Deutsch-Amerikaner feiern ihr kulturelles Erbe in den USA mit einem Cannstatter Volksfest. Foto: AP

Der Großraum New York ist lange eine Hochburg der Schwaben in Amerika gewesen. Doch damit geht es allmählich zu Ende, weil der Nachwuchs ausbleibt. Ein Besuch beim Cannstatter Volksfestverein in New Jersey.

Warren/New Jersey - Hans Geprägs lächelt verkniffen. „Mir schwätzet halt no a bissle“, sagt er unüberhörbar auf Schwäbisch. Dabei schwingt aber eine gehörige Portion Wehmut mit: „Wir sind nur noch alte Leute. Die Jungen bleiben weg, weil wir ihnen nichts bieten.“ Er deutet dabei auf seine Tischnachbarn. Zehn betagte Männer, die meisten in ihren 80ern, sitzen an diesem Mittag an fein gedeckter Tafel beim Edelitaliener Prezzo in Warren, New Jersey, gut 40 Autominuten südlich von New York, zu kalifornischem Merlot und Kalbfleisch beisammen. Es ist die erste ordentliche Versammlung des traditionsreichen „Cannstatter Volksfestvereins von New York und New Jersey“ im Jahr 2015. Oder vielmehr das, was noch davon übrig ist.

Aus Sehnsucht nach der Heimat wurde der Verein einst 1862 von geschäftstüchtigen Schwaben in New York gegründet. Das Cannstatter Volksfest, das der Verein in der Neuen Welt veranstaltete, dauerte früher einmal sieben Tage. Man führte schwäbische Mundartstücke auf, veranstaltete Hasenjagden und aß Maultaschen.

Und die Vereinsmitglieder genossen hohes Ansehen. In der letzten großen deutschen Auswandererwelle in die USA in den 50er und 60er Jahren kamen in der Mehrzahl Handwerker, Bäcker, Metzger, Dekorateure, die – da Mangelware im boomenden Nachkriegsamerika – in der Regel einen steilen wirtschaftlichen Aufstieg hinlegten. „Ursprünglich musste man in Württemberg geboren sein und brauchte zur Aufnahme zwei Bürgen“, erzählt Hans Geprägs, ein Vermessungsingenieur, der in Münsingen geboren ist und dem Verein seit 1970 angehört.

Der Kontakt in die alte Heimat bleibt

Doch inzwischen sind viele der Mitglieder verstorben, im Altenheim oder haben sich im sonnigeren Florida zur Ruhe gesetzt. „Die besten Zeiten liegen hinter uns“, sagt Geprägs. Der Verein hat heute noch 27 Mitglieder, darunter ein harter Kern von zehn. Zu wenig, um noch ein Cannstatter Volksfest zu veranstalten. Das letzte fand Anfang der 2000er Jahre statt. Heute begnügt man sich damit, eine kleine Abordnung auf die jeden September stattfindende Steuben-Parade, den ehrwürdigen Festumzug zur Feier deutsch-amerikanischer Traditionen auf der New Yorker Fifth Avenue, zu schicken. Außerdem trifft man sich ungefähr alle zwei Monate und unternimmt hin und wieder gemeinsame Ausflüge.

Die Geselligkeit, das Gespräch über private Ereignisse oder politische Entwicklungen stehen dann im Vordergrund. Auch der Kontakt in die alte Heimat ist selbst nach Jahrzehnten in den USA noch wichtig. „Als ich nach Amerika bin, haben Fritz und Ottmar Walter noch Fußball gespielt“, erzählt Dieter Hekler, der aus der Nähe von Heilbronn stammt. „Heute bin ich Hoffenheim-Fan und höre zu Hause viel Deutsche Welle.“

Und Robert Zirn, 88, aus Altshausen in der Nähe von Ravensburg will dem Reporter auf Besuch unbedingt in den Block diktieren: „Ihr habt viel zu viele englische Wörter in den deutschen Zeitungen“, meint der gelernte Schneider, der seit 1958 in den USA lebt und sich zum Datenverarbeiter umschulen ließ. Längst nehmen es die US-Cannstatter mit dem einst so strikten Aufnahmekriterium der Geburt im Schwabenland nicht mehr so genau. „Für mich sind unsere Treffen wichtig, weil ich dort alte Freunde treffe“, sagt Eugen Hefele. Der 79-Jährige ist eigentlich Münchner.

