Möglicherweise wechselt Andreas Renschler von Daimler zur Konkurrenz. Foto: dpa

Mit Andreas Renschler kehrt einer der Top-Kandidaten für die Nachfolge von Daimler-Chef Dieter Zetsche dem Autobauer den Rücken. Für Daimler kommt der Zeitpunkt ungünstig – zumal Renschler womöglich zur Konkurrenz wechseln wird.

Mit Andreas Renschler kehrt einer der Top-Kandidaten für die Nachfolge von Daimler-Chef Dieter Zetsche dem Autobauer den Rücken. Für Daimler kommt der Zeitpunkt ungünstig – zumal Renschler womöglich zur Konkurrenz wechseln wird.

Stuttgart - Es gibt Unangenehmeres als die Termine, die Andreas Renschler in nächster Zeit vor sich gehabt hätte: Am Dienstag hätte er in Bremen den Startschuss zur Produktion der ersten neuen C-Klasse geben sollen, die der Konzern schon bald auf vier Kontinenten gleichzeitig produzieren wird. Auf der Bilanzpressekonferenz am kommenden Donnerstag hätte Renschler, der am Dienstagabend überraschend seinen Rücktritt vom Posten des Mercedes-Produktionschefs bekanntgeben ließ, hören können, wie stolz Konzernchef Dieter Zetsche die Steigerung der Absatzzahlen bekanntgibt, die sein Bereich maßgeblich mit vorangetrieben hat. Im April hätte er dafür den Beifall der Aktionäre bei der Hauptversammlung entgegennehmen dürfen; und um die Jahresmitte hätte er im Werk Tuscaloosa (USA), das er vor 20 Jahren selbst aufgebaut hat, die Fertigung der erstmals dort gebauten C-Klasse eröffnen dürfen. Doch all dies werden nun andere tun, denn Renschler hat – so wirkt es jedenfalls nach außen – Knall auf Fall hingeworfen.

Aber warf er wirklich Knall auf Fall hin? Oder gab es in den vergangenen Monaten zwischen ihm und dem Konzern so etwas wie eine Entfremdung? „Renschler ist ein sehr unabhängiger Mensch“, sagt einer, der ihn gut kennt. Der Aufbau eines Autowerks im bis dahin landwirtschaftlich geprägten US-Bundesstaat Alabama, die Erschließung der Märkte in Indien und Mexiko – all das zeige, dass Renschler Herausforderungen suche und das Risiko nicht scheue. „Über Weihnachten hat er viel Zeit gehabt, sich Gedanken zu machen, wie es weitergeht.“

Wer vor zwei Wochen auf der Autoschau im amerikanischen Detroit mit Renschler sprach, erlebte einen Macher mit Zielen und Visionen. Die Effizienz der Produktion, die Einführung neuer Produkte im Vierteljahresrhythmus, die Flexibilisierung von Arbeitszeit und Produktionssystem, der Bau neuer Werke, die Erfüllung immer schärferer Abgasvorschriften, das Management internationaler Zollvorschriften und regionaler Wertschöpfungsquoten – wenn der bullig wirkende Renschler all seine Aufgaben auflistet, wirkt er wie ein Bergsteiger, der sich auf seinen nächsten Achttausender freut. Er braucht die Last auf seinen Schultern, um zur Hochform aufzulaufen.

Aktionsradius kleiner geworden

So anspruchsvoll die Aufgaben auch sind – seit er vor knapp einem Jahr Mercedes-Produktionschef wurde, ist sein Aktionsradius eher kleiner geworden. Denn in den neun Jahren, in denen er bis dahin die Nutzfahrzeugsparte geführt hatte, trug er die Verantwortung für einen riesigen Bereich. Als Mercedes-Produktionschef ist er dagegen nur noch die Nummer zwei. Mr. Mercedes ist unangefochten Zetsche, der in Personalunion auch noch Mr. Daimler verkörpert. Es kann gut sein, dass Renschler seinen Wechsel bestenfalls als Seitwärtsbewegung, vielleicht sogar als Rückschritt empfunden hat.

Dies umso mehr, als der Wechsel wenig mit Renschlers Arbeit und viel mit Konzernpolitik zu tun hatte: Als im Februar vergangenen Jahres die Vertragsverlängerung für Zetsche anstand, legte sich die durch Zetsches harte Sparvorgaben verärgerte Arbeitnehmerseite überraschend quer und stellte Bedingungen – unter anderem die, dass der bei ihr besonders unbeliebte Mercedes-Produktionschef Wolfgang Bernhard von seinem Posten entbunden wird. In höchster Not schob Konzernchef Zetsche seinen Freund Bernhard auf den Nutzfahrzeugposten – und Renschler auf die Mercedes-Position. Eine Rochade wie bei einem Schachspiel.

