Baden-Württemberg ist das seismisch aktivste Bundesland. (Symbolbild) Foto: IMAGO/Panthermedia/Destina

Baden-Württemberg ist das seismisch aktivste Bundesland in Deutschland. Vor allem der Oberrheingraben, die Zollernalb und die Bodenseeregion sind davon betroffen. Wie wahrscheinlich ist die Gefahr eines heftigen Bebens?

Die Betroffenheit angesichts des verheerenden Erbebens in der Türkei und in Syrien ist auch in Deutschland groß. Viele stellen sich nun die Frage, ob es auch in Baden-Württemberg zu einer Naturkatastrophe solchen Ausmaßes kommen könnte. Schließlich ist der Südwesten das seismisch aktivste Bundesland.

Doch Experten schätzen die Gefahr eines so schrecklichen Erdbebens wie hier für gering ein. Erdbeben weit über der Stärke 7 seien sowohl am Oberrhein als auch auf der Zollernalb aufgrund der dortigen Struktur unwahrscheinlich, teilte Martin Hensch vom Landeserdbebendienst (LED) beim Regierungspräsidium Freiburg mit.

Im Südwesten gibt es Schwächezonen

„Am häufigsten und am stärksten treten Erdbeben weltweit an den Grenzen zwischen tektonischen Platten auf“, erklärte er. Man spreche von „Interplattenseismizität“; der Wortteil inter bedeutet zwischen. „Das ist auch jetzt in der südöstlichen Türkei der Fall, wo sich die anatolische und die arabische Platte horizontal zueinander verschieben.“ Unter Baden-Württemberg verlaufen hingegen keine direkten Plattengrenzen. Die Region liegt auf der eurasischen Platte - ein gutes Stück nördlich der Plattengrenze.

Hier gebe es aber sogenannte Schwächezonen wie den Oberrheingraben und die Albstadtscherzone auf der Zollernalb, erläuterte Hensch. Dort würden Erdbeben hauptsächlich durch Druck der afrikanischen Platte auf die eurasische Platte erzeugt. Die Rede ist dann von „Intraplattenseismizität“; intra für innerhalb. Die Kollision der beiden Platten hat unter anderem auch die Alpen aufgefaltet. Die seismisch aktivsten Regionen in Baden-Württemberg seien der Oberrheingraben, die Zollernalb und die Bodenseeregion.

Kein Vergleich zu Erdbebengebieten

Dennoch sei die Aktivität im weltweiten Vergleich als moderat zu bezeichnen und keineswegs vergleichbar mit den Erdbebengebieten an tektonischen Plattengrenzen, betonte Hensch. „Schwache, in der Regel nicht spürbare Erdbeben werden in Baden-Württemberg täglich gemessen.“ Durchschnittlich einmal pro Monat komme es auch zu lokal leicht spürbaren Erdbeben. Und etwa einmal pro Jahrzehnt sei hier mit mittelstarken Erdbeben zu rechnen, die regional zu Gebäudeschäden und Betriebsstörungen in größerem Umfang führen können.

„Starke Erdbeben mit katastrophalen Auswirkungen sind in Baden-Württemberg zwar sehr selten, aber nicht ausgeschlossen“, erklärte der Experte. Ein Erdbeben wie jetzt in der Türkei sei aber im Südwesten nicht überliefert und nur schwer vorstellbar. Letztlich ließen sich Erdbeben jedoch nicht vorhersagen.

Schwierige Vorhersagen

Die stärksten registrierten Erdbeben in Baden-Württemberg traten den Angaben zufolge auf der Albstadtscherzone 1911 (etwa Stärke 6), 1943 (etwa Stärke 5,7) und 1978 (etwa Stärke 5,7) sowie am Oberrheingraben zuletzt 2004 bei Waldkirch (Stärke 5,4) auf. „Historisch belegt sind aus den vergangenen Jahrhunderten Erdbeben um schätzungsweise Stärke 6, hauptsächlich am Oberrheingraben“, so Hensch. Das stärkste überlieferte Erdbeben im Dreiländereck trat 1356 bei Basel auf. Die Stärke werde von verschiedenen Quellen auf etwa bis zu 6,9 geschätzt.

Zur Einordnung: Skalen zur Messung von Erdbebenstärken sind logarithmisch. Das heißt, dass ein Erdbeben der Stärke 7,8 - in der Türkei waren es nun 7,7 - rund 20 bis 25 Mal stärker ist als eines der Stärke 6,9. Die maximale Stärke eines Erdbebens hänge maßgeblich von der Größe seiner Bruchfläche ab, erklärte der Fachmann - und diese sei durch die Ausdehnung der tektonischen Strukturen begrenzt. Daher werde auch davon ausgegangen, dass Erdbeben weit über Stärke 7 in der Region Baden-Württemberg unwahrscheinlich sind.

Da sich Ort, Zeitpunkt und Stärke von Erdbeben nicht vorhersagen lassen, bleibt Hensch zufolge lediglich eine Gefährdungsabschätzung für unterschiedliche Regionen. Dafür ziehen die Fachleute tektonische Strukturen und historische Erdbebenaktivität zurate. „Zielsetzung ist hier die bestmögliche Vorsorge“, erklärte der Experte - etwa in Form von Bauvorschriften und Ablaufplänen für Behörden im Erdbebenfall.