Asiye Özlem Sahin Foto: Claudius Schell

Stuttgarter Boxlady: Asiye Özlem Sahin boxt sich sportlich und beruflich nach oben.

Stuttgart - Birne und Bizeps - so lautet das Erfolgsrezept von Asiye Özlem Sahin. Am morgigen Freitag steigt die Stuttgarter Boxlady in Stralsund in den Ring. Wenn alles nach Plan läuft, wird es der vorletzte Fight vor ihrem ersten Titelkampf.

 Asiye Özlem Sahin hat schon viele Kämpfe ausgetragen. Die schwersten musste die Deutsche mit türkischer Herkunft jenseits des Rings bestreiten: "Zuerst durfte ich nicht boxen, dann wurde ich ausgelacht, weil ich schon 26 war, als es richtig losging", erzählt sie, "aber ich dachte: Jetzt erst recht, euch werde ich's schon zeigen." Und nicht nur im Ring zeigte die 1,53 Meter kleine Boxerin fortan allen, wie es geht.

Özlem Sahin ist ein Paradebeispiel für gelungene Integration. Bei ihrem letzten Auftritt in der Türkei - dem ersten Profifrauenboxkampf in der Türkei überhaupt - hatte sie sowohl die deutsche als auch die türkische Flagge auf ihr Boxröckchen genäht. "Ich bin türkischer Herkunft, meine Heimat ist mittlerweile aber Deutschland", sagt sie und fügt lachend hinzu: "Beziehungsweise Schwaben. Ich bin ja eine Neigschmeckte."

Geboren wurde Sahin im türkischen Trabzon, ihre Kindheit verbrachte sie bei Großeltern, Tanten und Onkeln in der Türkei. Ihre Eltern lebten in Deutschland. "Erst als ich elf war, haben sie mich nachgeholt", berichtet Sahin, "ich kam in die fünfte Klasse und konnte kein Wort Deutsch." Sahin biss sich durch - im wahrsten Sinne des Wortes. Wenn ihre Klassenkameraden ihr besonders böse mitspielten, hat sie sich heimlich angeschlichen und kräftig zugebissen. "Manchmal wusste ich mir einfach nicht anders zu helfen", sagt sie. Später hat sich die Remseckerin auf ihre wahren Stärken besonnen: ihren Grips und ihre Muskeln - oder wie sie es nennt: "Birne und Bizeps".

Trotz Sprachproblemen hat Sahin einen guten Hauptschulabschluss und eine Ausbildung zur Kunststoffformgeberin gemacht. "Wirklich weiterentwickelt und integriert habe ich mich aber erst durchs Boxen", erklärt sie. 1999 fing sie mit dem Kampfsport an, zunächst nur für ihre Fitness - und aus Trotz. Ihr Bruder hat geboxt, ihr haben es die Eltern verboten. "Dass ich das Boxen anfing, war ein Schrei nach Anerkennung, eine Widerstandsaktion", sagt sie. Und es bedeutete den Bruch mit ihrer Familie.

2002 trat sie dem Ludwigsburger Box-Verein MBC bei und lernte ihren langjährigen Trainer Achim Böhme kennen. Bei ihm und seiner Familie hat Sahin die Anerkennung erfahren, die sie suchte. Zudem lernte sie Fleiß, Disziplin, Regeln und Strukturen kennen. "Und ich habe endlich richtig Deutsch gelernt", fügt sie hinzu. In der Boxhalle waren bis zu 36 Nationen versammelt - gesprochen wurde nur Deutsch. Beruflich und sportlich ging es dann schnell aufwärts. Sahin machte eine Weiterbildung zur technischen Fachwirtin und heimste erste Erfolge ein. 2005 und 2006 wurde sie internationale Deutsche Meisterin im olympischen Boxen.

2007 - mit 31 Jahren - folgte dann der große Schritt in den Profibereich. Seither hat Sahin von elf Kämpfen zehn gewonnen, davon vier durch K.o. Reichtümer wird die 34-Jährige mit ihrem Sport trotz des Erfolges wohl keine anhäufen. Aber das macht ihr nichts: "Das Geld ist mir völlig egal", sagt Sahin, "ich bin durch meinen Job abgesichert und dankbar für die Unterstützung meines Sponsors und vieler Helfer."

Morgen wird es die Boxerin im Ring mit Fleis Djendji (elf Siege, sieben Niederlagen, ein Unentschieden) zu tun bekommen. Die Serbin ist fast 20 Zentimeter größer und mindestens vier Kilo schwerer als Sahin. Aber das kennt sie. Sahin ist Minimumgewichtlerin (bis 47,6 kg), in dieser Klasse gibt es in ganz Europa nur eine weitere Frau. "Meistens muss ich mich richtig mästen vor Kämpfen", sagt sie - und ergänzt selbstbewusst: "Auch der größte Baum wird von unten gefällt." Sahin glaubt fest an ihren Sieg. Trotz des Gewichtsunterschieds, der zwischen ihr und ihrer Gegnerin liegt. Und trotz der turbulenten Vorbereitung: Nach über acht Jahren hat sie sich zu Beginn der heißen Phase von ihrem Trainer Achim Böhme getrennt, einvernehmlich und in aller Freundschaft. "Das ist sehr schade, aber ich bin auch froh, dass ich Conny Mittermeier überzeugen konnte, auch mal eine Frau zu coachen", sagt sie. Mittermeier, ehemals Trainer bei Universum, ist eigentlich kein Freund des Frauenboxens. Aber Sahin hatte offenbar schlagende Argumente.

Mit neuem Coach will Sahin nun ihr großes Ziel verfolgen: "Nächstes Jahr werde ich meinen ersten Titelkampf bestreiten", sagt sie, "und wenn ich gesund bleibe, werde ich den auch gewinnen." Aber eines nach dem anderen. Zuerst will sie in Stralsund gewinnen - wie gewohnt mit Birne und Bizeps: "Die Gegnerin kann ruhig größer und schwerer sein, meinen Willen und mein Kämpferherz schlägt so schnell niemand."