Auf den ersten Blick hat sich rund um das Backnanger Rathaus in rund 90 Jahren nicht allzu viel verändert – doch beim genaueren Hinsehen fallen die Unterschiede im Detail auf. Foto: Frank Eppler

Ein neues Buch zeigt die Murrmetropole in alten Fotos. Der Betrachter sieht, wie die Backnanger vor 100  Jahren arbeiteten, lebten – und, welche Bademode sie trugen.

Backnang - Zwischen dem Stadtbild auf dem Foto und der Gegenwart liegen rund 90 Jahre. Auf den ersten Blick hat sich rund um das Backnanger Rathaus nicht viel getan – doch der Unterschied liegt im Detail. Vor einem knappen Jahrhundert war Fachwerk offenbar weniger in Mode. Ein laternenartiges Gebilde, das auf dem Foto zu erkennen ist, steht heute nicht mehr da, auch seltsame Kästen auf den Dächern gegenüber des Rathauses sind heute verschwunden.

Der Backnanger Peter Wolf kennt die Geschichten zu diesen Details – kein Wunder, denn für das jüngst im Sutton-Verlag erschienene Buch „Streifzüge durch Backnang“, in dem das historische Foto abgedruckt ist, hat er unzählige historische Aufnahmen gesichtet, geordnet und zu ihnen recherchiert. Zum unsichtbaren Fachwerk erklärt er: „Das sind schon Fachwerkhäuser, nur wurde das Fachwerk überputzt, aus Brandschutzgründen.“ Das sei eine Lehre gewesen, die die Backnanger 1693 aus dem großen Stadtbrand ziehen mussten. Und die seltsame Laterne links unten? „Das ist eine Zapfsäule, wahrscheinlich gehörte sie zur Apotheke, die sich dahinter befand.“ Tanken mitten auf der Marktstraße – im Jahr 1928, als Autos noch nicht allzu weit verbreitet waren, war das noch möglich. Die Kästen auf den Dächern hingegen, so Wolf, seien Teile der Telefonleitungen.

„Mir hen koi Zeit g’hett zom Fotografiera“

Die Idee zu einer Art Stadtführer aus historischen Bildern gärte schon lange in dem gelernten Fotografen: „Die Idee hatte ich schon 2006, da war gerade mein erstes Buch herausgekommen.“ Damals hatte er sich mit dem „Arbeiten und Leben in Backnang“ befasst. Bei der Arbeit an seinem neuen Buch halfen dem Mitglied des Heimat- und Kunstvereins auch die Kontakte, die er über seine Ausstellungsreihe „Backnang im Zeitspiegel“ knüpft, die viermal im Jahr im Helferhaus zu sehen ist. Die Bilder für sein Buch fand er im Stadtarchiv, aber auch bei Privatleuten. Das war nicht immer einfach: „Besonders Innenaufnahmen von Geschäften waren oft schwer zu bekommen“, erzählt Wolf. Denn im Dunkeln fotografierte es sich vor hundert Jahren noch nicht gut – das Festhalten von Erinnerungen war damals schwerer als im Zeitalter der Smartphones. Das war nicht die einzige Schwierigkeit: „Mir hen koi Zeit g’hett zum Fotografiera – mir hen schaffa miassa“, meinte ein Backnanger, den Wolf nach alten Bildern gefragt hatte.

Der Herr von einst badete in der Murr – abseits der Damen

Zum Glück ging es offensichtlich nicht allen so: Über rund 180 Fotos aus der Zeit von der Jahrhundertwende bis zu den 1970er-Jahren kann der Betrachter in die Vergangenheit der Murrmetropole eintauchen. Das Buch ist wie gemacht dazu, es auf einen Stadtspaziergang mitzunehmen. Zu sehen gibt es aber nicht nur den baulichen, sondern auch den wirtschaftlichen Wandel. Da dürfen in der Gerberstadt Arbeiter und Arbeiterinnen nicht fehlen, die am Güterbahnhof Eichenrinde abladen, die für das pflanzliche Gerben nötig ist. Ein anderes Foto zeigt Bauarbeiter, die in schwindelerregender Höhe am neuen Viadukt arbeiten – im Jahr 1938 errichtet, wurde es am Ende des 2. Weltkriegs von deutschen Truppen gesprengt. Auch die Backnanger Tage des Nutzfahrzeugbauers Kaelble sind schon länger vorbei.

Und dann gibt es natürlich die Fotos von Backnanger Bürgern. Etwa vom Mediziner Emil Dorn in seinem Auto – aufgenommen um 1910. Der Stolz auf das elektrisch betriebene Vehikel ist ihm deutlich anzusehen. Oder Würdenträger, die mit geschwellter Brust vor dem neuen Wetterhahn für den Stadtturm posieren. Männer und Jungs in eigentümlicher Badekleidung, die sich um 1900 vor dem „Herrenbad“ in der Murr fotografieren ließen. All diese Bilder machen das Buch erst richtig lebendig – und wer weiß, vielleicht rufen sie bei einigen Lesern ja auch eigene Erinnerungen wach.