Das Wahrzeichen von Seattle ist die Space Needle. Foto: Promo

Die Metropole im Nordwesten der USA ist einer der Motoren der Slow-Food-Bewegung.

Einst war Seattle eine Hochburg des Basketballs. Die Supersonics spielten hier, sieben Jahre warf Detlef Schrempf seine Körbe in der schönsten Stadt im Nordwesten der USA. Einmal düste der deutsche Superstar mit den Sonics sogar in die NBA-Finals, 1996 flog nur der legendäre Michael Jordan mit den Chicago Bulls höher. Und heute? Ist Seattle ein weißer Fleck auf der Basketball-Landkarte. Das Team wurde vor drei Jahren nach Oklahoma City verkauft, in den Einkaufszentren der Stadt ist nicht mal ein Trikot von Dirk Nowitzki oder eine Kappe des aktuellen NBA-Champions Dallas Mavericks zu finden. Die Leute hier haben mit dem Profibasketball weitgehend abgeschlossen – sie treiben lieber selbst Sport.

Rund um Seattle gibt es eine 40 Kilometer lange Radstrecke, was im Land des Automobils durchaus eine Besonderheit ist. Jogger, Walker und andere Fitness-Junkies gehören zum Stadtbild, an fast jeder Ecke gibt es eine Muckibude. Seattle, die pulsierende Metropole, liegt inmitten einer grandiosen Natur direkt am Wasser, die Berge sind nah. „Diese Stadt ist ein Paradies für Sportler“, sagt Fremdenführer Tyler Davis, selbst ein großer, drahtiger Kerl, der gerne klettert, „die Leute hier achten auf sich und ihren Körper.“

Die Lust an der Bewegung ist groß, gesunde Ernährung keine Last. Erstaunlich wenige dicke Menschen sind auf den Straßen zu sehen, die Zahl der Fast-Food-Restaurants ist anderswo viel höher. Seattle ist eine Stadt für Genießer, und als Ausgangspunkt allen Genusses gilt der Pike Place Market. 1907 eröffnet, ist er einer der ältesten ohne Unterbrechung betriebenen Märkte der USA. Hier schlägt das Herz von Seattle, und von hier ging eine Bewegung aus, die nichts mit körperlicher Ertüchtigung zu tun hat, sondern mit Qualität, Vielfalt und Bewusstsein.

Der Pike Place Market ist das Schaufenster. „Es gibt fünf Kriterien. Alle Produkte müssen frisch, saisonal, lokal, biologisch und nachhaltig sein“, sagt Angela Shen. Sie lebt vom guten Ruf des Markts, und sie tut viel dafür, dass dieser sich verbreitet. Shen ist Chefin eines Unternehmens, das kulinarische Touren durch die engen Gassen anbietet. Zwei Stunden, 29 Euro, 20 Stationen.

Überall darf probiert werden. Geräucherter Lachs, Muschelsuppe (natürlich „America’s best“), handgemachter Käse, Garnelen, Pasta, vor Ort gerösteter Kaffee, Tee, Pralinen, Donuts – es ist ein Festival der Gaumenfreuden. Und am Ende geht’s zu Starbucks, in den allerersten Laden der Kette, die ihren Sitz in Seattle hat. Inzwischen gibt es weltweit mehr als 17000 Filialen des Kaffeeanbieters, allein drei im Columbia Center, mit 76 Etagen und 285 Metern das höchste Gebäude der Stadt und nach der Fertigstellung 1985 der größte Wolkenkratzer westlich des Mississippi.

Solche Details sind wichtig für Amerikaner. Sie sind stolz auf jeden Superlativ, und sei er noch so weit hergeholt. Die Dimension spielt auch im Local 360 eine wichtige Rolle. Das Restaurant trägt seinen Namen nicht etwa, weil es einen Rundumblick bieten würde. Der Name steht für das Konzept. Alle Produkte, die auf der Karte stehen, egal ob Austern, Fleisch, Käse, Gemüse, Bier, Wein oder Likör, kommen aus der Region – der amerikanische Maßstab für Region ist in diesem Fall ein Umkreis von 360 Meilen (579 Kilometer). „Wir glauben an die natürlichen Lebensmittel“, lautet die Philosophie der Besitzer, „wenn sie von tollen Leuten in unserer Gegend angebaut und geerntet werden.“

Einer dieser Bio-Bauern ist Mark Lovejoy. Er betreibt eine Farm rund 70 Kilometer vor den Toren Seattles, und er hat zu kämpfen – die Bio-Bewegung in den USA steckt seiner Meinung nach noch in den Kinderschuhen. „Die Leute wachen erst langsam auf“, sagt Direktvermarkter Lovejoy und steckt die Hände in die Taschen seiner Arbeitshose, „ich mache es nicht, weil sich mit Bio viel Geld verdienen ließe, sondern weil ich es hasse, dass unsere Regierung 30 Jahre lang alles vergiftet hat. Noch immer sind 99 Prozent unserer Lebensmittel schlecht.“

Das Problem: Bio muss man sich leisten können. In Seattle sind Weltfirmen wie Microsoft, Boeing, Amazon, Starbucks, UPS oder Nordstrom daheim – hier wird gut verdient, immer noch. Das wissen auch die Küchenchefs. Der Staat Washington mit seinen 34000 Bauernhöfen ist einer der Motoren der Slow-Food-Bewegung, die für genussvolles, regionales und bewusstes Essen steht.

