Jetzt ist nichts mehr ausgeschlossen: Mehrere US-Medien berichten, hochrangige Regierungsvertreter diskutierten, wie man Donald Trump noch vor dem 20. Januar seines Amtes entheben könnte. Das Prozedere ist kompliziert.
Washington - Nach den beispiellosen Ausschreitungen im politischen Herzen der USA, dem US-Kapitol, ist nichts mehr ausgeschlossen: Wie die US-Fernsehsender CNN, CBS und ABC einstimmig berichten, sollen hochrangige Mitglieder der scheidenden US-Regierung über eine mögliche Absetzung von Präsident Donald Trump durch sein eigenes Kabinett beraten haben. Sie sollen sich bei diesen Überlegungen auf das „25th Amendment“, einen Zusatzartikel zur US-Verfassung, gestützt haben, der die Entmachtung des Präsidenten durch das Kabinett grundsätzlich erlaubt.
Als Voraussetzung wird in dem „25th Amendment“ genannt, dass der Präsident „unfähig“ ist, die Pflichten und Vollmachten seines Amtes auszuüben“. Kriterien für diese „Unfähigkeit“ sind nicht definiert, gemeint sind generell physische oder mentale Beeinträchtigungen. CNN zitierte anonyme republikanische Führungspolitiker mit den Worten, Trump sei „außer Kontrolle“.
Der abgewählte Präsident, dessen Ausscheiden aus dem Amt ohnehin für den 20. Januar vorgesehen ist, hatte am Mittwoch seine zu Tausenden in Washington versammelte Anhängerschaft mit einem Redeauftritt aufgepeitscht. Darin wiederholte er seinen völlig unbelegten Vorwurf des massiven Betrugs bei der Präsidentenwahl am 3. November wiederholte und rief zum Marsch auf das Kapitol - den Sitz des Kongresses - auf. Später überwanden stürmten Trump-Anhänger das Kapitol und randalierten stundenlang im Gebäude. Trump rief zwar in einer noch während der Randale ausgestrahlten Videobotschaft zu „Frieden“ auf. Zugleich sagte er seinen randalierenden Anhängern aber auch: „Wir lieben euch“ - und erneute seine Wahlbetrugsvorwürfe.
25th Amendment:
Diese Möglichkeit der Amtsenthebung wurde 1967 in der Folge der Ermordung von Präsident John F. Kennedy geschaffen. Sie existiert eigentlich für Situationen, in denen der Präsident etwa aus Krankheitsgründen sein Amt nicht mehr ausüben kann. Dies müssen der Vizepräsident und die Mehrheit des Kabinetts formell bezeugen.
Damit Trump von seinem eigenen Kabinett abgesetzt würde, müsste also sein Stellvertreter Mike Pence die Initiative unterstützen. Pence war über Trumps vierjährige Amtszeit hinweg dessen treuer Weggefährte, hatte sich aber zuletzt vom Präsidenten distanziert. So verurteilte er die Randale im Kapitol und sperrte sich gegen Trumps Forderung, er solle die Zertifizierung des Wahlergebnisses durch den Kongress verhindern. Pence ist kraft seines Amtes zugleich auch Vorsitzender des Senats.
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Die Demokraten im Repräsentantenhaus forderten in einem Brief an Pence ebenfalls die vorzeitige Entmachtung Trumps durch die eigenen Regierung. Der abgewählte Präsident habe zum Aufruhr angestachelt und „unsere Demokratie zu untergraben versucht“, schrieben die demokratischen Mitglieder des Justizausschusses. Trump sei „mental nicht gesund“ und unfähig, das Wahlergebnis „zu verarbeiten und zu akzeptieren“.
Die im „25th Amendment“ vorgesehene Prozedur zur Absetzung des Präsidenten ist allerdings kompliziert - käme sie tatsächlich ins Rollen, könnte sie noch gar nicht abgeschlossen sein, bevor Trumps Amtszeit ohnehin endet. Denn ein bloßer Kabinettsbeschluss reicht für die dauerhafte Absetzung des Präsidenten nicht aus. Zwar wird der Präsident sofort des Amtes enthoben, wenn Vizepräsident und Kabinett eine entsprechende Erklärung im Kongress einreichen. Der Präsident kann sich dann jedoch mit einer Gegenerklärung seine Befähigung selbst attestieren, womit er sofort wieder im Amt wäre.
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Im nächsten Schritt müssten Vizepräsident und Kabinett abermals die Amtsunfähigkeit des Präsidenten erklären, was zu dessen erneuter vorläufiger Amtsenthebung führen würde. Innerhalb von 21 Tagen müsste dann der Kongress über eine mögliche endgültige Absetzung abstimmen. Dafür wären dann Zweidrittelmehrheiten erforderlich.
Impeachment-Verfahren:
Trump musste sich einem solchen Amtsenthebungsverfahren bereits im Dezember 2019 stellen, als die Demokraten im Repräsentantenhaus ihn formell des Machtmissbrauchs und Behinderung ihrer Ermittlungen in der Ukraine-Affäre anklagten. Allerdings verhinderten die Republikaner mit ihrer Mehrheit im Senat im Februar 2020 die Amtsenthebung. Tatsächlich könnte erneut ein „Impeachment“ eingeleitet werden, da nur eine einfache Mehrheit der 435 Stimmen im Repräsentantenhaus notwendig ist. Im Senat müssten dann zwei Drittel der Abgeordneten für die eigentliche Verurteilung stimmen.
Dem Verfassungsexperten Frank Bowman von der University of Missouri zufolge könnte Trump nun der Versuch vorgeworfen werden, die Regierung zu stürzen. Auch eine allgemeinere Anklage wie fehlende Verfassungstreue oder Bruch des Amtseids sei denkbar. Theoretisch könnte das ganze Verfahren dabei innerhalb eines Tages abgeschlossen werden: „Sie könnten bis morgen Mittag eine Anklage gegen ihn beschließen und dann damit durch die Rotunde des Kapitols zum Senat laufen und festlegen, dass das Verfahren morgen Nachmittag beginnt“, sagt Bowman.