Schwimmen lernen – aber wo? Kurse und Vereine sind überfüllt. Foto: picture alliance / dpa/Jens Büttner

Schon vor Corona konnten 60 Prozent der Viertklässler nicht sicher schwimmen. Mit der Pandemie hat sich das Problem verschärft. Nun drohen Badschließungen. Eine Mutter aus Stuttgart berichtet, was das für ihre Kinder bedeutet.

Wut, Verzweiflung, Unverständnis – ein bisschen von alldem klingt in der Stimme einer 42-jährigen Frau aus Stuttgart-Vaihingen mit, wenn sie über das Thema Schwimmkurse spricht. Ihre beiden jüngeren Kinder, zehn und acht Jahre alt, wollen gerne einen Schwimmkurs machen. „Beide haben Bronze, aber nur wenig Übung, dafür umso mehr Lust auf Schwimmen“, erzählt die Mutter. Am 4. August habe eine Stuttgarter Schwimmschule um 18 Uhr die Anmeldung für ihre neuen Kurse freigeschaltet. Über diesen Termin waren die Eltern informiert worden, die bereits auf der Warteliste standen. „Um Punkt 18 Uhr war ich auf der Homepage. Trotzdem ist es mir nicht gelungen, beide Kinder anzumelden, weil der Kurs bereits ausgebucht war, als ich alle Anmeldedaten für das erste Kind eingetragen hatte“, berichtet die Mutter, die lieber anonym bleiben möchte.

 

„Schwimmkurse und Wasserzeiten in Stuttgart sind extrem rar. Der Bedarf übersteigt bei Weitem das Angebot“, bestätigt die Pressestelle der Stadt auf Anfrage. Bereits vor Corona habe in Stuttgart nur die Hälfte der Kinder nach Beendigung der Grundschulzeit sicher schwimmen können. Stuttgart steht damit auf einem der letzten Plätze im bundesweiten Städtevergleich. Die Sportverwaltung gehe davon aus, dass die Pandemie die Situation noch deutlich verschlechtert habe, da während der Lockdowns kein Schwimmunterricht an Schulen und keine Schwimmkurse stattfinden konnten.

Schwimmtrainer und Wasserfläche sind knapp

Auch Armin Flohr, der Präsident der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft (DLRG) Württemberg, spricht von einem „enormen Rückstau“. Das Kultusministerium habe das erkannt und im vorigen Jahr mit massiver finanzieller Anstrengung versucht, „zu retten, was noch zu retten ist“. Was er damit meint, sind die vielen Schwimmkurse, die von Vereinen, Kommunen und privaten Schwimmschulen in den vergangenen Monaten wieder angeboten worden seien. „Wir haben uns alle zusammengetan, um möglichst viel aufzuholen“, sagt Armin Flohr.

Doch das sei nicht leicht. „Corona hat Spuren hinterlassen“, sagt der DLRG-Präsident. Zum einen habe die Pandemie die erforderlichen Schulungen der Ausbilder verzögert oder gar verhindert. „Uns fehlt der Nachwuchs“, sagt Flohr. Schwerer wiege aber der Mangel an Wasserflächen. In manchen Kommunen – aber nicht in Stuttgart – seien die Bäder nach den Lockdowns nicht wieder geöffnet worden. Flohr hat den Eindruck, dass „einige froh waren, ihr Hallenbad, das schon immer ein Zuschussgeschäft war, endlich zulassen zu können“ – sei es unter dem Vorwand einer erforderlichen Sanierung, sei es aus anderen Gründen.

Freie Plätze bei der Stuttgarter Schwimmschule

Anto Schiller hat auch eine gute Nachricht: Wer wirklich einen Schwimmkurs wolle und zeitlich sowie örtlich flexibel sei, bekomme auch einen, sagt der Geschäftsführer der Stuttgarter Schwimmschule. Die gemeinnützige GmbH hat mehr als 40 Trainer, die in den verschiedenen Kursen vor den Sommerferien 1200 Kinder unterrichteten. „Es hätten auch mehr sein könne, es gab noch freie Plätze“, sagt Anto Schiller. Allerdings seien dieses Kurse dann nicht unbedingt zu den Wunschterminen und in den Wunschbädern gewesen. Und die Preise seien höher als in einem Verein, denn ein solcher werde anders gefördert. Doch würden in der Schwimmschule die Familien- und Bonuskarten angerechnet. An den finanziellen Möglichkeiten der Eltern würde die Teilnahme an einem Kurs nicht scheitern, sagt Anto Schiller und ergänzt. „Wir haben auch Kinder aus Flüchtlingsfamilien bei uns.“

