Polyamor, Patchwork, normale Kleinfamilie – es gibt viele Arten des Zusammenlebens. Aber nur Helga Eidenhammer teilt ihr Haus in Oberösterreich mit mehr als 5000 Zwergen. Und mit Sepp. Wie kam es dazu?
Man muss sich das Zwergenland als dicht besiedelten Ort vorstellen, vielleicht ein bisschen wie Hongkong für Gartenzwerge, nur grüner. Das Zwergenland ist ein paar Meter lang und ein paar Meter tief, vielleicht etwas mehr als 500 Quadratmeter groß, ein kleines märchenhaftes Häuschen inklusive. 5145 Gartenzwerge sind hier zu Hause. Manche haben ein Lebkuchenherz in der Hand, tragen Superman-Capes oder spielen Musikinstrumente, tragen natürlich rote Zipfelmützen. Und sie sind überall. Sie stehen auf der Vorderseite und der Rückseite des Hauses, auf dem verschnörkelten Holzbalkon, im Wintergarten, in Blumentöpfen, auf Dachbalken und Vogelhäusern. Nur das Jesuskreuz bleibt verschont. Und wenn die Zwerge die Bewohner sind, ist Helga so etwas wie die Bürgermeisterin im Zwergenland, sie hat hier das Sagen.
Fernsehteams waren schon hier – und Leute aus aller Welt sowieso
Ein Junimorgen in Pfaffstätt, Oberösterreich. Eine kleine Gemeinde etwa in der Mitte zwischen Salzburg und Braunau. Die Sonne vertreibt schon früh die kühle Morgenluft, von den 1200 Einwohnern sieht man kaum jemanden, von den 1700 Mitarbeitern der ortsbildbestimmenden Hühnerschlachterei auch nicht – die Zwerge stellen sozusagen die Mehrheit hier.
Auf der Hauptstraße weist ein kleines grünes Schild den Weg zu ihnen. Wirklich nötig ist das wahrscheinlich nicht, denn egal wen man hier in der Gegend fragt, man kennt das Zwergenhaus und die Helga, Fernsehteams und Zeitungsjournalisten waren schon bei ihr und Leute aus aller Welt sowieso. Als wir ankommen, holt Helga gerade noch ein Paket mit Zwergen, dann düst sie mit ihrem roten Flitzer heran, hinter der Windschutzscheibe winkt sie raumgreifend, noch bevor sie den kleinen Wagen auf dem Rasen parkt. „Griaß di“, ruft Helga den ortsüblichen Gruß, und dann: „Was möchtest wissen von mir?“ Herzlich, direkt, damit weiß man schon viel über sie.
Niemand hat mehr Zwergerl
Helga, 65 Jahre alt, heißt eigentlich Helga Eidenhammer. Aber mit Nachnamen braucht man sie gar nicht erst anzureden. Und die Gartenzwerge heißen bei der Rentnerin einfach Zwergerl, nur konsequent, dass sie für alle einfach Zwergerlhelga ist. Niemand auf der Welt habe mehr Zwergerl, sagt sie. Den offiziellen Weltrekord hält zwar jemand anderes, eine Britin, aber die hatte nur etwa halb so viele, und solche Formalitäten sind ihr ohnehin nicht so wichtig. Ihr geht es einfach nur um die Zwerge.
„Wenn ich die Zwerge im Herbst wegräume, tut es weh. Wenn ich sie im Frühjahr wieder raushole, freue ich mich. Das ist eigentlich mein Leben“, sagt Helga. Die Zwergerlliebe hat schon in ihrer Kindheit angefangen, das erste Zwergerl hat Helga mit zwölf Jahren von ihrer Tante bekommen, einer mit Ziehharmonika war das. Heute steht das Zwergerl irgendwo in zweiter Reihe, vermutlich auf einem der Regalbretter auf der Vorderseite des Hauses, so genau weiß sie das nicht, schließlich führt sie keine Excel-Liste mit den Zwergerln. Aber damals war er etwas Besonderes.
