Beerdigung von OB Arnulf Klett im August 1974 auf dem Stuttgarter Waldfriedhof: Vertreter des Konsularischen Korps legen einen Kranz nieder Foto: Kraufmann

Oskar Schlemmer, Arnulf Klett und Theodor Heuss ruhen hier. Auf dem Waldfriedhof ist Zeitgeschichte verewigt. Am 19. Oktober 2014 will OB Fritz Kuhn bei einer Feier das 100-jährige Bestehen einer Kulturstätte würdigen, auf der es auch Gräber von 1913 gibt.

Stuttgart - Oskar Schlemmer, Arnulf Klett und Theodor Heuss ruhen hier. Auf dem Waldfriedhof ist Zeitgeschichte verewigt. Am 19. Oktober 2014 will OB Fritz Kuhn bei einer Feier das 100-jährige Bestehen einer Kulturstätte würdigen, auf der es auch Gräber von 1913 gibt.

Über die dunkle Erde eines gerade erst eingeebneten Grabs huscht ein Eichhörnchen. Es weiß nichts vom Tod. Jetzt im Herbst hat der kleine Nager besonders viel zu tun und muss Vorräte für den Winter anlegen. Die Menschen, die auf dem Waldfriedhof ihre letzte Ruhe gefunden haben, müssen sich um nichts mehr kümmern. Für sie gibt es kein Hetzen, kein Huschen mehr.

Die Kreise ihres Daseins sind vollendet, wie es auf dem Grabstein des 1955 verstorbenen Mozart-Tenors Marcel Wittrisch heißt: „Nach ewigen ehernen großen Gesetzen müssen wir alle unseres Daseins Kreise vollenden.“ Es ist ein Spruch für uns Lebende: Bedenkt das Ende, werdet nicht überheblich! Erkennt das Glück des Lebens. Euer Leben endet zwar – wenn ihr Glück habt, nicht aber im Vergessen.

Der Waldfriedhof ist ein großer Park mit üppigem Mischwaldbestand. 15 000 Grabstätten. Jeder Tote und jede Tote ein Schicksal. Viele sind sehr alt geworden. Nun werden bei ihnen nach und nach Familienmitglieder bestattet. Andere sind so jung gestorben, etwa im Wahnsinn eines Krieges, dass sie keine Familie gründen konnten.

Es ruhen viele hier, die Stuttgarts Geschichte geprägt haben. OB Arnulf Klett, OB Karl Lautenschlager, Robert Bosch, Paul Bonatz, die Heussens, die Breuningers, die Schoettles, die Hajeks, Gebhard Müller, Oskar Schlemmer. Die Ehrengräber der Großen. Der Weg zu ihnen ist ausgeschildert.

Das Wort „beliebt“ passt nicht zu einem Ort wie diesem. Doch bei keinem anderen Friedhof in Stuttgart ist die Nachfrage so groß. Und es sind immer viele Besucher da.

Eine alte Frau hat große Mühe, an zwei Krücken vorwärts zu kommen. Es ist ein Gang mit beschädigter Hüfte und schwerem Herzen. Ihr Blick ist versteinert. Man sieht ihr an, wie zielstrebig sie ist. Wenige Meter weiter wird gelacht. Frohsinn auf einem Friedhof? Eine Gruppe von Ausflüglern steht vor dem Grab von Theodor Heuss. Offenbar werden Anekdoten aus dem Leben des früheren Bundespräsidenten erzählt. Und die sorgen für Heiterkeit. „Die Tränen des Leides und der Freude haben einerlei Salz“, steht in der Bibel. Alles hat seine Zeit.

Die Zeit des Lachens, die Zeit des Weinens. Dies ist kein Trost für Trauernde. Ihnen ist es auch egal, ob der Waldfriedhof nun 100 Jahre alt wird oder 101. Die Tausenden von Toten zählen nicht mit.

Im Internet aber ist ein Expertenstreit entbrannt: Geht der größte Friedhof Stuttgarts auf das Jahr 1913 oder auf das Jahr 1914 zurück? „Der OB feiert das Jubiläum ein Jahr zu spät“, schreibt Marc S. auf der Facebook-Seite des Stuttgart-Albums, „der westliche Teil des Friedhofs wurde definitiv schon 1913 eingeweiht.“ Und beim Internet-Lexikon Wikipedia heißt es: „Der Waldfriedhof Stuttgart wurde 1913 kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs nach den Plänen des Stuttgarter Stadtbaudirektors Albert Pantle angelegt.“ Tatsächlich stehen auf dem Grabstein von Erwin Baelz, dem Leibarzt der japanischen Kaiserfamilie, folgende Lebensdaten: „1849 bis 1913“. Wird sich Fritz Kuhn demnächst blamieren, wenn er zum „Hundertjährigen“ spricht?

„Nicht alles, was im Internet steht, stimmt“, sagt Maurus Baldermann vom städtischen Garten-, Friedhofs- und Forstamt. Besagter Leibarzt Baelz sei aus einem anderen Friedhof umgebettet worden. Seine Recherchen haben ergeben: 1913 ist zwar der Grundstein für den Waldfriedhof gelegt worden, die erste Beerdigung war aber erst am 31. August 1914. Demnach war Hauptmann Ernst Hory der Erste, der auf dem Waldfriedhof beerdigt wurde. Er war im Alter von 44 Jahren im Ersten Weltkrieg schwer verletzt worden und in einer Stuttgarter Klinik gestorben. Fast hätte Stadtbaudirektor Albert Pantle, der Erbauer des Waldfriedhofs und seiner Feierhalle, beim ersten Begräbnis um den eigenen Sohn weinen müssen. Der ist wenige Tage nach Hauptmann Hory im Krieg gestorben und bekam das dritte Grab des neuen Friedhofs.

Auch wenn es Unklarheiten beim Einweihungsdatum gibt, so ist eine weitere Frage geklärt, die auf der Facebook-Seite des Stuttgart-Albums aufgetaucht ist. Gleich zwei „Auferstehungsadler“ schmücken die beiden Ausgangstympana der Aussegnungshalle („Tympanon“ ist das Feld über einer Tür). Die Adler schauen in der Natur nie nach oben. Oder soll es sich um eine Friedenstaube handeln? Marc S. konnte aufklären: „Die Adler sind tatsächlich Adler. Nach antikem Glauben fliegt ein alt gewordener Adler in die Sonne, zu der er aufschaut. Dort verglüht sein Gefieder. Nach einem mehrmaligen Bad in einer Quelle kehrt er als junger Vogel zurück (ähnlich dem Phönix-Ritual). Das ist eines der heidnischen Symbole, die das Christentum schon sehr früh übernommen hat.“

Der erste Band des Buchs „Stuttgart-Album“ im Silberburg-Verlag ist in der zweiten Auflage erhältlich. Am 8. Oktober erscheint das „Stuttgart-Album Vol. 2“ Diskutieren Sie mit: www.facebook.com/Album.Stuttgart und schicken Sie historische Fotos an: info@stuttgart-album.de.