Im vergangenen Jahr wurde ein Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule beschlossen. Dieser wird schrittweise eingeführt. (Symbolfoto) Foto: dpa/Uwe Anspach

Von 2026 an haben Erstklässler einen Anspruch auf Ganztagesbetreuung. Die Gemeinden warnen schon jetzt, dass dieses Versprechen so nicht zu halten sein wird – ähnlich wie in den Kitas.

Die Kommunen in Baden-Württemberg bezweifeln, dass der Rechtsanspruch für Ganztagesbetreuung in der Grundschule, der von 2026 an gelten soll, überhaupt umgesetzt werden kann. Dafür würden vor allem ausreichend Fachkräfte fehlen, sagte Steffen Jäger, Präsident des Gemeindetags Baden-Württemberg, der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart. „Wenn ein Rechtsanspruch in einer Phase verabschiedet wird, in der wir schon wissen, dass der Arbeitsmarkt komplett leer gefegt ist, dann haben wir die Sorge, dass damit ein Versprechen gegeben wird, das so nicht haltbar ist.“

Grundsätzlich hält Jäger den Ausbau der Ganztagesbetreuung für richtig. „Wir brauchen Ganztagesangebote an den Grundschulen, natürlich müssen diese auch ausgebaut werden. Es kommt darauf an, wie das passiert“, sagte Jäger. Mit einem neuerlichen Rechtsanspruch löse man aber falsche Erwartungen aus. „Das führt dann zu einer neuerlichen Frustration bei denen, die ihn eigentlich in Anspruch nehmen wollen.“

Ab wann die Regelung greift

Bund und Länder hatten im vergangenen Jahr einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule beschlossen, der schrittweise eingeführt wird. Ab dem Schuljahr 2026/2027 greift die Regelung bei Kindern der 1. Klasse, ab 2029/2030 bei allen Klassen. Eine Studie der Bertelsmann Stiftung hatte im vergangenen Jahr ergeben, dass für die Umsetzung bis Ende des Jahrzehnts mehr als 100 000 pädagogische Fachkräfte fehlen könnten.

Aus Sicht Jägers hätte die Politik vor der Entscheidung für den Rechtsanspruch erst mit den Praktikern sprechen sollen. „Es wäre aus unserer Sicht klüger gewesen, zunächst mal mit denen zu sprechen, die am Ende diesen Rechtsanspruch umsetzen sollen“, sagte Jäger.

Der Ausbau von Ganztagesangeboten an Grundschulen und in Kitas sei eine zwingende Voraussetzung für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, betonten die Unternehmen in Baden-Württemberg. „Er ermöglicht Eltern, in Vollzeit zu arbeiten und trägt dazu bei, dass die Zuwanderung von Fachkräften und ihren Familien funktioniert“, sagte Stefan Küpper, Geschäftsführer für Politik, Bildung und Arbeitsmarkt beim Verband Unternehmer Baden-Württemberg. Um den Mangel an Fachkräften anzugehen, brauche es kreative und vielfältige Lösungen. So sollten die Pädagoginnen und Pädagogen bei anderen Aufgaben, etwa Verwaltung oder Technik, entlastet werden.

Schulexpertin fordert Festlegung von Mindeststandards

Der Ausbau der Ganztagesbetreuung laufe im Land viel zu langsam, kritisierte Katrin Steinhülb-Joos, Schulexpertin der SPD-Fraktion im Landtag. „Wir haben keine Zeit, um zu lamentieren.“ Sie forderte, dass verbindliche Mindeststandards schnell festgelegt werden müssten. „Nur dann ist klar, welche Voraussetzungen Personen erfüllen müssen, um in der Ganztagsbetreuung an Schulen arbeiten zu können. Bisher haben wir einen Mix an Angeboten an den Schulen, aus dem unterschiedliche Qualitätsstandards resultieren“, sagte Steinhülb-Joos. Eltern und Kinder müssten sich aber auf einheitliche Standards verlassen können. Zudem könnten die Schulen dann besser planen.

Die AfD fordert mehr Einsatz der Landesregierung bei dem Thema. „Es ist erstaunlich, dass Kultusministerin Schopper bei diesem drängenden Thema weiterhin tatenlos bleibt“, sagte Rainer Balzer, bildungspolitischer Sprecher der Fraktion. Das sieht auch die FDP so. Deren Abgeordneter Dennis Birnstock forderte von Theresa Schopper (Grüne), „endlich das Steuer in die Hand zu nehmen, um einen ungebremsten Knall in 2026 zu verhindern.“ Statt einer Gesamtstrategie zur Umsetzung des Rechtsanspruchs komme aus dem Kultusministerium nichts. Der Rechtsanspruch dürfe nicht zu „einer zusammengeschusterten Not-Betreuung werden“, sagte Birnstock.

Rechtsanspruch im Kitabereich existiert vor allem auf dem Papier

Im Kitabereich gibt es den Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz schon länger. Seit 2013 muss eigentlich jedem Kind ab dem ersten Lebensjahr ein entsprechender Platz zur Verfügung gestellt werden. Auch dieser existiert vor allem auf dem Papier: Das Ländermonitoring 2022 der Bertelsmann-Stiftung spricht von 16 800 fehlenden Fachkräften in Baden-Württemberg, um in diesem Jahr den gesetzlichen Anspruch aller Kinder auf Betreuung zu erfüllen, deren Eltern Betreuungsbedarf haben.

In den vergangenen 15 Jahren habe man die Zahl der pädagogischen Fachkräfte in den Kitas mehr als verdoppelt, sagte Jäger. Im gleichen Zeitraum sei die Zahl der Kinder aber nur um rund 20 Prozent angestiegen. „Der Betreuungsschlüssel, wie viele Kinder auf eine Fachkraft kommen, hat sich erheblich verbessert. Wir haben in Baden-Württemberg zwischenzeitlich die mit Abstand beste Qualität in der frühkindlichen Bildung, die es bundesweit gibt“, sagte Jäger.

Fachpersonal ist schwer zu gewinnen

Für Bürgermeisterinnen und Bürgermeister werde es aber zunehmend schwieriger, noch qualifiziertes Fachpersonal zu gewinnen, sagte der Gemeindetagspräsident. Der Markt sei leer gefegt. „Durch die Standards, die in Baden-Württemberg gelten, muss ich als Bürgermeister, wenn ich keine zusätzlichen Fachkräfte finde, entweder Einrichtungen schließen oder ich muss Öffnungszeiten reduzieren“, sagte Jäger.

Er begrüßt deswegen auch die Ankündigung des Landes, dass Kitas in begründeten Fällen und in Ansprache mit den Beteiligten vor Ort von Personalvorgaben abweichen dürfen. „Wir müssen uns grundlegend Gedanken machen, wie wir den Mindestpersonalschlüssel weiterentwickeln und wie wir die Vorgaben gestalten, dass sie auch erfüllbar sind“, sagte Jäger.