Der Richter wertete die Beziehung von Geschädigter und Angeklagtem zumindest als Verlobung. Foto: dpa/Arne Dedert

Eine 29-Jährige hat vom Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht, da sie mit dem Angeklagten aus Marbach nach islamischem Recht verheiratet sei. Dem Richter bleibt nur ein Freispruch.

In einem Rechtsstaat muss sich niemand selbst belasten. Dieses „Recht zu schweigen“ ist für den Beschuldigten einer Straftat das sogenannte Aussage-, für einen Zeugen das Zeugnisverweigerungsrecht. Und genau dieses hat nun in einem Prozess wegen Vergewaltigung, versuchter Nötigung, Körperverletzung und weiterem mehr vor dem Amtsgericht Marbach letztlich zur Einstellung des Verfahrens geführt – und viele Fragen unbeantwortet gelassen.

Die 29-Jährige hatte den Notruf gewählt

Vor Gericht stand ein junger Mann, der aus dem Irak nach Deutschland geflüchtet war und in einer Asylunterkunft in Marbach unterkam. Dort lernte er im Februar 2022 eine 29 Jahre alte Frau kennen, die selbst dem Bürgerkrieg in Syrien entkommen war und ebenfalls ein Zimmer in der Unterkunft bewohnte. Im Laufe der Zeit kamen sie sich näher. Als der 28-Jährige laut Anklage allerdings eine bestimmte Sexualpraktik mit ihr ausüben wollte, gab ihm die Frau deutlich verbal zu verstehen, dass sie das nicht möchte. Der 28-Jährige soll sich dann über ihren Willen hinweg gesetzt haben. Zu einem späteren Zeitpunkt im März 2023 wollte er seinen Forderungen mit einem Messer und Drohungen „nachhelfen“, ein anderes Mal biss er der 29-Jährigen in die Wange, verdrehte ihr Finger oder riss ihr Arm- und Halsketten ab.

Die Beziehung sei einvernehmlich, ließ der Angeklagte seinen Verteidiger erklären und wies sämtliche Vorwürfe entschieden zurück. Die Schwurgerichtskammer wollte sich daher die Version des Opfers anhören, das damals einen Notruf abgesetzt hatte, und von einer Polizistin anschließend zur Frauenärztin begleitet worden war. Doch im Gerichtssaal gab die junge Frau an, in Syrien verheiratet gewesen zu sein, und nun auch wieder verheiratet zu sein – und zwar nach islamischem Recht mit dem Angeklagten. Sie seien einander versprochen und wollten, sobald alle Papiere vorhanden seien, auch noch vor einem deutschen Standesamt die Ehe schließen.

Viele offene Fragen bleiben zurück

Und das war schließlich auch die Krux an der Sache: Besteht eine familiäre Bindung zwischen Zeuge und Beschuldigtem, erkennt der Gesetzgeber einen Gewissenskonflikt an. „Islamisches Recht hin oder her“, sagte der Vorsitzende Richter Ulf Hiestermann. „Das ist quasi eine Verlobung und damit besteht das Recht auf Zeugnisverweigerung.“ Davon machte die Frau dann auch Gebrauch und verließ den Gerichtssaal, der Angeklagte wurde daraufhin freigesprochen.

Im Raum blieben viele Fragen zurück,wie etwa diejenige, ob die junge Frau nun aus freien Stücken oder unter Druck entschieden hat, ihren Ehemann nicht weiter einer schweren Straftat zu beschuldigen. Welchen Hintergrund hatte ihr Notruf? Offen bleibt aber auch, ob eine junge Frau aus Syrien weiß, dass in Deutschland – immerhin erst seit 1997 - eine Vergewaltigung auch in der Ehe strafbar ist.