Die Atomkatastrophe von Fukushima ist anders zu bewerten die von Tschernobyl.

Berlin - Japan bewertet die Atomkatastrophe von Fukushima nun als ebenso gravierend wie das Reaktorunglück von Tschernobyl im Jahr 1986. Atomexperten warnen jedoch davor, die Auswirkungen von Fukushima zu dramatisieren. Wirklich vergleichbar sind die beiden Katastrophen nicht.

Störfall

Beim Super-GAU von Tschernobyl in der Ukraine explodierte der Unglücksreaktor 4 während des normalen Betriebs. Ein gewaltiger Feuerball schleuderte radioaktiv verseuchte Partikel kilometerweit in die Atmosphäre. Hingegen war das Atomkraftwerk Fukushima I zum Zeitpunkt der Explosionen bereits abgeschaltet. Das geschieht bei schweren Erdstößen wie am 11. März in Japan automatisch. Doch in Fukushima wurden in gleich drei Reaktorblöcken Kern und Brennstäbe schwer beschädigt. In den Tagen nach der Naturkatastrophe gab es drei Wasserstoffexplosionen.

Sicherheitsstruktur

In Tschernobyl gab es keine Sicherheitsstruktur. Die Explosion schleuderte radioaktive Partikel weit in die Höhe - der Wind verbreitete sie dann über Tausende Kilometer. Experten sind sich einig, dass das in Fukushima nicht passieren wird. In Fukushima handelt es sich um Siedewasserreaktoren, die auf Fundamenten aus Granit stehen. Sie sind von Stahl- und Betonkonstruktionen umgeben. Da die Strahlung seit dem Erdbeben und Tsunami zurückgegangen ist, gehen Experten davon aus, dass die Sicherheitsstruktur mehr oder weniger noch intakt ist. Der Aachener Spezialist für Reaktorsicherheit, Hans-Josef Allelein, sagt: "Insgesamt kann ich mir vorstellen, dass zehn Prozent des Inventars freigesetzt worden und 90 Prozent noch in den Anlagen vorhanden sind und dass die Möglichkeit besteht, einen großen Teil sicher einzuschließen und sicher damit umzugehen."

Technischer Unterschied

Block 4 in Tschernobyl war ein wassergekühlter und grafitmoderierter Reaktor. Eine Kombination, die unkontrollierte Kettenreaktionen auslösen kann, was im Fall von Tschernobyl auch geschah. Eine Serie von groben Fehlern und Fehleinschätzungen des Betreibers führten zu Feuer und einer Explosion, die radioaktive Teilchen in die obere Atmosphäre schleuderte. Die freigesetzte Radioaktivität entsprach dem Zehnfachen der von der Atombombe von Hiroshima 1945. Die Siedewasserreaktoren von Fukushima haben keinen entflammbaren Grafit-Kern. Bei den Brennelementen in den Blöcken 1, 2 und 3 kam es aber zumindest teilweise zur Kernschmelze.

Gegenmaßnahmen

Moskau schickte Hunderttausende sogenannte Liquidatoren in die Unglückszone, um bei den Aufräumarbeiten zu helfen. Der havarierte Reaktor erhielt schon bald einen "Sarkophag", einen Mantel aus Beton. In Fukushima war zunächst nur ein kleiner Trupp Arbeiter am Werk, später kamen Soldaten und Feuerwehrleute aus Tokio hinzu. Gemeinsam kämpfen sie gegen Probleme mit der Kühlung und pumpen verseuchtes Wasser ins Meer. Seitdem ist es gelungen, die Reaktorblöcke und die Abklingbecken zu kühlen. Dadurch wurde eine Kettenreaktion stark gebremst. Solange die Kühlungsbemühungen andauern und das radioaktive Wasser aufgefangen werden kann, gewinnt Japan Zeit, eine Lösung zu finden, um die Reaktoren kontrolliert abzuschalten.

Verheimlichung

Nach dem Unfall in Tschernobyl schwieg die Sowjetführung tagelang. Erst nachdem in Skandinavien auffällige Werte gemessen wurden, räumte Moskau den GAU ein. Allerdings hatten auch die Verantwortlichen falsche Informationen übermittelt. So hieß es stundenlang, der explodierte Reaktor sei intakt geblieben - dabei waren die verstrahlten Trümmer nicht zu übersehen. Die Anwohner etwa im nahe gelegenen Pripjat - heute eine Geisterstadt - wurden erst nach Tagen in Sicherheit gebracht. Die Sowjetführung habe aber bei aller Kritik durchaus auch rasch gehandelt, sagen Experten von Greenpeace. So sei schon bald ein 30 Kilometer großer Evakuierungsradius angeordnet worden. Auch im Fall Fukushima gab es erhebliche Informationsdefizite, die Angaben des Betreibers Tepco wirkten oftmals stümperhaft, ohne Zusammenhang, durcheinander und manchmal widersprüchlich. Dennoch ist es schwierig, Tepco die Verschleierung von Informationen vorzuwerfen. Daten und Informationen werden rund um die Uhr zur Verfügung gestellt.

Zahl der Opfer

Bislang hat es wegen Radioaktivität in Fukushima keine Toten gegeben. Acht Personen wurden verletzt. Bei dem Erdbeben, das zur Atomkatastrophe führte, und den Nachbeben kamen zwei Arbeiter des AKW ums Leben. Nach der Explosion in Tschernobyl starben nach Einschätzung von Experten mehrere Dutzend der Liquidatoren an Verstrahlung. In der Frage, wie viele Opfer das Unglück langfristig insgesamt fordert, klaffen die Angaben jedoch weit auseinander. Die Weltgesundheitsorganisation geht von 4000 Personen aus, die infolge der Katastrophe an Krebs sterben.

Szenarien

"Im schlimmsten Szenario würde eine Schadstoffwolke von Fukushima in eine Höhe von maximal 500 Metern steigen", sagt der oberste Wissenschaftsberater der britischen Regierung, John Beddington. "Daher ginge die Radioaktivität recht nahe am Reaktor herunter." Die Folgen wären dennoch katastrophal. Problematisch ist vor allem die extrem hohe Bevölkerungsdichte in Japan. Das größte langfristige Problem ist derzeit die radioaktive Verseuchung des Pazifiks. Bei der Katastrophe von Tschernobyl wurden Gebiete bis zu 500 Kilometer vom Reaktor entfernt verstrahlt. Die Sperrzone um das Kraftwerk beträgt heute noch 30 Kilometer und ist unbewohnt. Radioaktive Stoffe wie Plutonium halten sich oft mehrere Tausend Jahre. Die Lage in Fukushima ist allerdings noch immer nicht unter Kontrolle. Laut Tepco ist es möglich, dass die austretende Strahlenmenge am Ende die von Tschernobyl übertreffen könnte.