Pflege-WG für Demenzkranke: Wohngemeinschaften könnten auch für spezielle Seniorengruppen eingerichtet werde. Foto: dpa/Christian Charisius

Stuttgart setzt künftig in der Altenpflege stärker auf ambulante Hilfen – die Heimträger sehen das anders. Allerdings fordern beide eine Reform des Pflegesystems: Die strenge Trennung der ambulanten und stationären Bereiche müsse aufgehoben werden.

Die Sozialverwaltung der Landeshauptstadt hat einen Strategiewechsel in der Altenpflege vollzogen. Künftig will man sich weniger der Schaffung von stationären Pflegeplätzen widmen und eher das Angebot im ambulanten Bereich erweitern. Die Stuttgarter Heimträger sind dem nicht grundsätzlich abgeneigt. Sie bringen aber auch einige Einwände gegen neue städtische Strategie vor.

 

Dass die stationären Plätze ausreichen, wird bezweifelt

Zur Aussage, Stuttgart habe heute und morgen schon genügend stationäre Pflegeplätze, sagt etwa Sebastian Menne, der stellvertretende Bereichsleiter Altenhilfe bei der Caritas: „Wir könnten unsere stationären Plätze mehrfach vergeben.“ Ähnlich äußert sich Florian Bommas, der Geschäftsführer der Diak Altenhilfe: „Täglich erhalten wir Anrufe von Menschen, die einen Heimplatz suchen, doch wir können keinen anbieten.“ Und Bernhard Schneider, der Hauptgeschäftsführer der evangelischen Heimstiftung, erklärt, man habe „derzeit 253 offene Anfragen für unsere vier Pflegeheime in Stuttgart mit 480 Plätzen.“ Florian Bommas hält die neue Berechnung des Pflegeplatzbedarfs angesichts des „Riesenproblems“ der demografischen Entwicklung für „weder statisch noch fachlich haltbar“. Die Zahl der Pflegeheimplätze sei „nicht zurückgegangen, weil die Nachfrage zurückgegangen ist, sondern weil die Betreiber Plätze abgebaut haben“, sagt er. Dies sei erfolgt wegen des geforderten Abbaus von Doppelzimmern, wegen steigender Baukosten für neue Projekte und wegen des „zunehmenden Fachkräftemangels“.

Was die Schaffung von Pflege-WGs, mehr Angeboten für Kurzzeitpflege und Plätzen in der Tagespflege angeht, signalisieren die Träger grundsätzlich Bereitschaft dafür. Die evangelische Heimstiftung erklärt, man habe sich „schon vor zehn Jahren auf diesen Weg gemacht“. Der städtische Eigenbetrieb Leben und Wohnen (ELW) forciert dieses Thema. Der ELW-Geschäftsführer Marc Bischoff sieht schon einen Vorteil darin, dass man „schneller vorwärts kommt“, wenn man kleine Einheiten plane statt großer Heimprojekte, diese seien „schwierig zu finden und teuer“. In diesem Jahr habe man im Nordbahnhofviertel eine ambulante Einrichtung mit Tagespflege eröffnet, im Vorjahr ein Projekt am Marienplatz. Und zusammen mit der Baugenossenschaft Münster sei man an einem Pflege-WG-Projekt. Eine auch finanziell attraktive Kombination für den ELW, findet Marc Bischoff. „Wir bauen nicht, wir mieten, unsere Professionalität ist nicht das bauen, sondern die Pflege“, betont er.

Es gibt auch Bedenken gegen das Konzept der Pflege-WGs

Die Heimträger bringen aber auch Bedenken vor gegen die neue Strategie der Stadt. Bei der Pflege-WG – derzeit gibt es in Stuttgart rund 150 Plätze in ambulant betreuten Wohngemeinschaften – handle es sich um ein „schönes Konzept“, sagt Sebastian Menne, nur seien hier in Stuttgart solche WGs für die Träger „nicht refinanziert“, diese würden erst ab zwölf Personen wirtschaftlich. Und für die zu Pflegenden seien diese „vergleichbar kostenintensiv wie die stationäre Pflege“. Auch Florian Bommas sieht im Land dafür „die Rahmenbedingungen nicht geeignet, sonst würde es viel mehr Pflege-WGs geben“. Bernhard Schneider fordert „ein ehrgeiziges Förderprogramm für moderne Wohnformen im Alter“.

Das wäre auch für mehr Plätze in der Kurzzeit- und in der Tagespflege nötig. In der Tagespflege, wo es derzeit in Stuttgart 430 Plätze gibt und die Sozialverwaltung künftig ein großes Potenzial sieht (bis 2035 werde man bis zu 1150 Plätze brauchen), sei „die Nachfrage trotz des prognostizierten Mehrbedarfs zurückhaltend“, sagt Sebastian Menne von der Caritas. Dass Kurzzeitpflegeplätze, die nur für diesen Zweck genutzt werden, sich für die Träger nicht rechnen, ist nicht neu. Deshalb gibt es auch recht wenige (derzeit 80 Plätze, plus 75 im Jahr 2035). Stattdessen werden Personen, die zur Kurzzeitpflege nach einem Klinikaufenthalt einen Platz suchen, in den Heimen einfach in gerade freie Zimmer im regulären stationären Bereich „eingestreut“.

Land und Bund als Gesetzgeber sind gefragt

Bei der Stadt ist man sich dieser Schwierigkeiten bewusst. Es gebe noch „viele Unwägbarkeiten“, räumt die Sozialplanerin Lisa Killgus mit Blick auf die neue Strategie der Verwaltung ein. In der Tagespflege seien „konzeptuelle Änderungen“ nötig, die Angebote müssten auf die Bedürfnisse der Familien abgestimmt, flexibel und etwa mit Hol- und Bringdiensten versehen sein. Auch die Kurzzeitpflege müsse weiterentwickelt und für die Träger wirtschaftlicher gestaltet werden.

Hier seien das Land und der Bund als Gesetzgeber gefragt. Das Stichwort lautet: „stambulant“. So sagt Marc Bischoff: „Die gesetzliche Grenze zwischen ambulant und stationär muss fallen.“ Die Trennung sei „einfach nicht mehr praktikabel“, findet auch die Sozialplanerin Killgus. Das ganze „System muss reformiert werden“,sagt auch Stuttgarts Sozialbürgermeisterin Alexandra Sußmann. Dann wäre es etwa möglich – wie bei einem Modellprojekt in Titisee-Neustadt –, dass ein Träger ein Gebäude der Größe baut, dass dort beispielsweise vier Pflege-WGs mit je zwölf Plätzen unterkommen, die dann aber doch ambulant versorgt und die 24-Stunden-Präsenz von Hauswirtschaftskräften geleistet wird, erklärt Marc Bischoff. Das wäre nicht so personalintensiv und wegen des Fachkräftemangels entlastend, und es wäre auch finanziell günstiger für alle Seiten. Auch weil Angehörige selbst Aufgaben übernehmen könnten.