Vom Turm auf dem Burgholzhof in Bad Cannstatt hat man die vielleicht beste Aussicht auf Stuttgart und die Region. Dass Besucher diese genießen können, ist auch Hans Betsch zu verdanken.
Stuttgart - Alles ist blitzblank. Nicht ein Krümelchen knirscht unter Hans Betsch’ Sommersandalen. Er wird die Sauberkeit auf der Plattform des Burgholzhofturmes wohlwollend zur Kenntnis nehmen. Denn es gab Zeiten, da stand er hier oben knöcheltief im Taubenmist. Von Mitte der 1960er bis Mitte der 1980er war der Aufstieg nicht gestattet – aus Sicherheitsgründen. Während die Stadt eine Sanierung wegen der Kosten hinausschob, mauserte sich der Turm zum größten Taubenklo Stuttgarts.
Dass heute wieder Menschen die Aussicht genießen können, und das ganz ohne Dreck, ist dem Verein Pro Alt-Cannstatt zu verdanken. Der hat 1985 wortwörtlich ausgemistet. Fünf Zentner Vogelkacke entfernten die Mitglieder. Und schmissen die Masse nicht weg, sondern setzten sie in Szene. 118 Säcke, befüllt mit je fünf Pfund Dung, verkauften Hans Betsch und andere knitze Bürger auf dem Maimarkt für je eine Mark. Reich wurde der Heimatclub so nicht, aber berühmt. „Das war gedacht, um Aufsehen zu erregen, damit die Stadt den Turm endlich saniert und er nicht verfällt“, sagt Hans Betsch. Und tatsächlich: Mitte 1987 wurde der runderneuerte denkmalgeschützte Turm wieder aufgesperrt. Bei Hans Betsch schwingt Stolz mit, „wenn man weiß, dass man gekämpft hat“.
Die 100 Stufen über die Holztreppe sind leicht zu meistern. Wer doch ins Schwitzen kommt, kühlt oben rasch wieder ab. Auf dem höchsten Punkt Bad Cannstatts – 358 Meter plus 18,7 Meter bis zur Plattform – weht der Wind frisch, das Zipfelmützen-Dach spendet Schatten. Die Aussicht ist zweifelsohne eine der besten in Stuttgart. Vielleicht die beste. Neckar, Wasen, Stadion, Bahnhof liegen einem zu Füßen. Das Auge fährt mit Leichtigkeit über die Stuttgarter Hügel, den Birkenkopf, den Killesberg oder den Hasenberg, und schwappt in die umliegenden Kommunen. Esslingen, Fellbach, Kornwestheim, am Horizont Alb, Hohenasperg, Stromberg, Löwensteiner Berge und Welzheimer Wald. „Das Besondere ist die Rundumsicht.“ Für Hans Betsch steht fest: „Es gibt nichts Besseres.“
Ganz unparteiisch ist er wohl nicht. Der 76-jährige ehemalige Elektroinstallateur nennt sich Ur-Cannstatter. Den Vorsitz von Pro Alt-Cannstatt hat der Mann mit dem markant gezwirbelten Schnauzer 2016 zwar nach 16 Jahren gegen den Ehrenvorsitzen getauscht, Führungen und Referate über seinen Bezirk sind aber nach wie vor seine Lieblingsbeschäftigung. „Wenn Sie sagen, mach einen Vortrag über Cannstatt über zwei Stunden, fange ich sofort an“, sagt er. Aktuell arbeitet er an einem Kalender. Thema: alt und neu. Hans Betsch zückt seine Kamera, drückt in Richtung Neckar ab und holt eine Schwarzweiß-Postkarte hervor. Er studiert die Aufnahme, die mutmaßlich ebenfalls vom Turm aus gemacht wurde. „Der Gaskessel ist ganz neu, da glänzt er noch.“ Sein Tipp: 30er Jahre.
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Der Aussichtsturm kommt zwar römisch daher, ist aber tatsächlich erst Ende des 19. Jahrhunderts vom Cannstatter Verschönerungsverein erbaut worden – als reiner Freizeitausguck. Bis heute ist der Burgholzhof ein beliebtes Ausflugsziel. Denn der spektakuläre Blick auf den Kessel ist nicht nur an Silvester heiß begehrt. Im Sommer genießen Spaziergänger die Sicht von der Württembergischen Weinstraße hinab ins Tal und schlotzen ein Viertele. An Sommerwochenenden sperrt immer ein anderer Verein das massive Metallgitter zum Turm auf, stellt Sitzgarnituren in den Schatten und bewirtet. Hans Betsch legt ein Gewinnerlächeln auf. Bei der Eröffnung habe es geheißen, dass die Stadt kein Geld für einen Türmer habe, daher hätten seinerzeit die Vereine angeboten, den Job zu übernehmen. „Die Stadt hat gesagt, da seid ihr blauäugig. Heute haben wir 2019, und die Vereine stehen Schlange.“
Der Senior steht auf dem einzigen der großen Stuttgarter Aussichtstürme, der die beiden Kriege überstanden hat, und blickt in die Ferne. Das laue Lüftchen lässt sein Sommerhemd flattern. „Ich würde meinen Garten nie mit Taubenmist düngen“, sagt Hans Betsch unvermittelt. Tauben schieden Körner und Samen wieder unverdaut aus. Er lacht. „Ich will ja kein Unkraut in meinem Garten.“
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