Die Schwimmvereine sind voll

Die Mutter aus Vaihingen würde ihre Kinder auch gern in einem Schwimmverein anmelden. Doch die seien voll, es gebe lange Wartelisten oder die Wartelisten seien sogar geschlossen. Das bestätigt Emanuel Vailakis: „Der Druck an der Basis ist enorm, die Nachfrage ist gigantisch“, sagt der Geschäftsführer des Schwimmverbands Württemberg, der Dachorganisation der Schwimmvereine. Er spricht von einer „Welle von Nichtschwimmern“, die mit Corona noch höher geworden sei. Auch er sagt, dass der Engpass die geringen Wasserflächen seien. Nach den pandemiebedingten Bäderschließungen und der Aufholjagd beim Thema Schwimmkursen in den vergangenen Monaten befürchtet er nun, „dass wegen der Energiekrise alles wieder von vorne losgeht“, dass wieder Hallenbäder geschlossen beziehungsweise gar nicht erst geöffnet werden.

Diese Sorge hat auch Jens Böhm von den Stuttgarter Bäderbetrieben. Auch diese bieten Schwimmkurse an. Für die, welche im Herbst beginnen, kann man sich aber noch nicht anmelden. Der Grund: „Wir wollen nach Möglichkeit vorher Gewissheit haben, ob wir die Hallenbäder angesichts der drohenden Gasknappheit wieder öffnen dürfen“, sagt der Pressesprecher.

Die Bäderallianz Deutschland hat dazu Anfang August ein Positionspapier veröffentlicht, sowohl die DLRG als auch der Schwimmverband Württemberg unterstützen es. Die Allianz bezeichnet sich als Sprachrohr aller relevanten Interessensträger der deutschen Bäder. Sie fordert, die Bäder so lange offen zu lassen, wie es die Gasversorgung Deutschlands erlaubt. „Nach drei Jahrgängen der Nichtschwimmer und dringend notwendigen Gesundheitstherapien sind Bäder dafür unverzichtbar“, heißt es in dem Papier. Erst wenn es der Notfallplan Gas in Stufe 3 notwendig mache, solle das Angebot in drei Stufen reduziert werden. In Stufe 1 sollen Freibäder nicht mehr mit Wärme versorgt und Warmwasseraußenbecken geschlossen werden. In Stufe zwei alle Becken außer Sport- und Lehrschwimmbecken geschlossen werden. In der letzten Stufe solle die Wassertemperatur in den verbliebenen Becken auf maximal 26 Grad reduziert werden. In größeren Kommunen sei auch ein Bündeln der Wassernutzung möglich.

Die Situation in Stuttgart

Bäder
Infolge der Energiekrise verzichten die Stuttgarter Freibäder seit dem 1. Juli auf die Wassererwärmung mit Gas und heizen stattdessen ausschließlich mithilfe von Solarenergie. Die meisten Stuttgarter Hallenbäder und Thermen sind allerdings vom Gas abhängig. Nicht vom Gas abhängig, weil mit Fernwärme betrieben, sind das Hallenbad Heslach, das derzeit aber ohnehin saniert wird, das Leo-Vetter-Bad und das Solebad Cannstatt. Das neu gebaute und zu 100 Prozent klimaneutrale Sportbad-Neckarpark kommt ebenfalls ohne fossile Energien aus.

Schwimmfit
Das Amt für Sport und Bewegung, das Schulverwaltungsamts und die Bäderbetriebe haben vor einigen Jahren in Kooperation mit Sportvereinen und privaten Schwimmschulen das Programm „Schwimmfit“ auf den Weg gebracht. Nach den Sommerferien sollen 40 neue Kurse beginnen, für die man sich ab sofort unter www.schwimmfit-stuttgart.de anmelden kann.

Schwimm-Fidel
Beim baden-württembergischen Pilotprogramm „Schwimm-Fidel – ab ins Wasser!“ kooperieren Kindertageseinrichtungen mit Schwimmvereinen und DLRG-Ortsgruppen. So wird Vorschulkindern eine kostenlose Teilnahme an Schwimmkursen ermöglicht. Das Land bezuschusst diese Kurse mit 600 Euro. Das Programm gibt es seit April 2022, es wurde jetzt um ein Jahr verlängert. atz