Sie hatte kein Spielzeug – nur einen Zwerg
Helga wächst auf einem Bauernhof auf, sie hat ein Dach über dem Kopf und sonst nicht viel. Arbeit gehört dazu, Messer des Mähers schleifen, die Maschinen schmieren, das Handwerkliche liegt ihr, dafür braucht sie keine Ausbildung. Sie ist ein lediges Kind, der Vater grüßt sie kaum. Familie, das sind die Mama und die Oma, ein Weiberhaufen, wie sie sagt. „Ich bin arm aufgewachsen, aber mir hat nichts gefehlt“, sagt Helga. Die Oma und die Mama leben längst nicht mehr, seit 39 Jahren ist Sepp Schmölzer an ihrer Seite.
Als Helga in ihr heutiges Haus einzieht, waren nur Sepp und das Ur-Zwergerl dabei. Aber 1990 geht es so richtig los. Über eine Ärztin in dem Betrieb, in dem sie damals arbeitet, kommt sie zu einem Fabrikverkauf für Gartenzwerge. Sie investiert ihr Urlaubsgeld, 5000 österreichische Schilling, also etwa 350 Euro, und kauft dafür etwa 200 Zwerge, ausschließlich B-Ware. Seither läuft das so: Die Zwergerl werden mehr, dafür wird auf Urlaub verzichtet. Oft schicken ihr Bekannte ihre Zwerge, und wenn einem die Zipfelmütze abgeschlagen oder die Nase gebrochen wurde, setzt sie ihn in ihrer Dachbodenwerkstatt wieder zusammen. Wenn sie doch mal welche entsorgen will, muss sie sie zertrümmern. Sonst sammelt sie im Wertstoffhof jemand ein und bringt sie ihr wieder – in der Annahme, sie würde ihnen ein neues Zuhause schenken.
Sepp hilft immer mit
Über den Winter werden alle in Kisten verstaut, drei Wochen lang wegräumen, im Frühjahr drei Wochen lang wieder aufstellen. Sepp hilft immer mit. „Den Mann musst du erst mal finden, der das alles mitmacht“, sagt sie. Auch Sepp hat ein paar Zwerge zu verantworten, die in Formel-1-Wagen zum Beispiel, und die im FC-Bayern- oder Casino-Salzburg-Trikot, dem Vorläufer der heutigen Red-Bull-Fußballmannschaft.
Während viele Zwerge-Enthusiasten nur solche aus Naturmaterialien wie Ton oder Sandstein als echte Gartenzwerge betrachten, sind Helga auch die aus Plastik recht. Niemanden zu bevorzugen ist ihr wichtig, so handhabt sie das bei ihren Patenkindern und daheim eben auch: „Ich mag alle Zwergerln gleich“, sagt Helga. So eine Einklassengesellschaft unter den Zwergen, da könnte man schnell eine höhere Bedeutung hineininterpretieren. „Im Allgemeinen ist es Kitsch“, sagt Helga. „Bei mir ist aus Kitsch eine Sucht geworden.“
„Ich mag die Zwergerl, weil sie immer so freundlich schauen“
Ganz beantwortet das die Frage noch nicht, warum die Liebe zu den Zwergen schon so lange hält. Nachfrage: Also mal ehrlich, Helga, was steckt da dahinter? „Ich habe als Erwachsene meine Kindheit nachgeholt“, sagt sie. Ein wenig Kompensation für das fehlende Spielzeug damals ist es also doch. Aber der Hauptgrund sei ein anderer: „Ich mag die Zwergerl, weil sie immer so freundlich schauen und freundliche Wesen sind“, sagt Helga. Unfreundliche Menschen, Krisen und Abgründe gebe es schließlich genug in der Welt.
Zum Abschied bieten Helga und Sepp einen Zirbenschnaps an, man wird umarmt, sie strahlen beide noch genauso wie bei der Begrüßung. Dann widmet sich Helga wieder den Zwergerln, das ist ihr ohnehin am liebsten. Man muss sich das Zwergenland als einen glücklichen Ort vorstellen.