Die Kassenärztliche Vereinigung teilt mit, dass die ärztliche Notfallpraxis in Schorndorf nicht wieder eröffnet – und jene in Backnang mittelfristig dicht gemacht wird. Das Angebot soll in Winnenden konzentriert werden. Die Pläne lösen viel Kritik aus.
Kaum vorstellbar – so bezeichnet der Landrat Richard Sigel die Pläne, welche die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) im Zuge der Neuregelung des ärztlichen Bereitschaftsdienstes nun für ihre noch verbliebenen Notfallpraxen im Rems-Murr-Kreis kund getan hat. Flapsig formuliert lautet das Motto „aus drei mach eins“.
Das heißt konkret, dass die Notfallpraxis, die die Kassenärztliche Vereinigung in der Schorndorfer Klinik mit einem Pool von freiberuflichen Ärzten im Bereitschaftsdienst betrieben und im Herbst geschlossen hat, ihre Pforten nicht mehr öffnen wird. Ähnliches hatte man im Jahr 2017 in Waiblingen erlebt: Dort musste die Notfallpraxis an der Querspange nach einem Gebäudebrand im April vorübergehend schließen – und ging nie wieder in Betrieb.
Auch die Tage der Notfallpraxis in Backnang sind nach dem Willen der KVBW gezählt. Sie soll nur noch so lange betrieben werden, bis am zukünftig letzten und einzigen Standort einer hausärztlichen Notfallpraxis, am Rems-Murr-Klinikum Winnenden, „einige Anpassungen“ vorgenommen worden sind. Zuletzt hatte die dortige Notfallpraxis allerdings ihre Öffnungszeiten reduziert und ihren chirurgisch-orthopädischen Dienst komplett gestrichen.
Rund 433 000 Menschen müssen medizinisch versorgt werden
„Ich halte es mit Blick auf eine gute medizinische Versorgung für gewagt, davon auszugehen, dass für 433 000 Menschen eine einzige Notfallpraxis, wenn auch mit verstärkter Besetzung, ausreichen wird“, sagt dazu der Landrat Richard Sigel. Auch die Rathauschefs der betroffenen Kommunen sind alarmiert. Schorndorfs Oberbürgermeister Bernd Hornikel bezeichnet ein endgültiges Aus der Notfallpraxis in Schorndorf als einen „harten Einschnitt, der nochmals überdacht werden sollte“.
Immerhin gibt es in Schorndorf noch ein Krankenhaus, dessen Notaufnahme an 365 Tagen rund um die Uhr für Notfälle geöffnet hat. Die Schließung der Notfallpraxis im vergangenen Herbst sei dort deutlich spürbar, berichtet der Klinik-Geschäftsführer André Mertel. Seither hätten die Klinikmitarbeitenden im Schnitt 30 Prozent mehr Hilfesuchende versorgen müssen.
Nach dem Krankenhaus verliert Backnang auch die Notfallpraxis
Backnang treffen die Pläne besonders hart. Die dortige Notfallpraxis diente als kleines Trostpflaster, als das Backnanger Krankenhaus zugunsten des Klinikneubaus in Winnenden aufgegeben wurde. Im Raum Backnang sei die Hausarztversorgung ohnehin schon angespannt, klagt Maximilian Friedrich: „Daher kann ich es als Oberbürgermeister nicht akzeptieren, dass man in Backnang nun auch die Notfallpraxis schließen will.“ Auch Winnendens Oberbürgermeister Hartmut Holzwarth sowie die Bundestagsabgeordneten Christina Stumpp und Inge Gräßle (CDU), der FDP-Bundestagsabgeordnete Stephan Seiter und die Landtagsabgeordneten Julia Goll und Jochen Haußmann (FDP) sehen die veröffentlichten Pläne mit Besorgnis.
Der Klinik-Geschäftsführer André Mertel geht davon aus, dass das Ende der Notfallpraxen in Schorndorf und Backnang einen weiteren Anstieg der Patientenzahlen in den Notaufnahmen der Rems-Murr-Kliniken zur Folge haben wird. Bereits jetzt macht sich die Schließung der kassenärztlichen Notfallpraxis in Schorndorf deutlich bemerkbar. Mertel spricht von einem Zuwachs von 2000 Patientinnen und Patienten im Zeitraum von drei Monaten. „Hochgerechnet sind das 8000 ambulant zu versorgende Notfälle mehr im Jahr. Das führt zu einer erheblichen Mehrbelastung des Klinikpersonals.“
Mertel: Kliniken bleiben auf Kosten sitzen
Weil die KVBW zudem die unfallchirurgische Praxis in Winnenden geschlossen habe, sei die Unfallchirurgie im Klinikum Winnenden dazu gezwungen worden, einen zusätzlichen Bereitschaftsdienst zu etablieren. „Die Kosten dafür tragen aktuell der Landkreis und die Kliniken, weil dieser Dienst nicht über die Ambulanz-Pauschale finanziert ist – ebenso wenig wie die zusätzlichen Kurzschichten der Medizinischen Fachangestellten. Die Kliniken bleiben somit auf den Kosten sitzen“, klagt Mertel. Was die finanziellen Auswirkungen betrifft, so heißt es vonseiten des Klinik-Geschäftsführers und des Landrats: „Wir erwarten hier ein Signal der Kassenärztlichen Vereinigung, wie der erhebliche Mehraufwand der Rems-Murr-Kliniken in der Notfallversorgung zukünftig strukturell, personell und finanziell kompensiert werden soll.“ Der Landrat schlägt vor, die Kassenärztliche Vereinigung solle ihre Überlegungen zur Neuregelung des Bereitschaftsdienstes auch der Gesundheitskonferenz im Kreis darlegen: „Somit kann diese das Thema mit Blick auf die ambulante Versorgung ebenfalls bewerten.“
Anlaufstellen bei medizinischen Notfällen
Notfallpraxis
Die hausärztlichen Notfallpraxen werden von freiberuflichen Ärzten im Bereitschaftsdienst betreut. Diese kümmern sich um Patienten, die nachts, am Wochenende oder an Feiertagen einen Arzt brauchen und aufgrund ihrer Beschwerden nicht bis zur Sprechstunde ihres Hausarztes warten können. Für die Notfallpraxen ist die Kassenärztliche Vereinigung zuständig.
Notaufnahme
An den Krankenhäusern in Winnenden und Schorndorf gibt es jeweils Notaufnahmen, welche durchgehend geöffnet sind. Ihre Aufgabe ist es, dringliche, unaufschiebbare Notfälle zu versorgen. Für sie ist der Landkreis verantwortlich.