Ein bisschen Venedig in Vaihingen: Vom Stocherkahn aus sehen die Fahrgäste die Stadt aus einer anderen Perspektive. Foto: factum/Bach

Gemütlich in einem Stocherkahn sitzen und sich allerhand über die Geschichte der Stadt erzählen lassen, das geht nicht nur in Tübingen. Auch auf der Enz in Vaihingen ist dies möglich.

Vaihingen/Enz - Das Städtchen Vaihingen an der Enz hat Hans-Joachim Rösner, Freunde sagen Hajo, einiges zu verdanken. Der pensionierte Gymnasiallehrer hat einen großen Anteil daran, dass die Stadt ihren Besuchern seit einigen Jahren eine Stadtführung der besonderen Art anbieten kann: Die Stocherkahnfahrten. „Ich habe in Tübingen studiert, in einem Studentenwohnheim gelebt und mal einen alten Stocherkahn repariert. Damals kannte man diese Stocherkahnfahrten ja nur von Tübingen, aber irgendwann dachte ich mir: Mensch, das könnte doch auch etwas für Vaihingen sein“, erzählt Rösner.

Bis es soweit war, sollten dann zwar noch etliche Jahre ins Land gehen, doch kurz vor seiner Pensionierung erinnerte sich Rösner an seine Idee von einst. Er lernte in Tübingen schließlich einen jungen Zimmermann kennen, der solche Kähne fertigt. „Man könnte doch für Vaihingen auch so einen bauen“, dachten sich beide und setzten die Idee in die Tat um.

Es gab etwa 28 Gerber-Häuser

Inzwischen verfügt die Stadt Vaihingen über drei Stocherkähne für jeweils zwölf Passagiere, und sie bietet regelmäßig die Fahrten auf der Enz an. Auch Hajo Rösner ist als einer von elf Fahrern regelmäßig als Stadtführer und Stocherkahn-Kapitän mit von der Partie und erklärt seinen Gästen dann, wie es einst noch auf dem kleinen Flüsschen zuging.

Etwa 28 Häuser von Gerbern, den Verarbeitern von Leder, gab es entlang der Enz rund um Vaihingen. Bis zum Zweiten Weltkrieg seien diese Häuser und das Gewerbe ein überaus wichtiges Merkmal für die kleine Stadt gewesen. Weshalb die Gerber ihre Behausungen so nah am Wasser gebaut hatten, erklärt Rösner natürlich auch gleich: „Weil sie das Wasser zum Gerben und Waschen der Tierhäute benötigt haben.“ Und er liefert ein wichtiges Argument dafür, weshalb solche Stocherkahnfahrten auch für Kinder ein tolles Erlebnis sind. Denn wo lernt man schon anschaulicher, wie sich die Menschen vor vielen Jahren ihr Geld verdienten, und wie durchaus hart und entbehrungsreich das Leben damals nicht nur in Vaihingen war?

Die Sägemühle ist verfallen und ein Zuhause von Tieren geworden

Heute ist von den Gerberhäusern bis auf ein paar wenige, restaurierte Gebäude nichts mehr zu sehen. Auf eingeschweißten Kopien von Zeichnungen der damaligen Zeit kann man sich während der Kahntour einen Eindruck darüber verschaffen, wie es hier einmal aussah. Dafür hat die etwa zweistündige Fahrt aber jede Menge andere Besonderheiten zu bieten. Mit leisem Plätschern und sachte schaukelnd geht es vorbei an der alten Sägemühle, die auf einer kleinen Insel inmitten des Flüsschens liegt. „Das Areal befindet sich im Privatbesitz und ist leider total verfallen, dabei könnte man daraus sicher etwas ganz Tolles machen“, bedauert Rösner. Doch weil sich hier seit Jahren nichts mehr tut und sich kein Mensch mehr blicken lässt, haben sich Tiere wie Fledermäuse und anderes, artgeschütztes Getier breit gemacht. Wollte man das Areal wieder beleben, bräuchte es wohl einiges an Fingerspitzengefühl im Dialog mit Natur- und Tierschützern.

In jenes Sägewerk seien früher Baumstämme aus dem Schwarzwald angeliefert worden, die dann zu Möbeln verarbeitet wurden, berichtet Rösner. Jene Insel mit der zerfallenen Sägemühle bezeichnet er ebenso wie die beiden Wehre, durch die man während der Fahrt kommt, als „Glücksfall“ für die Tour. „Da erleben die Leute etwas und sehen Dinge, die sie selbst als Einheimische so noch nie gesehen oder bewusst wahrgenommen haben“, findet er.

Die Fischtreppe aus großen Steinbrocken etwa, an der sich allerhand Fische tummeln, die vor einigen Jahren angelegt wurde. Diese natürliche Treppe aus Steinen markiert auch den Wendepunkt der Tour, an der ein kleiner Stopp eingelegt wird. Verlassen darf den Kahn zwar niemand der Mitfahrenden, dafür erzählen die Stocherkahnfahrer noch allerhand Anekdoten aus der damaligen Zeit und reichen dazu ein Gläschen vom heimischen Wein. Bequem sind die Fahrt und die Pause dank der Rückenlehnen an den Sitzen allemal.

Die Stocherkahnfahrten sind sehr beliebt

Die Zusammenarbeit mit der Stadt sei hinsichtlich der Stocherkahnfahrten von Anfang an wunderbar gewesen, freut sich Rösner. „Nachdem ich meine Idee vorgebracht hatte, hat die Stadt die Kähne bezahlt. Uns kam seinerzeit auch zugute, dass zu der Zeit auch eine Ausstellung zu dem Gerber-Thema vorbereitet wurde, also haben die Touren gut ins Konzept gepasst.“

Mittlerweile gehören die Stocherkahnfahrten mit zum bestgebuchten Stadtführungsangebot der Stadt: Allein 2017 waren die Kähne 180-mal mit Besuchern auf der Enz unterwegs. Darunter viele Vaihinger, die ihre Stadt neu kennenlernten.

Die Fahrten

Dauer
Eine Stocherkahnfahrt auf der Enz dauert etwa eineinhalb Stunden, die Streckenlänge beträgt rund zwei Kilometer. Auf der Hälfte der Strecke wird eine kleine Pause eingelegt, bei der man den Kahn allerdings nicht verlassen darf. In der Pause werden Wein und antialkoholischer Traubensaft serviert.

Kinder und Tiere
Kinder unter acht Jahren dürfen nicht mitfahren, im Alter von acht bis 16 Jahren nur in Begleitung eines Erwachsenen. Bei ungünstigen Witterungsbedingungen oder Gefahr durch eine zu hohe Wasserführung wird die Stocherkahnfahrt verschoben oder fällt möglicherweise aus. Tiere sind nicht erlaubt.

Preise
Der Preis für eine Einzelfahrt beträgt zehn Euro. Ein Kahn kann aber auch für eine Gruppe (maximal zwölf Personen) zum Preis von 100 Euro gebucht werden. Der Treffpunkt ist am kleinen Podest am Enzufer nahe der Schleuse. Alle Termine gibt es unter www.vaihingen.events.