Amrei Heyne arbeitet als Kunstvermittlerin und Kuratorin Foto: Silicya Roth

Kennen Sie den Ausstellungsraum Kunstbezirk im Sieglehaus in Stuttgart? Nein? Dann schnell hin – noch bis Samstag, 28. September, macht Amrei Heynes Schau „Realitäten“ die Ausstellungsbühne zum Kunstkraftwerk

Stuttgart - Die Geschichte ist vertrackt, mancher Winkelzug seit dem Ende der unter der Regie der vormaligen Galerie der Stadt Stuttgart (seit 2005 Kunstmuseum Stuttgart) stehenden Galerie unter dem Turm lässt sich auch nicht mehr in Gänze nachverfolgen. Und so bleibt für den 2007 eröffneten Ausstellungsraum Kunstbezirk im Erdgeschoss des Gustav Siegle-Hauses in Stuttgarts Zentrum nur die eigene Realität – als eine von Seiten des Kulturamtes bewusste Setzung marktunabhängiger Präsentation von Kunst.

Enge Bande zwischen Kunstbezirk und VBKW

Offiziell verantwortlich ist ein Verein. Der Förderkreis Bildender Künstler ist eng mit dem Verband Bildender Künstler und Künstlerinnen Württemberg verbunden. Und in der eigenen Lesart ist der Kunstbezirk aus dem Künstlertreff am Leonhardsplatz hervorgegangen. Dessen Geschichte und Prägung aber war nach holprigem Beginn eine andere – staunenswert experimentell.

Keine wirkliche Identität

So hätte es in den Hallenräumen im rückwärtigen Bereich des Sieglehaus-Erdgeschosses weitergehen müssen. Ein Forum für die Kunstakademie, für die Akademie Schloss Solitude, für die Kunststiftung, ein Ort unter alle zwei Jahre wechselnder konzeptioneller (kuratorischer ) Verantwortung. Die Stadt wollte anderes – doch nicht erst seit Monaten dämmert auch den Verantwortlichen im Förderkreis Kunstbezirk, dass der Kunstbezirk mangels Identität kaum ein Gewicht gegen das System Kunst sein kann.

Experiment mit Amrei Heyne

Wie aber tastet man ab, was hier wirklich möglich wäre? Der Förderkreis hat sich für ein Experiment entschieden – und gewonnen. Kunstvermittlerin Amrei Heyne, vielen noch als Galeristin bekannt, präsentiert noch an diesem Donnerstag, 26. September (15 bis 19 Uhr), Freitag und Samstag (27. und 28. September, jeweils 13-19 Uhr) die Gruppenschau „Realitäten“ – und allein schon Heynes Umgang mit dem Raum ist den Besuch wert.

Kunstkraftwerk mit vielfachem Echo

Mehr noch: Heyne beschert der in Berlin und Tel Aviv lebenden Ivonne Dippmann einen Kunsthallen-reifen Auftritt – und kontert Dippmanns auf historische Zusammenhänge wie auf deren bildnerische Verwertung verweisende Kontextkunst mit den um die Eigenständigkeit ihrer eigenen Generation ringenden Figuren in den Bildern der 1989 in Bruchsal geborenen Karin Kneffel-Schülerin Janka Zöller und den in all ihrer bewussten Rohheit tiefe Zärtlichkeit zeigenden Zeichnungsbildern der Stuttgarterin Sibylle Schwarz. Da ist ein Kunstkraftwerk angeworfen, das in „Realitäten“ ein vielfaches Echo provoziert, in dem die als Kunst mit Fotografie beziehungsweise Kunst mit Bewegtbild auftretenden Anordnungen des in Köln lebenden Alwin Lay hervorragen.

Die Kunst-Chance in Stuttgarts City

„Ich habe einfach gemacht, was mir Spaß gemacht hat“, sagt Amrei Heyne. Der Satz reicht kaum, um die Intensität von „Realitäten“ zu begründen. Und erst recht nicht, um zu verstehen, weshalb auch der Dialog mit dem „Mauermaler“ und gebürtigen Stuttgarter Kiddy Citny nicht aufgesetzt wirkt. Hier wird schlicht die Lust spürbar, einen Raum der Kunst als das zu begreifen, was er ist: eine ungeheure, eine ungenutzte Chance im Zentrum der Landeshauptstadt.

Aufruf zur Rebellion

„Realitäten“ ist ein ungewollter Aufruf zur Rebellion. Nicht gegen etwas, sondern für etwas – und damit auch für den Kunstbezirk als Ort, der solches möglich macht.