Pop in barocken Kulissen: Die Schwedin Anna Ternheim im Weißen Saal des Neuen Schlosses Foto: Lichtgut/Verena Ecker

Skandinavisch klar und mit Respekt vor der Würde des Hauses: Die schwedische Songwriterin Anna Ternheim ist im Rahmen des New-Fall-Festivals im Neuen Schloss aufgetreten.

Stuttgart - Unverbrauchte Künstler und ungewöhnliche Orte zusammenzubringen: Manchmal erreicht das New-Fall-Festival tatsächlich, was es sich vorgenommen hat. Die Cannstatter Straßenbahnwelt mit ihrem ferrophilen Interieur scheint sich in diesem Jahr jedenfalls als Standortbereicherung herauszukristallisieren, und dass das Neue Schloss nach der Premiere 2016 erneut für zwei Auftritte geöffnet wurde, ist ein Genuss.

Doch der Prachtbau im Herzen der Stadt hat auch seine Tücken für die Gäste aus der Popszene. Das barocke Ambiente verlangt Respekt von seinen Besuchern, kann Künstler einschüchtern und Veranstalter vor Herausforderungen stellen – zwei Welten treffen hier aufeinander. Während also oben im ersten Stock ein Hauch von Haute culture in der Luft liegt, geht es im Foyer etwas hemdsärmeliger zu. Der dort platzierte, schmucklos zusammenimprovisierte Getränkestand ist der Würde des Hauses jedenfalls nicht ganz angemessen.

Das Duo bleibt bei seinen nordischen Wurzeln

Diese Würde spürt am Samstagabend auch Anna Ternheim. „Unter Kristallleuchtern zu spielen ist doch etwas ungewohnt für mich“, lächelt die Singer-Songwriterin aus Stockholm, als sie, sehr blond, sehr apart, sehr schwedisch, die 350 Besucher im ausverkauften Weißen Saal begrüßt – „normalerweise trete ich ja eher in dunklen Kellern auf.“

Und ja: Eine gewisse Ehrfurcht meint man Anna Ternheim fortan durchaus anzuhören. An ihrer Seite: Martin Hederos, der einst mit der schwedischen Band The Soundtrack Of Our Lives eine etwas glücklose Karriere zwischen Indiepop und Alternative-Rock hinlegte. Inzwischen ist der Keyboarder in die skandinavische Jazzszene gewechselt; an Synthesizer, Orgel und E-Piano assistiert er Anna Ternheim an diesem Abend aber weitgehend konventionell im Kontext von Pop und Songwritertum.

Auch Geige und Akkordeon spielt Hederos im bestuhlten und geschmackvoll dezent ausgeleuchteten Schlosssaal, und für kurze Momente scheint die Musik dann einen Schlag ins Countryeske, ins Amerikanische zu bekommen. Aber das Duo bleibt bei seinen nordischen Wurzeln, schminkt die Kompositionen zu keinem Zeitpunkt mit glamourösen Verzierungen, sondern vertraut der Klarheit der Melodien. So ist es über weite Strecken die Konstellation Gitarren–Keyboards–Stimme, die den rund einhundertminütigen Abend trägt. Sie trägt ihn gut, zumal hier zwei Gleichgesinnte musizieren. Egal ob er mit seinem Tastenspiel ihren Saitenlinien folgt oder umgekehrt: Der Dialog zwischen ihm und ihr ist geprägt von aufmerksamem Zuhören, verläuft in distinguierten Bahnen.

Der Synthesizer tönt wie eine singende Säge

Feinsinnig setzt die Schwedin auch die ein oder andere kleine Pointe in ihrem Programm. „Manchmal tut es gut, abends auch mal früher nach Hause zu gehen“, philosophiert sie etwa in der Anmoderation zu „In the Morning“ – um die Protagonistin ihres Songs dann um vier Uhr morgens nach Hause stöckeln zu lassen.

Der Subtilität und der Anmut der ruhigen Töne verpflichtet, limitieren Anna Ternheim und ihr Begleiter ihre Möglichkeiten allerdings etwas über Gebühr. Zwei-, dreimal nur mischt Hederos pochende Beats in den Sound oder leistet sich klangliche Extravaganzen. Dann tönt sein Synthesizer wie eine singende Säge, und seine Geige könnte auch einen Song von Laurie Anderson verzieren. Wenn dann noch Anna Ternheim an die elektrische Gitarre wechselt und ein paar spröde Riffs von den Saiten reißt, entsteht jenes Plus an Spannung, das diese Lieder über wohltemperierte Songwriter-Melancholie hinaushebt. Ob der Verzicht an rockiger Schärfe, rhythmischer Prägnanz und zwielichtigen Soundscapes auch auf Respekt vor dem Veranstaltungsort zurückzuführen ist? Gut möglich jedenfalls, dass sich Ternheim und Hederos in einer dunklen Kaschemme deutlich mehr an solchen Momenten erlauben würden.

Stattdessen führt Anna Ternheim ihre Kunst an das andere Ende der Dynamikskala heran. Wenn sie im Zugabenblock erst vollkommen unverstärkt und dann in beträchtlicher Distanz zum Mikrofon singt und sich nur mit leisen Handclaps begleitet, wird hör- und sichtbar, wie sehr diese Musik auch im Leisen zu Hause ist und die Momente der Stille braucht, um in voller Schönheit zu erblühen.