Konfrontation in der Kegelenstraße: Die Polizei riegelt beim Cannstatter Bahnhof die Fangruppen ab Foto: 7aktuell.de/

Mit drei Schüssen in die Luft hat sich ein Polizeibeamter vor Gewalttätern nach dem Spiel VfB gegen Hertha BSC retten müssen: Eine neue Dimension bei der Randale nach Fußballspielen. Im Netz äußern sich VfB-Anhänger wütend: „Das sind keine Fans, sondern Vollpfosten!“

Stuttgart - Wer waren die 80 Fußball-Chaoten, die eine Streifenwagenbesatzung plötzlich in die Zange nahmen, mit Steinen und Metallstangen angriffen? Für das Dezernat für jugendspezifische Gewaltkriminalität unter seinem neuen Chef Stefan Hetterich kommt in diesen Tagen jede Menge Arbeit zu, um die beispiellose Randale im Umfeld des VfB-Spiels gegen Hertha BSC in Bad Cannstatt aufzuklären.

Vielleicht wird es am Montag eine gesonderte Ermittlungsgruppe geben. Dabei könnte es nicht nur um schweren Landfriedensbruch und gefährliche Körperverletzung gehen – sondern um versuchten Totschlag. Zwei Beamte der Hundeführerstaffel waren am Freitag gegen 23.15 Uhr in der Eisenbahnstraße in Bad Cannstatt plötzlich in einen Mob geraten.

Und der meinte es ernst: Die Beamten wurden durch Steinwürfe am Kopf verletzt, bei einem musste eine Platzwunde im Krankenhaus genäht werden. An ihrem Streifenwagen gab es 5000 Euro Blechschaden. Schüsse in die Luft vertrieben die Täter.

Videoaufnahmen des Dokumentationstrupps werden ausgewertet

Ermittlungsansätze gibt es reichlich: „Derzeit werden die Videoaufnahmen unseres Dokumentationstrupps ausgewertet“, sagt Polizeisprecher Stefan Keilbach. Noch in der Nacht hatten Kriminaltechniker Spuren gesichert, um Täter später überführen zu können. „Die Angriffe auf die Polizei hatten ein Ausmaß, das wir uns nicht gefallen lassen können“, sagt Keilbach.

Schon vor dem Spiel mussten etwa 150 Stuttgarter Gewalttäter, die sich zwischen Cannstatter Bahnhof und Stadion auf eine Schlacht vorbereitet hatten, mit großem Aufwand von den Berliner Fans getrennt werden. Flaschen und Böller flogen, drei Polizisten erlitten ein Knalltrauma, ein Polizeipferd wurde von einem Mülleimer getroffen und verletzt.

Innenminister Reinhold Gall (SPD) hatte sich wohl zu früh gefreut. Die Fußballwelt sei friedlicher geworden, hatte er zu Beginn dieses Jahres festgestellt. Vor allem in der Bundesliga, beim VfB, in Freiburg und Hoffenheim, habe man die stetig steigenden Einsatzstunden von Polizeibeamten bremsen können, sagte der Fan von Borussia Mönchengladbach. Doch gerade gegen Gladbach, Ende Januar, ging es plötzlich los mit der Gewalt der Fußball-Chaoten. Als ob Galls Worte, die Gewalt habe sich in die unteren Ligen verlagert, die Hooligans besonders motiviert hätte.

In den sozialen Netzwerken beherrschendes Thema

Was sich nach dem Unentschieden zwischen dem VfB und Hertha BSC rund um die Mercedes-Benz-Arena abgespielt hat, war auch in den sozialen Netzwerken das gesamte Wochenende über ein beherrschendes Thema. „Das hat echt nichts mehr mit Fußball zu tun“, war etwa zu lesen, „die sogenannten Fans gehen da nur hin, um Randale zu machen.“ Ein anderer Fußballfan: „Was denken die sich eigentlich? Wenn sie schon nicht in der ersten Liga bleiben – wollen sie dann Sieger im Straßenkampf sein?“

Ein Sprecher des VfB warnte davor, die an der Randale Beteiligten als „VfB-Fans“ oder „VfB-Hooligans“ zu bezeichnen. „Das waren einfach Gewalttäter“, sagt er gegenüber unserer Zeitung.

Die Bilanz ist erschreckend. Vor und nach dem Heimspiel des VfB Stuttgart sind durch die Ausschreitungen zwölf Polizisten verletzt worden. An zwölf geparkten Autos wurden Scheiben zertrümmert und Spiegel abgerissen. Schaden: 7000 Euro.

Für den Landesvorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft im Beamtenbund, Joachim Lautensack, ist das Maß voll: „Das Schlimme ist, dass das schon nichts Außergewöhnliches mehr ist“, sagt er. Das Gerede darüber, dass die Fußballwelt friedlicher geworden sei und man Polizeikräfte einsparen könne, müsse ein Ende haben, fordert Lautensack: „Man kann die Kräfte nicht unter ein Minimalmaß herunterfahren, ohne unsere Beamten zu gefährden. Jedes zweite bis dritte Spiel ist doch schon ein sogenanntes Hochrisikospiel.“

Für den Polizeigewerkschafter stellt sich die Frage, „ob es denn erst Tote geben muss“, ehe man konsequent reagiere. Für Lautensack heißt das: Lebenslanges Stadionverbot, wenn nicht sogar Annäherungsverbot für erkannte Gewalttäter. „Und wer unerlaubt wieder im Umfeld auftaucht, muss dann eben einfahren.“ Hinter Gitter nämlich.