Ein Hauch von Bauhaus umweht die 22 Gebäude einer Budapester Wohnsiedlung von 1931. Doch wie steht es heute um die experimentellen Einfamilienhäuser? Danach fragt eine Schau in der Weißenhofsiedlung in Stuttgart.
Als stünde man direkt in der Straße, der Gehweg gerade angelegt, noch ist nichts asphaltiert. Häuser stehen da ohne Baum und Strauch im kleinen Vorgarten – was die Architekten nicht weiter gestört haben dürfte, da nichts die Sicht auf die streng geometrischen, bisweilen kühn geschwungenen Formen ihrer Entwürfe verdeckte. Dieses stark vergrößerte Foto von zwei Häuserreihen entlang der Napraforgó-Straße empfängt die Gäste einer höchst spannenden Ausstellung in der Weißenhofwerkstatt im Haus Mies van der Rohe auf dem Stuttgarter Killesberg.
Nicht nur in Stuttgart findet sich nämlich eine kleine Siedlung mit Häusern, die nach den Prinzipien des späteren Bauhausschulchefs Mies van der Rohe und seiner Mitstreiter entworfen sind. Auch in Ungarn haben die Architekten das Neue Bauen praktiziert, sich von historisierenden Bauformen verabschiedet.
Einer Ansammlung von 22 für die damalige Zeit – am 8. November 1931 der Öffentlichkeit vorgestellten – experimentell geplanten Häusern ist diese von Klaus J. Loderer Schau gewidmet, es sind freilich neben kubischen Formen auch andere zu finden, Art-déco-Anklänge, Secession und sogar ein schlichtes Häuslein mit Satteldach oder auch ein kubisches Flachdachhaus mit extravaganter Stern-Spitzen-Form am Balkon beispielsweise.
Wie in Deutschland gab es auch in Ungarn viel zu wenig Wohnraum, vor allem für die in Fabriken schuftende Stadtbevölkerung, ist auf Texttafeln in einer der Schauvitrinen zu lesen. Diesem Mangel abzuhelfen, wird aber wohl nicht der drängendste Anspruch des privatwirtschaftlich betriebenen Projekts der Neubausiedlung gewesen sein, die in Pasarét am westlichen Stadtrand von Budapest entstand.
Architekten – der jüngste (György Masirevich) 26 Jahre alt und der älteste (Henrik Blom) 64 Jahre alt – sowie die 1906 von Lajos Fejer und Lászlo Dános gegründete Baufirma Fejér + Dános kamen bei dem Projekt zusammen. Es galt auszuprobieren und zu zeigen, wie fortschrittliches Bauen aussehen könnte mit Decken und Wänden aus Stahlbeton, gemauerten tragenden Wänden, Flachdächern, großen Terrassen, Dachterrassen, Fensterbändern. Die progressive Architekturzeitschrift „Tér és Forma“ veröffentlichte damals ausführlich alle Häuserprojekte samt Grundrissen.
Progressive Wohnhäuser am Stadtrand
„Der neue Wohnkomplex im Pasarét ist das erste Wohngebiet mit modernem Geist in Ungarn“, lobte die Tageszeitung „Budapesti Hírlap“ in einer Rezension am 10. November 1931. Doch ein bisschen Häme ergoss sich über die Straße: Irgendein Riese mit einem sehr modernen Flair stellte entlang der Straßenbahn kleine Kisten auf, versammelte dann ein paar wohlhabende Liliputaner und sagte: ,Lebet hier.’“, schrieb der Autor Antal Szerb 1935 in einem Budapest-Führer.
Ein wenig Neid, Kritik jedenfalls am Bürgertum mag mitgeschwungen haben, dass sich hier einige den Traum vom modernen Familienhaus verwirklichten. Einst wie auch heute finden sich in (aus genau diesem Grund oft gescholtene) Neubausiedlungen kleine Häuschen jeweils nur für je eine Familie.
Ein Dach überm Kopf gab es da für die arme Bevölkerung nur, wenn eine Schlafkammer für sie eingeplant war. So wie in dem einzigen dreistöckigen Haus mit rundem Erker von Péter Kaffka (Jahrgang 1899), in dem zunächst eine Schauspielerin namens Anna Síró logierte und das neben großzügigem Garderobenraum einen Speiseaufzug und eben Dienstbotenzimmer aufwies.
In den 22 Häusern lebten vor allem Beamte, Künstler, Schriftsteller, Offiziere, Unternehmerfamilien. Ein bemerkenswert gut erhaltenes Haus, Nummer 19 von Alfred Hajos, im Original mit gelblichem Putz versehen, wie ein kleiner Brocken in der Vitrine beweist, wird sogar immer noch von derselben Familie bewohnt. Fotos der Bewohner und ein nachgebautes Modell sind in einer Vitrine zu bewundern.
Manch anderen Häusern erging es weniger gut, ihnen wünschte man denkmalpflegerischen Schutz wie die Vorher-Nachher-Bilder der anderen Gebäude dokumentieren. Manchmal erstaunlich, zuweilen schauerlich sind diese Gegenüberstellungen.
Das Haus Nummer 17, das schon ganz den Bauhaus-Prinzipien gehorcht von Pál Ligeti und Fakas Molnár (der später auch am Bauhaus in Weimar ein Mitarbeiter von Gropius wurde), ist der einzige Stahlbetonskelettbau.
Der bröckelnde Putz am Haus heute zeigt, dass dieses Gebäude noch keinen neuen architekturliebenden Besitzer gefunden hat. Oder vielleicht einen ohne entsprechende finanzielle Mittel, denn denkmalgerechtes Sanieren ist teuer.
Andere Gebäude sind keineswegs verfallen, sie wurden mit den Jahren um-, besser: zugebaut. Die Belvedere-Terrasse des Hauses 20 des 1901 geborenen Architekten József Fischer ist um ein Türmchen ergänzt, anderswo sind offene Terrassen zugemauert oder mit Wintergärten versehen, man entdeckt neue Fenster, zugemauerte Fenster, abgebrochene Balkone.
Manchmal sieht man vor lauter Sträuchern und Bäumen das Haus kaum mehr. Die Natur, die Menschen haben sich der Häuser bemächtigt und nach Heimwerkermanier nach ihren Bedürfnissen (um)gestaltet. Und auch wenn manch eine Bausünde das puristische Architekturherz schmerzt, ist zu sehen, gute Architektur hält das aus.
Info
Ausstellung
Die Ausstellung „Versuchssiedlung Budapest 1931 - Musterhäuser Napraforgó-Straße“ in der Weissenhofwerkstatt im Haus Mies van der Rohe (Am Weissenhof 20) in Stuttgart läuft bis zum 3. März. Öffnungszeiten sind samstags, sonntags, feiertags, jeweils von 12 bis 17 Uhr. Der Eintritt ist frei.
Veranstaltungen
Kurator Klaus J. Loderer führt am 2. März um 14 Uhr durch die Ausstellung. Partner der Schau ist das Ungarische Architekturmuseum Budapest, die Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen und das Liszt-Institut – Ungarisches Kulturzentrum Stuttgart – ein Symposium „Licht und Form“ ist für den 22. Februar um 18 Uhr im Liszt-Institut (Christophstraße 7) in Stuttgart geplant. Es wird da auch der Direktor des Ungarischen Architekturmuseums und Dokumentationszentrums für Denkmalschutz, Kornél Almássy, sprechen.