Erinnerung: eine Rose für ein Terroropfer an der Gedenkstätte für die Anschläge des 11. September 2001 in New York. Foto: DPA

Stimmen aus dem Dunkeln, eine ramponierte Treppe, Eheringe, die keiner mehr tragen wird: Das 9/11-Museum ist ein Parcours des Grauens. Ein Besuch 15 Jahre nach den Anschlägen.

New York - Runter. Einfach nur runter. Dutzenden, Hunderten Flüchtenden hinterher. Über ungezählte Treppen. Blank polierte, sandfarbene Granitstufen. Jede nur anderthalb Männerfüße tief. Runter. Gehetzt. Ins Ungewisse. Keiner der Fliehenden wusste, ob er da unten gerettet wird. Oder in den sicheren Tod hastete.

Plötzlich stockten die Fliehenden. Standen. Drängten sich an den Handlauf. Öffneten eine Gasse. Für Feuerwehrfrauen und -männer, die ihnen entgegeneilten. Sauerstoffflaschen auf dem Rücken. Äxte, Stemmeisen und Schläuche geschultert. „Wo die reingekommen sind, müssen wir auch rauskommen“, dachte Patty Clark in diesem Moment. Und hoffte zum ersten Mal an diesem Dienstag. Während die einen in den Tod stiegen, gingen die anderen ins Leben.

Minuten zuvor hatten fünf muslimische Terroristen der Al-Kaida um 9.03 Uhr an diesem 11. September 2001 ein Passagierflugzeug vom Typ Boeing 767 in den 415 Meter hohen Südturm des New Yorker World Trade Center (WTC) gesteuert. 18 Minuten zuvor hatten weitere Angreifer bereits eine Maschine des gleichen Typs in den WTC-Nordturm gelenkt. Die Zwillingstürme brannten. 58,1 Tonnen Flugbenzin breiteten die Brandherde über Fahrstuhlschächte und Treppenhäuser aus.

Ein Überlebender als ehrenamtlicher Museumsführer

Einer, der diese Hölle überlebte, ist Greg Carafello. Der Manager arbeitete im Südturm. Etwa 20 Minuten brauchte er, um aus seinem Büro auf die Straße zu gelangen. „Die Zeit, die zwischen dem Einschlag von Flug American Airlines 11 in den Nordturm und Flug United Airlines 175 in den Südturm liegt“, sagt er nachdenklich.

Für fünf Stunden streift Greg Carafello freitags ein sandfarbenes Leibchen über. „Docent“ (deutsch: Dozent) steht in schwarzen Buchstaben auf der linken Brust. Kaum einer der Besucher des 9/11-Museums in New York ahnt, dass ein Überlebender der Terroranschläge mit ruhiger Baritonstimme auf ihre Fragen antwortet. Seine Hände malen Bilder, wenn er die Terroranschläge und ihre Folgen beschreibt oder von seinem besten Freund und Trauzeugen James Martello erzählt, den er ein Leben lang kannte. „Das hat eine reinigende Wirkung, die mir guttut“, sagt Carafello leise. Martello starb, als die beiden Türme um 9.59 Uhr und 10.28 Uhr einstürzten.

Fast 3000 Menschen starben infolge der Anschläge: 184 Menschen bei dem Anschlag auf das US-Verteidigungsministerium, 40, als Besatzungsmitglieder und Passagiere an Bord des entführten Fluges United Airlines 93 versuchten, die vier Terroristen zu überwältigen. Die Boeing 757-200 stürzte nahe Shanksville im Bundesstaat Pennsylvania ab. US-Ermittler glauben, dass sie in Washington entweder ins Weiße Haus oder ins Kapitol, den Sitz des Kongresses, gelenkt werden sollte.

Eine Treppe als Metapher

In New York starben 2749 Menschen: an den Folgen der Attacken, während des Terroranschlags oder beim Einsturz der Türme und der sie umgebenden Gebäude. Von denen sind 38 Stufen des Treppenhauses A geblieben, über die sich Hunderte Anschlagsopfer aus dem Nordturm retteten. Einer von ihnen: Patty Clark, der aus der 65. Etage über diese Granitstufen ins Leben stieg. „Diese Treppe ist für mich eine wunderschöne Metapher“, sagt Clark. „Sie überlebte! Ein wenig ramponiert, auf ewig verändert. Aber sie überlebte!“

Heute endet mit ihr das, was die Museumsmacher „Rampe“ getauft haben: eine Serpentine aus einem tageslichtgefluteten Glaspavillon in die Dunkelheit der Unterwelt, die früher einmal das Fundament der Zwillingstürme bildete. Sieben Stockwerke tief unter der Erde. Den Weg säumen die grauen Betonwände, die das Handelszentrum vor dem nahen Hudson River schützten oder die wolkenkratzenden Türme stützten.

Hier unten im Dunkeln hören die Besucher immer wieder Stimmen. Sie begleiten sie immer wieder während des Rundgangs durch das Museum. Viele auch dann noch, wenn sie längst wieder ins Helle gestiegen sind. Die Stimmen, das sind Funkgespräche von Polizisten und Feuerwehrleuten, Telefongespräche von Opfern mit ihren Liebsten. Letzte Grüße: „Honey, ich liebe dich, was auch immer hier passiert.“

Ein Schild warnt die Besucher

Bis heute sind die Leichen von etwa 1000 Opfern der Terroranschläge nicht identifiziert. Hinter einer blauen Wand sind in speziellen Katakomben ihre Überreste bestattet. Nur Hinterbliebene und Gerichtsmediziner haben Zugang zu diesem umstrittenen Teil des Museums, das so auch zum Friedhof geworden ist.

Eine Drehtür führt in den Bereich, der die ganze Brutalität der Anschläge des 11. Septembers 2001 zeigt: Eheringe, Uhren, Schlüssel, Brillen der 17 400 Menschen, die an diesem Tag bereits in den Wolkenkratzern waren. Und immer wieder Stimmen von Rettern, Geretteten und Verstorbenen. Ein Schild warnt Besucher vor dem, was sie in einer abgeschirmten Nische erwartet: Fotos und Filme der Menschen, die sich aus den Türmen in den sicheren Tod stürzten. Statt darauf zu warten, qualvoll zu sterben. Mehr als 200 sollen es gewesen sein.

Einen Steinwurf vom Museum entfernt hat der 9/11-Überlebende und ehrenamtliche Museumsführer Greg Carafello in der 85. Etage des neuen One World Center ein neues Büro bezogen bei einer von zehn Firmen, die auch schon in den Zwillingstürmen waren. Er blickt auf die Gedenkstätte: zwei Löcher, in denen vor 15 Jahren Nord- und Südturm standen und in die heute Wasserfälle plätschern. Auf das Museum, durch dessen Scheiben ein rostiger Stahlträger der Türme zu sehen ist. Auf die Besucher. Das alles, sagt Carafello, symbolisiere für ihn den weltweiten Kampf gegen den Terrorismus: „Wir wurden getroffen. Wir sind angeschlagen. Wir mussten uns beugen. Aber wir zerbrachen nicht.“