Das gibt es auch im Local 360. Das Restaurant ist Ausgangspunkt einer weiteren kulinarisch wertvollen Entdeckungsreise durch Seattle. Michael Rogers ist Chef der Seattle Food Tours und eine echter „Seattleite“, wie sich die Einheimischen nennen. Gerne erzählt er von Nirvana, Pearl Jam und die Grunge-Musik, die vor 20 Jahren von hier aus die Welt eroberte, über die Suche nach urbaner Identität im Internetzeitalter und darüber, dass Seattle sich nicht nur wegen der vielen steil ansteigenden Straßen gerne mit San Francisco vergleiche. „Auch bei uns kann man alles zu Fuß oder mit dem Rad erreichen“, sagt Rogers, „wir liegen von der Entwicklung zwar 15 Jahre hinter Frisco und sind kleiner, dafür aber auch sauberer.“

Und die Restaurants können sich sehen lassen. Rogers muss es wissen. Bei seiner dreistündigen Genießer-Tour (43 Euro) durch Downtown stehen einige der angesagtesten Lokale auf dem Speiseplan. Shiro’s zum Beispiel war 1967 das erste Sushi-Restaurant in Seattle (Rogers: „Es ist eines der besten außerhalb von Japan“), das Branzino ist ein nobler, innovativer Italiener, die Tabanera Del Alebardero ein ausgezeichneter Spanier. Zum Abschluss gibt es ein Dessert im Spur Gastropub. Es schmeckt hervorragend, und alle Restaurants (das Preisniveau ist vergleichbar mit deutschen Großstädten) sind bestens besucht. „In den angesagten Gegenden von Seattle gibt es keine Chance, ein neues Restaurant zu eröffnen, weil es keinen Platz mehr gibt“, sagt Rogers, „man muss warten, bis eines schließt.“

Wasser und Berge, Inseln und Vulkane, Kultur und Arbeitsplätze, Essen und Wein – der Staat Washington hat einiges zu bieten. Kein Wunder, dass Seattle schon öfter zur „lebenswertesten Stadt“ der USA gekürt wurde. Auch ohne eigenes Basketball-Team.

Seattle

Anreise
In die 600.000-Einwohner-Stadt im Nordwesten der USA, die nach dem Indianer-Häuptling Chief Sealth (1786–1866) benannt ist, gibt es Direktflüge verschiedener Fluglinien ab Frankfurt. 9,5 Stunden dauert die 8170 Kilometer weite Reise, Tickets (mit einem Zwischenstopp) sind ab etwa 560 Euro zu bekommen.

Unterkunft
In Seattle gibt es Hotels aller Kategorien, Doppelzimmer ab 34 Euro pro Nacht. www.visitseattle.org. Übernachten mit Stil mitten in Downtown im Mayflower Park Hotel, Doppelzimmer ab 120 Euro, www.mayflowerpark.com.

Sehenswert
Ein Besuch auf der „Space Needle“, dem 1962 zur Weltausstellung erbauten Wahrzeichen von Seattle, lohnt. Mehr als 45 Millionen Besucher waren schon oben. In Seattle steht das erste Starbucks der Welt. Die Kaffee-Kette ist nach einem Seefahrer in Herman Melvilles Roman „Moby Dick“ benannt. Wussten Sie, dass in Seattle der neue „Dreamliner“ Boeing 787 gebaut wird? In einer Fabrikhalle, die vom Volumen her die größte der Welt ist.

Was Sie tun und lassen sollten
Auf jeden Fall eine Weinprobe in einer der über 500 Weinkellereien machen (der Bundesstaat Washington ist die Nummer zwei der US-amerikanischen Weinproduzenten nach Kalifornien).

Zu den bekanntesten gehört Delille Cellars in Woodinville, www.delillecellars.com. Wer hier einkaufen will: Der Wein ist gut, aber sehr teuer. Barack Obama stört das nicht. Delille Cellars liefert auch ins Weiße Haus.

Unbedingt sollte man auch bei Russel’s in Bothell zu Abend essen. Die Steaks (25 Euro ohne Beilage) sind ein Gedicht. Kein Wunder: Chef Russell Dean Lowell war früher der Koch von Bill Gates, bewirtete in dessen Anwesen neben US-Präsidenten auch Nelson Mandela. www.rdlcatering.com

Auf keinen Fall einen Trip mit „Ride the ducks“ durch Seattle unternehmen. In diesen Amphibienfahrzeugen macht sich nicht nur der Mann am Steuer zum Affen. Da tröstet nicht mal, dass man aus der Ferne das Hausboot von Tom Hanks aus dem Film „Schlaflos in Seattle“ zu sehen bekommt. Zudem sollte man eine Regenjacke nicht vergessen. Seattle trägt den Beinamen „rainy city“. Es regnet allerdings selten heftig und lang. Ein Sprichwort lautet: „Du willst anderes Wetter? Okay, warte fünf Minuten.“