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Johann Traber über seinen Beruf als Hochseilartist und das Leben mit dem Risiko.

Stuttgart - Auf dem Schrägseil im Smart zum Fernsehturm hoch, in 3000 Meter Höhe auf dem 14-Millimeter-Seil mit dem Motorrad die Zugspitze überquert und über den Rhein zur Loreley: Lebensgefahr gehört für den Hochseilartisten Johann Traber und seinen Clan zum Geschäft. Russisch Roulette mit der Sicherheit?

Herr Traber, ist die Angst Ihr täglicher Begleiter?

Nein, so könnte ich nicht leben. Auch zum Beruf des Hochseilartisten muss Routine gehören. Wenn man die Balancierstange in die Hand nimmt, fühlt man sich sicher. Ich sage immer, ich gebe die Angst an das Publikum ab - und hole sie mir wieder ab, wenn ich fertig bin. Aber ich muss zugeben, dass man vor dem Auftritt aufgeregt ist.

Was können Sie tun, um die größtmögliche Sicherheit zu gewährleisten?

Ich bin ein Sicherheitsfanatiker. Bei jedem Auftritt bin ich mindestens eine Stunde vorher da und checke die Technik durch. Das kann das Publikum gar nicht sehen und braucht es auch nicht zu wissen. Denn der Nervenkitzel für die Zuschauer gehört ja dazu. Ich habe auch meine Kinder immer am Motorrad angegurtet.

Ihr Sohn Johann ist am 21. Mai 2006 in Hamburg abgestürzt und hat mit Mühe seine schweren Verletzungen überlebt. Die Mastspitze war abgeknickt, weil sie innen verrostet war. Gehört so etwas zu den Unwägbarkeiten, die Sie nicht verhindern können?

Ich habe vorher ein Drahtseil durch dieses Rohr gezogen, als hätte ich die Gefahr geahnt. Weil ich immer nach dem Motto arbeite: Gürtel und Hosenträger. Wenn dieses Seil nicht gewesen wäre, das meinen Jungen noch gerade so gehalten hat, würde er nicht mehr leben.

Sie sind selbst auch dreimal abgestürzt. Können Sie sich einen gefährlicheren Beruf als den Ihren vorstellen?

Selbstverständlich. In meinen Augen ist der Beruf des Polizisten viel gefährlicher. Der weiß nie, was ihn erwartet. Ich dagegen weiß immer, womit ich es zu tun habe.

Wann fühlen Sie sich unsicher?

Wenn ich das Gefühl habe, dass ich das Geschehen nicht mehr unter Kontrolle habe.

Gefühl ist ein gutes Stichwort: Gibt es Tage, an denen Sie den Auftritt absagen, weil Sie ein ungutes Gefühl haben? Hören Sie auf Ihre innere Stimme?

Ja, aber das kommt selten vor. Zurzeit trete ich zum Beispiel im Europapark Rust auf: Ich fahre als Weihnachtsmann in einem aufwendigen Glitzerkostüm und in einem Schlitten mit Rentieren auf dem Seil in 25 Meter Höhe über den See. Das ist nicht sehr hoch, eigentlich nichts Sensationelles. Aber bei dem heftigen Wind in den letzten Tagen habe ich mir schon gedacht, mein Gott, warum habe ich das gemacht. Das waren richtige Sturmböen. Mein Lieber!

Ihre Sicherheit ist auch wetterabhängig. Können Sie im Winter überhaupt auftreten?

Im Sommer ist nichts gut genug, und im Winter ist kein Brot zu hart, heißt ein alter Artistenspruch. Aber ich bin als Sternzeichen Stier auch sehr stur. Als ich am 10. Oktober 1999 mit dem Motorrad die Zugspitze vom Gipfelkreuz auf der deutschen Seite bis hinüber zur österreichischen Seite überqueren wollte, war morgens alles vereist. Der Auftritt wäre Selbstmord gewesen. Einige Stunden später war bei strahlender Sonne das Eis getaut, und ich konnte fahren. Zwei Jahre hatte ich für diesen Auftritt gekämpft und musste eine Versicherung über 30 Millionen Mark abschließen.

Gibt es überhaupt eine Versicherung, die Sie und Ihre Familie annimmt?

Ja, die Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gaststätten. Zum Höchstsatz: Die Versicherung kostet 6000 Euro im Monat, aber dafür wurde auch die ganze Reha für meinen Sohn anstandslos bezahlt.

Wie geht es Johann heute?

Er hat immer noch ein eingeschränktes Sehvermögen, ist aber schon beim Frühlingsfest in München wieder mit mir aufgetreten - und er trainiert weiter. Denn er ist als Sternzeichen Widder noch sturer als ich.

Wie hat der Unfall Ihres Sohnes Ihr Leben verändert?

Ich wollte mich mit 60 zur Ruhe setzen und die Geschäfte an Johann übergeben. Das geht jetzt nicht mehr. Darum habe ich vor allem wirtschaftliche Sorgen und Angst vor der Zukunft. Wir haben 10.000 Euro monatliche Fixkosten, und dieses Jahr war finanziell mein schlechtestes: zu wenig Aufträge. Aber man muss immer positiv denken. Mein Komödiantenherz ist groß und weit - bis zum Horizont.

Sie haben eine Kapelle gestiftet, zum Dank, dass Ihr Sohn überlebt hat. Sie ist dem heiligen Georg gewidmet. Ist er Ihr Schutzpatron?

Nein, der Schutzpatron der Seiltänzer ist eigentlich Don Bosco. Aber mein Sohn wurde im Krankenhaus St.Georg in Hamburg gerettet. Erzbischof Robert Zollitsch hat die Kapelle eingeweiht.

Welche spektakulären Auftritte haben Sie noch vor?

Ich möchte unbedingt auf den Eiffelturm fahren, bis in die zweite Etage. Und Asien mit Europa verbinden und dabei den Bosporus überqueren. Das sind 1123 Meter. Das Seil habe ich schon.

Träumen Sie nicht manchmal von einem ganz ruhigen und ungefährlichen Bürojob?

So ein Leben wäre sterbenslangweilig. Ich brauche die Herausforderung. Meine Familie ist mein Netz. Und der Respekt vor meiner Arbeit.