Im Wendlinger Gewerbegebiet Wert will die TTS Tooltechnic Systems ihren Standort erweitern. Weil die Fahrbahn der Wertstraße das neue Grundstück und das alte trennt, soll sie privatisiert werden. Andere Unternehmen laufen Sturm.
Die Firma TTS Tooltechnic Systems, die zur Festool Group gehört und ansässig im Wendlinger Gewerbegebiet Wert ist, will expandieren – und hat dafür ein Areal gegenüber ihrem bestehenden Gelände erworben. Mitten durch das neue TTS-Gelände führt allerdings die Wertstraße, die das gesamte Gewerbegebiet erschließt und sozusagen einmal ums Karree führt. Nun hat der Wendlinger Gemeinderat beschlossen, der Firma ein etwa 100 Meter langes Teilstück der bislang öffentlichen Straße zu verkaufen, damit ihr Betriebsgelände nicht unterbrochen wird. Unterbrochen wird damit aber die Wertstraße, eine Durchfahrt wird künftig nicht mehr möglich sein. Die übrigen gewerbetreibenden Anlieger haben davon erst erfahren, als der Verkauf schon in trockenen Tüchern war. Sie fürchten neben dem Verkehrschaos teils um ihre Existenz. Elf der Anlieger haben sich zu einer Interessengemeinschaft (IG) zusammengeschlossen und Einspruch eingelegt.
Dass ein Wendehammer ausreicht, bezweifelt die Interessengemeinschaft
„Wie konnte es passieren, dass nur einseitig die Bedürfnisse ermittelt wurden und wichtige öffentliche Infrastruktur verkauft wird?“, wollte Markus Leichtlen, der Geschäftsführer der Firma Xplano, einem im Gewerbegebiet Wert ansässigen Messerbauunternehmen, in der jüngsten Sitzung des Wendlinger Gemeinderats wissen. Leichtlen ist einer von zwei Sprechern der IG. Etwa 20 Gewerbetreibende sind von der neuen Verkehrsführung direkt betroffen, darunter zwei große Logistiker mit entsprechend hohem Fahrzeugaufkommen. Würde das Teilstück der Wertstraße privatisiert und der Zufahrtsweg zur Sackgasse, wären wohl künftig aufwendige Wendemanöver nötig. Zwar hat die Stadt einen Wendehammer am neuen Ende der Straße eingeplant – ob der ausreicht, bezweifeln die Mitglieder der IG jedoch. „Außerdem stellt sich die Frage, was passiert, wenn ein Lastwagen eine Panne hat, ein Unfall passiert oder es in einem der Gebäude brennt“, ergänzt Frieder Maier vom gleichnamigen Garten- und Landschaftsbaubetrieb und zweiter IG-Sprecher.
40 Meter hohes Regallager soll entstehen
Wegen der Erweiterung der Firma TTS hatte der Stadtrat bereits 2023 der Änderung des über 40 Jahre Bebauungsplans im Wert zugestimmt. Damals wurde beschlossen, dass die TTS auf dem zugekauften Grundstück ein 40 Meter hohes Hochregallager bauen darf, bei den übrigen Gebäuden im Wert wurden künftig Aufstockungen von bis zu 25 Metern genehmigt. Bislang sind in dem rund 11,5 Hektar großen Gewerbegebiet Gebäudehöhen von zwölf bis 18 Metern erlaubt. Von einem Verkauf eines Stücks der Wertstraße war damals noch nicht die Rede.
Die Firma TTS sei im Laufe des Jahres mit diesem Anliegen auf die Stadtverwaltung zugekommen, sagt Wendlingens Bürgermeister Steffen Weigel. Wie üblich bei Grundstücksgeschäften wurde der Verkauf vom Gemeinderat in nichtöffentlicher Sitzung Ende Januar einstimmig beschlossen – auf Grundlage eines von der Stadt in Auftrag gegebenen, von der TTS bezahlten Verkehrsgutachtens. Der Beschluss, die Straße für rund 370 000 Euro zu veräußern, wurde in der darauffolgenden öffentlichen Sitzung Ende Februar bekannt gegeben.
Wäre eine Brücke die Lösung?
Die Anlieger der Wertstraße erfuhren davon bei einer Informationsveranstaltung der Stadt am 21. Februar. „Da sind wir zum ersten Mal hellhörig geworden. Allerdings war die Katze bereits den Baum rauf“, sagt IG-Sprecher Leichtlen. Nach dem Studium des Verkehrsgutachtens hat die IG viele Kritikpunkte: „Wir sind keine Experten, aber die aktuelle Verkehrssituation wurde darin nicht erfasst“, sagt Maier. Vor allem seien die Verkehrsdaten nur an einem einzigen Tag erhoben und zyklische Schwankungen nicht berücksichtigt worden. Weitere Kritikpunkte seien etwa ein bislang fehlendes Brandschutz- und Rettungskonzept. Und auch, dass die Wertstraße bislang von vielen radelnden Schülern genutzt werde, habe keine Rolle gespielt.
Dass es am geplanten Verkauf – der laut Wendlingens Bürgermeister Steffen Weigel in den nächsten Tagen über die Bühne gehen soll – nichts mehr zu rütteln gibt, ist der IG klar. „Wir wollen da nur weiter durchfahren können, sonst wollen wir uns nicht weiter einmischen“, sagt Leichtlen. Für die IG sei auch eine Überbauung des betreffenden Teilstücks der Wertstraße, damit die TTS ihr Firmengelände etwa mit einer Brücke verbinden kann, denkbar: „Da sind wir vollkommen offen, wir wollen nur durchfahren und es muss eine Durchfahrtshöhe von vier Metern für Lastwagen gewährleistet sein.“
Verkauf und Entwidmung sind zweierlei
Die Wendlinger Stadtverwaltung nimmt die Bedenken der IG ernst, seit der Gemeinderatssitzung hat bereits ein weiteres Gespräch mit dem Bürgermeister stattgefunden. „In sehr freundlicher Atmosphäre“, wie Weigel betont. „Die Entwidmung der öffentlichen Straße erfolgt nicht durch den Verkauf, sondern erst durch einen möglichen Satzungsbeschluss des Bebauungsplans“, sagt der Verwaltungschef. Deshalb werden im laufenden Bebauungsplanverfahren alle Einwendungen bewertet und abgewogen. Ebenso wird das Verkehrsgutachten nochmals auf den Prüfstand gestellt: „Das Gutachten sieht allerdings keine Schwierigkeiten für die Entwidmung“, sagt Weigel.
Wie Betroffene sich einbringen können
Beteiligung
Seit dem 11. März ist der Planentwurf der Bebauungsplanänderung für das Gewerbegebiet Wert öffentlich ausgelegt. Laut dem Baugesetzbuch muss die Einsicht in die Pläne für mindestens 30 Tage gewährleistet sein.
Einwände
Im Rahmen der Auslegung können Stellungnahmen abgegeben werden. Das dürfen direkt Betroffene, Träger öffentlicher Belange, Interessengruppen wie Naturschutz- und Landwirtschaftsverbände sowie fachkundige Bürger.
Prüfung
Danach werden die eingegangenen Stellungnahmen von der Verwaltung geprüft und mit dem Gemeinderat beraten. Erst nach Abarbeitung der Stellungnahmen kann der Bebauungsplan beschlossen werden.