Eine fast 80-jährige Frau muss sich wegen einer fahrlässigen Tötung vor dem Waiblinger Amtsgericht verantworten. Die Frage ist, wie viel Schuld sie an einem Unfall trägt, der einen Motorradfahrer in Winnenden das Leben gekostet hat.
Seit mehr als 50 Jahren ist Elfriede Schmidt, deren richtiger Name ein anderer ist, im Besitz einer Fahrerlaubnis. Noch nie habe sie einen Unfall gehabt, sagt die heute fast 80-jährige verwitwete Rentnerin – bis zu jenem folgenschweren Donnerstagmorgen im November vergangenen Jahres.
63-Jähriger stirbt noch am selben Morgen
Elfriede Schmidt war auf dem Wertstoffhof der Winnender Mülldeponie gewesen und gerade im Begriff, mit ihrem Auto nach links auf die Südumgehung der Großen Kreisstadt einzubiegen, als es plötzlich wie aus heiterem Himmel knallte. Ein Motorrad krachte mit 70 bis 80 Stundenkilometern gegen die linke vordere Seite ihres Fahrzeugs. Der Fahrer flog über die Motorhaube und landete mehrere Meter hinter dem Wagen auf dem Asphalt der Landesstraße. Der damals 63-jährige Mann erlitt so schwere Verletzungen und innere Blutungen, dass er noch am selben Morgen in einem Krankenhaus verstarb.
Elfriede Schmidt hat sich deswegen jetzt wegen fahrlässiger Tötung vor dem Amtsgericht Waiblingen verantworten müssen. Es tue ihr schrecklich Leid, wispert die 79-Jährige, die wie versteinert auf der Anklagebank sitzt, während ihr Anwalt versucht, die Schuld seiner Mandantin an der Tragödie zu relativieren.
Ähnlicher Vorfall zuvor
Tatsächlich scheint die Abbiegeverbindung an der Winnender Mülldeponie keine unproblematische zu sein. Nur wenige Tage nach der Berichterstattung über den tödlichen Unfall in den Medien hat sich ein Mann bei der Polizei gemeldet und berichtet, als Autofahrer an genau derselben Stelle in eine ganz ähnliche Situation geraten zu sein – die in seinem Fall glücklicherweise noch gerade so glimpflich ausgegangen sei.
Verantwortlich dafür hat der Mann ein rot-weißes Warnschild gemacht, das seine Sicht eingeschränkt und einen von links kommenden Motorradfahrer kurzzeitig „verschluckt“ habe. Das Schild dient dazu, dass die Verkehrsteilnehmer nicht über die Verkehrsinsel fahren, die sich in einer leichten Kurve befindet. Oder besser gesagt: diente – denn mittlerweile ist es entfernt worden.
Auch der Sachverständige, der den Unfall rekonstruiert hat, räumt vor Gericht ein, dass das Schild seinerzeit den Blick in der Anfahrt an die Kreuzung behindert habe und der Motorradfahrer kurzzeitig unsichtbar gewesen sein könnte. Wäre die Frau jedoch bis an die Haltelinie der Kreuzung vorgefahren und hätte sich dabei vorschriftsmäßig umgeblickt, hätte sie ihn sehen müssen.
Staatsanwalt fordert Gefängnisstrafe
Der Staatsanwalt fordert deshalb in seinem Plädoyer eine Gefängnisstrafe von zehn Monaten, die freilich zur Bewährung ausgesetzt werden könnte. Denn: „Auch wenn ich ein eingeschränktes Sichtfeld habe, kann ich nicht einfach in eine Kreuzung einfahren, sondern muss mich langsam vortasten“, so der Anklagevertreter. Die Folgen des Versäumnisses der Angeklagten hätten gravierender nicht sein können, schließlich sei noch am selben Morgen ein Mensch gestorben. Und dafür habe die Frau auch juristisch Verantwortung zu tragen.
Die Amtsrichterin Stefanie Klose hingegen bewertet den Grad der Fahrlässigkeit anders. Das Schild sei nach dem Unfall an der Kreuzung nicht ohne Grund versetzt worden. Es habe die Sicht der Angeklagten eingeschränkt, und das vermindere ihre Schuld erheblich. Zu ihren Gunsten müsse gewertet werden, dass sie sich in ihrem ganzen Leben noch nichts zuschulden habe kommen lassen und sie sich schon im Vorfeld bei den Angehörigen entschuldigt und den tragischen Vorfall mit ihnen geklärt habe. Statt einer Freiheitsstrafe spricht die Richterin eine Geldstrafe in Höhe von 120 Tagessätzen à 50 Euro aus. Dass Elfriede Schmidt zudem einen Monat auf ihre Fahrerlaubnis verzichten muss, wird diese kaum interessieren. Seit jenem Donnerstagmorgen hat sie sich nicht mehr hinter das Steuer eines Autos gesetzt.