Obwohl ihnen kaum etwas zum Leben bleibt, verzichten viele ältere Menschen auf Hilfe vom Staat Foto: Stephanie Pilick/dpa/Stephanie Pilick

Experten schätzen, dass viele ältere Menschen die Grundsicherung nicht in Anspruch nehmen. Häufig stecken Scham und Unwissenheit dahinter, aber es gibt auch andere Gründe.

Stuttgart - Viele ältere Menschen sparen sich den Lebensunterhalt lieber vom Munde ab, als zum Sozialamt zu gehen. In einer aktuellen Schätzung gehen Experten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) davon aus, dass etwa 60 Prozent der Haushalte, die Anspruch auf Grundsicherung hätten, diesen nicht geltend machen. Das wären hochgerechnet bundesweit etwa 625 000. Zuletzt erhielten in Deutschland etwa eine halbe Million ältere Menschen Grundsicherung vom Staat.

Verdeckte Altersarmut lässt sich laut DIW nur schwer beziffern. Die Autoren der Studie haben Daten einer jährlich durchgeführten Umfrage ausgewertet und in unterschiedlichen Szenarien geschätzt, wie vielen Haushalten Grundsicherung im Alter zustünde.

Sozialverbände kennen das Problem

Doch Sozialverbände im Land bestätigen das Phänomen. „Viele ältere Menschen gehen nicht zum Sozialamt, weil sie es von ihrem Werdegang nicht gewohnt sind, als Bittsteller aufzutreten“, sagte Birgit Faigle, Geschäftsführerin des Landesseniorenrates unserer Zeitung. „Wir bekommen mit, dass Menschen aus Scham keinen Antrag stellen“, sagte auch Stefan Pfeil, Referent für Sozialpolitik beim Sozialverband VDK. „Viele wissen auch nicht, dass sie Anspruch hätten und sparen sich alles vom Munde ab.“ Er geht davon aus, dass die Dunkelziffer auf dem Land noch höher ist als in der Stadt.

Neben Scham und Unsicherheit ist den Experten des DIW zufolge auch das bürokratische Verfahren ein großes Hindernis. Das Informationsangebot müsse verbessert werden, um beispielsweise die unbegründete Angst vor dem Zugriff auf das Einkommen oder Vermögen der eigenen Kinder zu nehmen, fordert Studienautor Peter Haan. Der Stigmatisierung könne entgegengewirkt werden, indem von einem Rechtsanspruch auf Leistungen und nicht von Almosen im Alter gesprochen werde. Nähmen tatsächlich alle Grundsicherungsberechtigten ihre Ansprüche wahr, würde das den Staat rund zwei Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich kosten, so die Berechnungen.

Angst vor Altersarmut

Dabei ist die Sorge vor Altersarmut in Deutschland weit verbreitet. Jeden zweiten Deutschen plagt die Sorge, ob das Geld im Alter reicht. Das ist das Ergebnis einer Umfrage der Deutsche Bank mit Unterstützung des Meinungsforschungsinstituts Ipsos. Dabei geht nur knapp jeder Sechste davon aus, dass die gesetzliche Rente im Alter noch eine ausreichende Versorgung darstellt.

Das hält VDK-Referent Pfeil für ein fatales Signal: Die gesetzliche Rente müsse gestärkt werden, sagte er.

Die Große Koalition hatte sich erst im November auf einen Kompromiss zur Grundrente geeinigt. Von 2021 an könnten davon zwischen 1,2 und 1,5 Millionen Menschen profitieren. Ein wichtiger Knackpunkt war die Bedürftigkeitsprüfung. Sie soll nun von einer umfassenden Einkommensprüfung über das Finanzamt laufen.

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