Heute ist der runde Konditor, der zuletzt als Immobilienhändler gearbeitet hat, als Vizepräsident im Verein aktiv. Und nahezu alle amerikanischen Schwaben reisen noch regelmäßig in die alte Heimat: „Ein- bis zweimal im Jahr“, sagt Hans Geprägs, der gerade vom Skiurlaub mit der Familie in Europa zurückgekehrt ist. „Das ist gut für die Seele.“

Im Sommer ist jeden Sonntag Bierfest

Und wo pflegen die Amerika-Schwaben noch ihre schwäbische Lebensart? „Ich singe im Schwäbischen Sängerbund“, erzählt Geprägs. Dort singen die 70 Mitglieder neben amerikanischen Liedern auch noch „Jetzt gang i ans Brünnele“ oder „Wir wandern heut’ ins Schwabenland“. Und der Deutsche Club in Clark, New Jersey, veranstaltet im Sommer jeden Sonntag ein Bierfest. Vor allem letzteres prägte schon im 19. Jahrhundert das Klischee von den trinkfesten Deutschen: „Die Italiener stürmten die Rathäuser und die Deutschen die Bierhallen“, so eine populäre amerikanische Redensart.

Obwohl ihr Einfluss auf die amerikanische Kultur nicht zu unterschätzen ist, haben die Schwaben wie die meisten anderen deutschen Einwanderer ihre kulturellen Wurzeln heruntergespielt. Zuletzt nach dem Zweiten Weltkrieg wollte man antideutschen Ressentiments aus dem Weg gehen und assimilierte sich, soweit es irgend ging. Von den Kindern der schwäbischen Emigranten beherrschen nur noch die allerwenigsten richtig Deutsch. „Mein Sohn ist aber noch sehr an Deutschland interessiert“, sagt Hans Geprägs.

Die kulinarischen Prägungen aus ihrer Jugend können die schwäbischen Amerikaner aber nur noch selten in Restaurants pflegen. „Es gibt immer weniger deutsche Lokale, wo man noch gute Käsespätzle, einen Sauerbraten oder Rouladen serviert bekommt“, erzählt er. Das müsse man zu Hause selbst zubereiten, damit die alte Heimat nicht mehr so weit weg scheint.

Seit 1933: Der Cannstatter Damenverein in New York

Derweil beschäftigt in einem Nebenzimmer die Zukunft ihres Vereins auch eine kleine Schar von Frauen. Es ist der harte Kern des 1933 in New York gegründeten selbstständigen „Cannstatter Damenvereins“. Diesem gehören heute noch rund 25 weibliche Mitglieder an. „Wenn wir als Club zusammenbleiben wollen, sollten wir auch wieder eine richtige Weihnachtsfeier veranstalten“, fordert eine der Teilnehmerinnen vehement. Sie kritisiert den Mangel an Atmosphäre bei der letzten Feier und streut dazu in ihren englischen Redefluss auch das deutsche Wort „Stimmung“ ein. „Früher machten die Kinder Weihnachten aus, aber wir haben leider nur noch wenige“, beklagt s

Längst angekommen in der amerikanischen Einwanderergegenwart

„Unsere Kinder sind nicht mehr interessiert“, bestätigt auch Trude Klein, die energiegeladene frühere Präsidentin des Damenvereins. Bis vor kurzem organisierten die Frauen einmal im Jahr eine Modenschau, um damit Spendengelder für wohltätige Zwecke, etwa für deutsche Altenheime oder die deutsche Sprachschule, zu sammeln. Doch auch sie schaffen es nicht mehr. Längst sind sie alle in der amerikanischen Einwanderergegenwart angekommen.

Anneliese Gartner, eine Norddeutsche, die wegen ihres Lebenspartners einmal im Jahr nach Schwäbisch Gmünd reist, absolviert gerade einen Spanischkurs, damit sie mit ihrer Schwiegertochter kommunizieren kann. Eine andere beschreibt, wie sie mit ihrem jüdischen Schwiegersohn und dessen Familie zusammen Weihnachten feiert.

Die fast erblindete 81-jährige Trude Klein kam 1954 nach Amerika. Sie half mehrfach, die Steuben-Parade mit zu organisieren. „Wir hatten den Drang, was Besseres zu werden“, erinnert sich die langjährige Reisebüroangestellte an ihre Motive zum Auswandern. Sie war ungeduldig mit dem Wiederaufbau im Nachkriegsdeutschland. „Meine Familie war dreimal ausgebombt und arm. Ich sagte, wenn es gutgeht, kommt ihr alle nach.“ Klein hat die ganze Familie in die USA geholt. Sie lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass Amerika gut zu ihr war. „Die USA heißen einen willkommen. Hier kann man sein, wie man will“, sagt sie. Aber die stämmige Frau fügt hinzu: „Ich bin in Amerika zu Hause, aber im Herzen bin ich deutsch.“

Das Gleiche lässt sich für die allermeisten Mitglieder des Cannstatter Volksfestvereins in New Jersey sagen. Und auch wenn die Kräfte schwinden und manch einer bei den Versammlungen inzwischen weniger aktiv an den Unterhaltungen teilnimmt, wollen sie die freundlichen und fröhlichen schwäbischen Zusammenkünfte nicht missen. „Es ist doch schön, mit Menschen zusammenzukommen, mit denen ich an meine Vergangenheit anknüpfen kann“, sagt einer der Männer, bevor er sich auf dem Parkplatz vor dem Italiener in Warren in die kleine Parade der Mercedes-Limousinen auf dem Heimweg einreiht.