Mit kleinen Hacken putzen die Mitarbeiter des Landesdenkmalamts die Ausgrabungsstätte, um die Überreste von Häusern, Brunnen und Feuerstellen freizulegen. Foto: Annina Baur

Im Gebiet auf der Steig/Essener Straße arbeiten die Archäologen, bevor neue Wohnungen entstehen. Täglich arbeitet dort ein Team von bis zu zwölf Archäologen, Grabungs-technikern, Schülern, Studenten und ehrenamtlichen Helfern.

Hallschlag - Vorsichtig zieht Andreas Thiel die kleine Hacke über die Erde. Zentimeter für Zentimeter arbeitet sich der Archäologe des Landesamtes für Denkmalpflege vor. Den Boden putzen heißt das im Fachjargon. Am Hattinger Platz auf dem Hallschlag putzt zurzeit täglich ein Team von bis zu zwölf Archäologen, Grabungstechnikern, Schülern, Studenten und ehrenamtlichen Helfern den Boden des Geländes zwischen der Essener Straße, der Straße Auf der Steig und der Straße Hallschlag.

Die Überreste von drei Häusern wurden bereits ausgegraben

Zwischen diesen heutigen Straßen verläuft auch eine Straße, welche die Archäologen in den vergangenen Wochen freigelegt haben: „Diese Straße führte vom Römerkastell in die Siedlung und weiter bis nach Heilbronn“, sagt Thiel. Der aus Travertin, Lehm und Kies gebaute, zehn Meter breite und einen Meter starke Weg hatte alle römischen Siedlungen entlang des Neckars miteinander verbunden. An der Verbindungsachse lagen die Häuser von Händlern, Handwerkern und Soldaten; dahinter erstreckten sich vermutlich Gärten und Hühnerställe.

Die Überreste von drei Häusern haben die Experten bereits gefunden; alle sind ungefähr 25 Meter lang und sieben bis neun Meter breit. Die schmale Seite zeigt aus einem einfachen Grund zur Straße hin: „Alle Händler wollten ihre Waren verkaufen und brauchten deshalb ein Ladenlokal zur Straße hin. Dahinter waren die Werkstatt und die Wohnräume“, erklärt Thiel die Bauweise der Häuser, die schon bei vorherigen Ausgrabungen gefunden worden war. Auf dem Hallschlag ist das Gebiet Auf der Steig/Essener Straße bereits die sechste Grabungsstätte, wo in den vergangenen zehn Jahren nach Überresten der Gründungsphase Cannstatts durch die Römer gesucht wird.

Vereinzelt wurden menschliche Knochen gefunden

Um 100 nach Christus hatten die Römer ein Kastell auf der Altenburg errichtet; nördlich davon hat sich eine zivile Siedlung entwickelt. Diese bestand weiter, als die Römer die Garnison nach dem Bau des Limes um 150 nach Christus aufgaben: „Wir gehen davon aus, dass die zivile Siedlung bis 250 oder 260 nach Christus bestanden hat“, sagt Thiel. Wie sich das Leben dort verändert habe, nachdem das Militär abgezogen war, ist eine der Fragen, die den Archäologen beschäftigen. „Eigentlich wäre dann das Tal ein viel angenehmerer Lebensraum gewesen“, sagt Thiel. Nicht zuletzt erhoffen sich die Wissenschaftler von den Ausgrabungen Aufschluss darüber, ob die Siedlung ohne Unterbrechung bestanden hat, wie sie hieß und wie es zu ihrem Ende kam. Weil es aus der damaligen Zeit keine schriftliche Zeugnisse gibt, ist die Archäologie die einzige Wissenschaft, die Antworten auf diese Fragen geben kann. „Es ist nicht auszuschließen, dass wir Hinweise finden“, sagt Thiel.

So seien vereinzelt menschliche Knochen gefunden worden, was für römische Siedlungen äußerst ungewöhnlich sei: „Die Römer haben ihre Toten normalerweise verbrannt“, sagt der Archäologe. Verscharrte Leichen in Brunnen, Gruben oder Kellern deuteten auf ein gewaltsames Ende dieser Opfer hin, etwa bei einem Angriff durch die Germanen. Das gilt als wahrscheinlichste Annahme für den Untergang der Siedlung.

Ausgrabungen werden noch bis Ende des Jahres anhalten

Weitere Erkenntnisse erhofft sich Thiel von einem Brunnen und einem mit Brandschutt verfüllten Keller, die nun nach und nach freigelegt werden sollen: „Es scheint, dass bei einem Brand Dach und Obergeschoss in den Keller gestürzt sind“, sagt Thiel. Das deute nicht nur auf ein gewaltsames Ereignis hin, sondern könne auch den Zeitpunkt dieses Ereignisses offenbaren: „Alles Mobiliar, das sich zum Zeitpunkt des Brands in dem Haus befand müsste im Keller zu finden sein.“ Aus den Resten der tönernen Becher und Amphoren können die Experten schließen, wann diese hergestellt wurden oder auch, ob die in den Häusern lebenden Menschen wohlhabend genug waren, Luxusgüter aus anderen Ländern zu importieren.

Noch bis Ende des Jahres werden die Archäologen auf dem Hallschlag beschäftigt sein. Dann rücken die Bagger an: nach dem Abriss der alten Wohngebäude Ende des vergangenen Jahres wird die städtische Wohnungsbaugesellschaft SWSG dort eine Tiefgarage und 109 Mietwohnungen errichten.