Die Familie Bertsch aus Backnang freut sich über ihre Beute – wie auch die anderen Besucher, die sich ein Stück Kino mit nach Hause nehmen können. Foto: /Edgar Layher (2), 7aktuell/Kevin Lermer

Im Kino klappern die Schraubenschlüssel: Am Dienstag gab es einen regelrechten Run auf das Universum in Backnang. Die Besucher durften sich Kinositze mitnehmen – wir waren dabei.

Der Abspann von „Manta, Manta 2“ läuft. Til Schweiger und Co. geben ein paar letzte Gags zum Besten – und das Publikum krümmt sich auf dem Boden. Nicht unbedingt wegen der Komik, stattdessen zücken die Besucher Gabel- und Inbusschlüssel. Sie beginnen, ihre Klappsessel auseinander zu nehmen. Unter den Augen des Kinopersonals, das amüsiert zuschaut.

Das Backnanger Kino Universum renoviert seinen Saal 2, und um Platz für dieses Vorhaben zu schaffen, hat sich die Betreiberfamilie Eppler eine Aktion ausgedacht, die eine Win-Win-Situation für alle bedeutet. Die Kinobesucher dürfen nach der – vorerst – letzten Vorstellung im Saal die von ihnen gebuchten Sessel mitnehmen. „Dadurch sparen wir uns das Abbauen und die Entsorgungskosten, und die Leute können sich ein echtes Stück Kino nach Hause nehmen“, sagt die Juniorchefin Julia Eppler. „Ich hoffe nur, dass nicht auch die Besucher der anderen ‚Manta-Manta’-Vorstellung in Saal 1 auch noch anfangen, ihre Sitze abzubauen.“

Das Interesse an der cineastischen Entrümpelungsaktion ist riesig. Immer wieder klingelt bei Eppler das Telefon: Ob es Sinn habe, herzukommen und abzuwarten, ob ein Sitz übrig bleibt, will beispielsweise eine Frau wissen. Eppler verneint: „Wir hätten den Saal heute zweimal ausbuchen können, wir haben sogar eine Warteliste, falls etwas übrig bleiben sollte.“

„Manta, Manta“ mit Til Schweiger ist kein Zufall

Die Filmauswahl für die letzte Vorstellung im alten Saal ist kein Zufall. „Manta, Manta, zwoter Teil“ sei zwar ganz ordentlich angelaufen, versichert Julia Eppler, die Tickets würden sich auch ohne die Sitzmitnahme ganz gut verkaufen. „Wir dachten einfach, es ist ein Schrauberfilm, also passt das doch ganz gut.“

Kurz darauf klappern oben im Saal 2 die Schraubenschlüssel. Zwei junge Männer erzählen, sie planten ein Heimkino mit Beamer. In Reihe 1 und 2 schraubt Familie Bertsch aus Backnang: „Die Sitze sind richtig zum Klappen, genau das hatte ich gehofft“, sagt der Vater Dietmar Bertsch, während er mit seinem Sohn Manuel den Schlüssel schwingt. Was sie mit den vier Sesseln machen? „Einer kommt in eine Studenten-WG, bei den anderen müssen wir mal schauen“, sagt Dietmar Bertsch. Die Chance, einen echten Kinosessel zu ergattern, hat man schließlich nicht alle Tage. Zeit für lange Überlegungen blieb angesichts des Runs auf die Kinotickets ohnehin nicht.

Irgendwann kommt es zum Unvermeidlichen. Zwei junge Männer haben sich an den Schrauben ihrer Sitze vorangearbeitet. Dann kommen sie an der Armlehne zwischen den Sesseln an – die große Frage: Wer bekommt sie? Extra-Armlehnen gibt es keine. Die beiden erheben sich, es kommt zum Duell. Papier schlägt Stein. Schnick-Schnack-Schnuck hat entschieden. Ein Grinsen, ein Händedruck, und die Armlehne wandert zum neuen Besitzer. Konflikte auszutragen kann so einfach sein.

Das Kino Universum hat fünf Säle, die alle paar Jahre renoviert werden. Diesmal ist der 100 Besucher fassende Saal 2 an der Reihe. „Wir wollen dort mehr Bequemlichkeit, eine noch heimeligere Atmosphäre schaffen“, erklärt Julia Eppler. Das bedeutet zwar weniger Sitzplätze, aber auch Annehmlichkeiten wie Fußablagen in der ersten Reihe. „Damit eignet sich der Saal dann bestimmt sehr gut für Sondervorstellungen oder Gaming-Events.“ Eigentlich war geplant, den Saal bereits Ende April wieder zu öffnen. Aber es ist das Jahr 2023, Abweichungen vom Plan sind vielerorts die Regel, und die maßgefertigten neuen Kinomöbel brauchen ein wenig länger.

Wie genau der Saal dann aussehen wird, mag Eppler noch nicht verraten: „Er wird den Stil des neuen Foyers mit dem Charme der alten Säle verbinden – und die grüne Farbe wird sich auch wiederfinden.“

Manche fahren mit dem gemieteten Transporter beim Kino vor

Bei den Kinosessel-Schraubern kristallisieren sich derweil zwei Lager heraus: Jene, die die Sessel in ihre Kleinteile zerlegen – und jene, die nur die nötigsten Schrauben lösen und die Sessel im Verbund abtransportieren. Sie scheinen schneller fertig zu sein. „Das ist ja gar nicht so leicht wie man denkt“, keucht ein Herr, der zusammen mit seinem Sohn drei komplette Sessel die große Treppe des Kinos herunter schleppt.

Doch egal auf welche Weise: Runter kommen sie immer. Für einige beginnt nun der lange Marsch zu den Parkplätzen, die Kleinteile ihrer neuen alten Sessel haben sie für den Transport in leere Popcorneimer verstaut. Andere haben sich einen Platz in der Poleposition gesichert: Direkt vor dem Kinoeingang steht ein Miettransporter. Julia Eppler sieht zu, wie sich der Saal immer weiter leert. Bei ihr mischt sich Erleichterung darüber, dass der Abbau schnell geht und keinen Cent kostet, mit ein bisschen Wehmut: „Es ist schon seltsam zu sehen, wie das alles abgebaut wird. Aber ich freue mich auch auf das, was danach geplant ist. Und vielleicht schicken uns einige Besucher ja Fotos vom nächsten Leben der Sessel.“