Noch vor einem Jahr galt Zetsche als schwer angezählt. Damit gewann auch die Frage an Bedeutung, wer ihm nachfolgen sollte: Wolfgang Bernhard? Finanzchef Bodo Uebber? China-Vorstand Hubertus Troska, der für den Konzern den wichtigsten Automarkt der Welt erobern soll? Oder Renschler? Doch von einem Gerangel um die Nachfolge ist nach außen nicht mehr viel zu erkennen, denn die jüngsten Markterfolge mit Kompaktfahrzeugen und der erfolgreiche Neuanlauf des mit Zukunftstechnologien vollgestopften Flaggschiffs S-Klasse haben Zetsches Stern steigen lassen. Damit steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass Ende 2016, wenn sein gegenwärtiger Vertrag ausläuft, noch nicht Schluss ist. Und das ist für die Kronprinzen von Bedeutung.

„Sollte Dieter sechs Jahre arbeiten wollen, würde ich in meinem Job nicht glücklich“, sagte Renschler dem „Wall Street Journal“. Dann ist Renschler 61 und wohl zu alt für den Chefposten. Der Sprecher der Nutzfahrzeugsparte erklärte später zu dieser Aussage, Renschler habe darauf hinweisen wollen, dass er und Zetsche derselben Generation angehören und er deshalb kein geeigneter Kandidat für eine Nachfolge sei.

Optimale Empfehlung für Spitzenjob bei VW

Da trifft es sich gut, dass es bei der Nutzfahrzeugsparte von Volkswagen möglicherweise bald Bewegung gibt. Der Wolfsburger Konzern hat sich in den vergangenen Jahren die Mehrheit an den Lkw-Herstellern Scania und MAN zusammengekauft, und Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch will daraus einen schlagkräftigen Verbund formen. Doch dieser kommt über schnelle Erfolge beim gemeinsamen Einkauf bisher nicht hinaus – bei Forschung und Entwicklung, aber auch bei der Internationalisierung fehle es an Impulsen, heißt es. Da käme einer wie Renschler gerade recht, der fast ein Jahrzehnt den Nutzfahrzeug-Weltmarktführer geleitet und dem noch niemand Ideen- oder Tatenlosigkeit vorgeworfen hat. Die „Stuttgarter Zeitung“ berichtet sogar, Renschler habe bereits ein Angebot von VW erhalten.

Einige Indizien deuten darauf hin, dass tatsächlich ein solcher Wechsel hinter dem Ausstieg Renschlers steht. So lässt der Umstand, dass Renschler mit sofortiger Wirkung von seinen Aufgaben freigestellt wird, auf einen geplanten Wechsel zu einem Konkurrenten schließen – denn eine solche Freistellung wäre nicht erforderlich, würde Renschler, wie ebenfalls spekuliert wurde, auf den Chefsessel der Lufthansa wechseln. Auch seine Aussage, er werde sich für die nächsten Schritte Zeit nehmen, passt zu einem möglichen Wechsel zu VW. Denn Renschler hat in seinem Vertrag – wie bei Topmanagern üblich – eine Konkurrenzausschlussklausel, die ihm einen sofortigen Wechsel zu einem Wettbewerber verbietet.

Und noch etwas spricht für einen Wechsel zu VW: sein gutes Verhältnis zu den Arbeitnehmervertretern, ohne die in Wolfsburg kaum etwas läuft. Während Bernhard für viele Betriebsräte ein rotes Tuch ist, weil er über ihren Kopf hinweg entscheide, versucht Renschler, seine ebenfalls ehrgeizigen Sparziele mit dem Betriebsrat abzustimmen. „Sei es per SMS oder Telefon – ich bin immer erreichbar“, sagte er erst vor kurzem mit Blick auf die Arbeitnehmerseite. Er wolle „nicht nur den Betriebsrat anrufen, wenn ich etwas will“.

Wohl auch deshalb erklärte Betriebsratschef Erich Klemm zu Renschlers Ausscheiden: „Wir bedauern diesen Schritt.“ Eine bessere Empfehlung für einen Spitzenjob bei VW hätte er nicht bekommen können.