Marc Assenheimer bei einem seiner Einsätze – hier in einem Münchner Obdachlosenheim. Foto: Emotion-Foto/Viola Hedtke Decker

Die Barber Angels schneiden Obdachlosen die Haare. Der Tübinger Marc Assenheimer ist einer von ihnen.

Tübingen - Im Speiseraum der Heilsarmee in München haben sie angefangen. Sie schoben ein paar Tische zusammen, packten ihre Scheren aus und legten lost im Männerwohnheim. „Damals hatten wir noch keine Einwegwaschhauben“, erinnert sich Marc Assenheimer an den ersten Einsatz in der Barber Angels Brotherhood. Das klingt wie ein Rockerclub, ist aber eine Truppe von Friseuren, die Obdachlosen und sozial Schwachen eine Gratisfrisur spendieren.

Mit den Bikern haben sie nur die Lederkutte gemein. „Wir wollen mit dem Outfit die Hemmschwelle nehmen, die Kutten lockern das Ganze auf“, sagt Marc Assenheimer, der in Tübingen drei Friseursalons betreibt und zu den Gründern der Barber Angels zählt.

Ein Friseurkollege aus Biberach hatte Assenheimer Ende 2016 gefragt, ob er nicht mitmachen wolle und der Tübinger ließ sich von der Idee überzeugen. Seither tourt der 50-Jährige im Schnitt einmal im Monat quer durch Deutschland, um zusammen mit anderen Barber Angels all jenen einen neuen Schnitt zu verpassen, die es sich nicht leisten können zum Friseur zu gehen und sich dort ein wenig verwöhnen zu lassen. Mal sind es Drogenabhängige in Frankfurt, mal die Bewohner der Caritas-Tagesstätte für Wohnungslose in Stuttgart. „Du darfst keine Berührungsängste haben“, sagt Assenheimer. Er stört sich nicht daran, dass Menschen vor ihm sitzen, die das Leben ganz schön verfilzt und zerzaust hat. Da bleibt die Hygiene manchmal auf der Strecke und der Kamm in der Schublade. Beim Schneiden trägt er meist Einweghandschuhe, Desinfektionssprays gehören zur Standardausrüstung. Ansonsten läuft alles wie im Salon: „Das ist mein Gast, ich gehe auf alle Wünsche ein“, sagt Assenheimer. Er hat sich vorgenommen, „immer auf Augenhöhe“ mit seiner Kundschaft umzugehen. Das fängt mit einer guten Beratung an und hört bei etwas Haargel als Finish noch lange nicht auf. Vieles bekommt Assenheimer bei den Einsätzen zu hören. Traurige Details aus Zick-zack-Lebensläufen, Geschichten, die in sozialen Abstürzen oder Arbeitslosigkeit enden. „Es kann jeder reinrutschen in eine schwierige Situation im Leben“, sagt der Tübinger Friseur. Er plädiert für etwas mehr Demut und Solidarität.

Beim Schneiden trägt Marc Assenheimer meist Einweghandschuhe

Begeistert ist der Tübinger davon, dass die Sache mit dem Barber Angels ansteckend ist. „Es werden immer mehr, das Netzwerk wächst allmählich“, sagt Assenheimer, auch er selbst hat schon Kollegen angesprochen. Längst sind die Engel ausgeflogen, in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Spanien und den Niederlanden sind rund 350 Friseure für den Verein aktiv. „Du darfst halt nicht alles dich so heranlassen“, rät Assenheimer den Neulingen im Verein. „Liebe, was du tust“, hat er sich auf Englisch auf den linken Unterarm tätowieren lassen. Das Haareschneiden gehört bei ihm definitiv dazu.