmen im Land 2011 mit 11,4 Milliarden Euro elf Prozent mehr Umsatz erzielten als 2010. Andererseits war der Frühwinter so mild, dass sie etwa im Dezember durchgehend bauen konnten, und es fielen viele Feiertage auf Wochenenden.

Schon dieses Jahr rechnet Verbandspräsident Thomas Schleicher unter anderem wegen rückläufiger öffentlicher Aufträge nur noch mit einem leichten Plus von etwa zwei Prozent. Als Rettungsanker dient dabei wie im Vorjahr der Wohnbau, bei dem die Baugenehmigungen um mehr als 16 Prozent auf rund 30.500 zulegten. „Offenbar investieren viele Anleger angesichts der Euro-Krise ihr Geld lieber in werthaltige Immobilien statt in spekulative Anlagen“, sagt auch Schleicher. Der Leiter des IVD-Marktforschungsinstituts, Stephan Kippes, relativiert ähnlich wie Auer den starken Anstieg bei den Baugenehmigungen: „Die aktuellen Werte liegen auf einem sehr niedrigen Niveau. Vergleicht man das Jahresergebnis 2011 mit den Werten aus dem Jahr 1991, liegt die Veränderung bei beachtlichen minus 59 Prozent.“ Damals gab es rund 75.000 Baugenehmigungen im Land. Im Januar und Februar 2012 war die Zunahme nur noch gering. Bauwirtschaftssprecherin Auer berichtet trotzdem von ordentlich gefüllten Auftragsbüchern: „Wir hatten zuletzt über zehn Prozent mehr Auftragseingänge als zuvor.“

Mehr Aufträge

Gerd Kistenfeger von der Handwerkskammer Region Stuttgart spricht von einem Trend zu Investitionen in Immobilien und einem „Mehr an Aufträgen, von dem alle Gewerke betroffen sind.“ Das sei nicht nur der Saison geschuldet, sondern seit der Wirtschaftskrise so. Woran es mangele, seien weitere qualifizierte Fachkräfte vom Installateur bis zum Elektriker.

Preise steigen

Der Ludwigsburger Bauunternehmer Karl Strenger möchte ebenfalls nicht von einem Boom reden: „Nach der Krise war ein Nachfragestau da, der etwas abgebaut wurde“, sagt er. Strenger berichtet dagegen von „sehr, sehr knappem“ Bauland und von „akuten“ Preissteigerungen für Grund, Material und Handwerk, das sich allerdings lange zurückgehalten habe. Für das gleiche Objekt in der gleichen Lage in Ludwigsburg zahle man dieses Jahr 3300 Euro pro Quadratmeter, wo vor drei Jahren 2700 Euro fällig waren: eine Preissteigerung von rund 18 Prozent. Daran seien auch die Kommunen schuld, die ihren Baugrund vielfach an den Meistbietenden versteigerten.

Einen regelrechten Bauboom erwartet Strenger also nicht. Die verkauften Objekte auf der Hartenecker Höhe in Ludwigsburg, an der Rossbachstraße in Stuttgart-Weilimdorf oder an der Dürrstraße in Tübingen aber, da ist er sich sicher, werden ihren (erhöhten) Preis wert sein: „Im Raum Stuttgart gibt es keine Immobilienblase.“