Bei einem Wahlkampfauftritt in Battle Creek zeigt sich US-Präsident Donald Trump zornig, aber siegessicher. Foto: dpa/Matthew Hatcher

Der US-Präsident dürfte das Amtsenthebungsverfahren überstehen – zum Schaden der Demokratie, meint unser Kommewntator Michael Weißenborn.

Stuttgart/Washington - Donald Trump macht das Außergewöhnliche gewöhnlich. So auch das höchst seltene Amtsenthebungsverfahren: Eigentlich die schärfste Waffe im Arsenal der ehrwürdigen US-Verfassung gegen machtübergriffige Präsidenten. Man muss kein Hellseher sein, um zu sagen: Trump wird aller Voraussicht nach im Amt bleiben. Seine Republikaner werden im Senat weiter zu ihm stehen, und die Wähler bleiben in der Frage gespalten, ob das gut für Amerika ist. Die einen sind zutiefst besorgt über den langfristigen Schaden des Serien-Regelbrechers. Die anderen unterstützen Trump, weil sie in ihm genau den Richtigen sehen, der im Weißen Haus für ihre Lebensweise kämpft.

Die Demokraten im Repräsentantenhaus klagen – stramm entlang der Parteilinie – den Präsidenten in zwei gravierenden Punkten an: Machtmissbrauch und Behinderung des Kongresses. Belege dafür haben die monatelangen Untersuchungen zuhauf ans Tageslicht gefördert: Trump und sein Team haben vermutlich versucht, den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenski dazu zu bringen, Ermittlungen gegen den politischen Rivalen Joe Biden und dessen Sohn Hunter anzustellen. Eine Tat wie diese – zum persönlichen Nutzen – hatten die amerikanischen Gründerväter im Hinterkopf, als sie die Möglichkeit der Amtsenthebung in die Verfassung schrieben. Trumps Weigerung, entscheidende Zeugenaussagen zu lassen oder Dokumente auszuhändigen, ist in der Tat eine beispiellose Behinderung der Kontrollfunktion des US-Parlaments. Die Vorgänger Richard Nixon und Bill Clinton hatten das nicht gewagt.

„Was immer ich will als Präsident“

Grundsätzlich bestreitet Trump, dass er überhaupt untersucht werden darf. Laut Verfassung könne er tun, „was immer ich will als Präsident“. Der 45. Präsident hätte es deshalb verdient, aus dem Amt entfernt zu werden. Doch das ist nach Lage der Dinge nicht zu erwarten. Der Grund: Eine Amtsenthebung ist nur den Formen nach juristisch. In Wirklichkeit dominiert die Parteipolitik. Zwar halten sich unter den Republikanern viele Mandatsträger privat die Nase zu. Öffentlich aber wagen sie nicht, es sich mit dem an der Parteibasis nach wie vor populären Präsidenten zu verscherzen.

Die Demokraten folgen mit der Amtsenthebung vor allem dem Wunsch ihrer Basis. Ihre Anführerin Nancy Pelosi, die Vorsitzende des Repräsentantenhauses, hatte die fehlende Überparteilichkeit – anders als bei Nixon oder Clinton – beim Vorgehen gegen Trump von Anfang an als gravierende Schwäche erkannt. Das macht es Trump jetzt leicht, die Anklage als politisch motivierte Revanche für die Wahlniederlage von 2016 hinzustellen.

Nur eine politische Geste

Um dieses Manko zu überwinden, kämpfen die Demokraten darum, die öffentliche Meinung doch noch für sich zu gewinnen. Das ist schwierig, aber nicht unmöglich: Zunächst war die Unterstützung für eine Amtsenthebung hochgeschnellt. Zuletzt verharrte sie aber bei unter 50 Prozent – trotz aller Untersuchungen. Eine Mehrheit fürs Impeachment findet sich nur in 21 Staaten. Da aber könnte sich noch etwas tun. Vor allem unter parteiunabhängigen Wählern zeigt sich ein Drittel unentschieden.

So wird die Amtsenthebung zu einer weiteren Wegmarke im politischen Kampf mit diesem Präsidenten vor der Wahl am 3. November 2020. Trump selbst gibt sich zornig, aber siegessicher: Mit Hilfe der abgewehrten Anklage werde er seine Kernwähler wieder mobilisieren. Mit derselben Energiezufuhr dürfen aber auch die Demokraten rechnen. Nur dem US-Rechtsstaat ist nicht geholfen: Ein Amtsenthebungsverfahren, das zur politischen Geste verkommt, stärkt auch künftig imperiale Präsidenten.

michael.weißenborn@stuttgarter-nachrichten.de