Die Hausaufgabenhilfe gehört für Ariane Mueller-Ressing (links) und ihre Mitstreiter vom Arbeitskreis Flüchtlinge zu einer der Kernaufgaben. Foto: Archiv Rüdiger Ott

Der Arbeitskreis Flüchtlinge wird 20 Jahre alt. Seine Arbeit hat vielen Asylbewerbern das Leben erleichtert.

Sillenbuch - Welchen Stellenwert ein Flüchtling in Deutschland hat, zeigt sich für Ariane Mueller-Ressing an einer simplen Zahl. Der Wohnraum, der einem Strafgefangenen von Gesetzes wegen zugebilligt wird, beträgt sechs Quadratmeter. „Ein Asylbewerber hat Anspruch auf 4,5 Quadratmeter“, sagt Mueller-Ressing. So lange es in Deutschland solche Unterschiede bei der Behandlung von Menschen gibt, wird dem Arbeitskreis Flüchtlinge, deren Sprecherin Ariane Mueller-Ressing ist, die Arbeit nicht ausgehen.

1992, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle, fanden sich etwa drei Dutzend Sillenbucher zusammen. Die Stadt hatte ein Asyldorf mit sechs Gebäuden für 220 Flüchtlinge gebaut. Das war bei den Anwohnern nicht auf ungeteilte Gegenliebe gestoßen. „Wir wollten die Flüchtlinge willkommen heißen und ihnen zeigen, dass wir sie als Mitmenschen sehen“, sagt Mueller-Ressing.

Vor allem die Kinder haben es schwer

Im November des selben Jahres begann der neu formierte Arbeitskreis Flüchtlinge seine Arbeit mit einem Begrüßungscafé für 85 Asylbewerber. Schnell folgten Konzert- und Zirkusbesuche, aber auch eine Nachtwache an Silvester. Denn die Angst saß bei vielen Asylbewerbern tief. „Die Flüchtlinge brachten Probleme, Psychosen und Kriegstraumata mit“, erzählt Mueller-Ressing. Vor allem bei Kindern habe das schlimme Auswirkungen: Sie schafften oft nur schwer, in ein normales Leben zurückzufinden, sagt die AK-Sprecherin.

Umso wichtiger war das, was der Arbeitskreis für die Jüngsten unter den Flüchtlingen erreicht hat: Die Ehrenamtler bezahlten Therapiestunden, setzten durch, dass die Kinder Schulen und Kindergärten besuchen durften. Sie richteten eine internationale Vorbereitungsklasse ein, und auch eine regelmäßige Hausaufgabenbetreuung gehörte bald zum Angebot des Arbeitskreises. Den Erwachsenen halfen die Männer und Frauen des Arbeitskreises bei der schwierigen Jobsuche, die freilich oft genug an den strengen gesetzlichen Bestimmungen scheiterte.

„Deutsch ist die Brückensprache.“

Lernen, sagt Mueller-Ressing, sei enorm wichtig: „Deutsch ist die Brückensprache, die Kenntnisse müssen vom ersten Tag an gefördert werden.“ Ohnehin würden viele Flüchtlinge die Zeit, in der sie nicht lernen oder arbeiten dürften, als verlorene Zeit empfinden. Und selbst wenn die Flüchtlinge irgendwann in ihre Heimatländer zurückkehrten, würden sie das erworbene Wissen mitnehmen. „Das bedeutet Nachhaltigkeit“, sagt Mueller-Ressing.

Die Behörden machten es dem Arbeitskreis vor allem in seiner Anfangszeit nicht leicht. „Der Kontakt mit dem Sozialamt und dem Ausländeramt war damals eine bittere Erfahrung“, sagt die Sprecherin im Rückblick. Das habe sich zum Glück geändert. „Die Sozialverwaltung in Stuttgart hat eine unglaublich positive Entwicklung gemacht“, sagt Mueller-Ressing. Heute sei der Arbeitskreis ein geschätzter Ansprechpartner der Ämter geworden.

Das Ziel: Menschenwürdiges Leben

Auch der Wechsel in der Zuständigkeit für die Menschen im Heumadener Asyldorf hat den Arbeitskreis immer wieder vor Schwierigkeiten gestellt. Mal sorgte der Bund für die Flüchtlinge, dann wieder übernahm die Stadt die Obhut für die Asylbewerber. Im Alltag bewirke das enorme Unterschiede, erläutert Mueller-Ressing: Während vom Staat versorgte Asylbewerber zum Beispiel von Essensgutscheinen leben müssten, dürften von der Kommune versorgte Flüchtlinge einkaufen gehen. „Das war oft schwer zu erklären“, sagt sie.

Eines aber ist für Mueller-Ressing über die Jahre trotz aller Änderungen gleich geblieben: „Asyl zu gewähren ist nicht nur eine Pflicht, sondern auch eine moralische Aufgabe.“ Den Flüchtlingen ein menschenwürdiges Leben zu bieten, sei das Ziel des Arbeitskreises. Denn der sehe die Asylbewerber eben nicht nur als lästige Bittsteller. „Sie sind Mitbürger auf Zeit“, sagt sie.

Flüchtlinge in Deutschland


Zahlen: 1992 erreichte die Zahl der Asylanträge als Folge der Balkankriege mit fast 440 000 in Deutschland einen Höchststand. 2011 hingegen gab es nur noch 46 000 Asylanträge.

Asylsuchende: Im ersten Jahr ihres Aufenthalts dürfen Asylbewerber nicht arbeiten, danach nur unter besonderen Voraussetzungen. Die staatlichen Sozialleistungen sind derzeit rund 35 Prozent niedriger als die für Deutsche. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht kürzlich klargestellt, dass diese Leistungen gegen das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum verstoßen. Versorgt werden Asylbewerber je nach Stand ihres Asylverfahrens entweder von der Kommune oder vom Staat.

Residenzpflicht:
Asylsuchende müssen vielerorts in den ihnen zugewiesenen Unterkünften wohnen, ihren Aufenthaltsort dürfen sie nicht ohne Erlaubnis verlassen.