Dekra-Automobilchef Clemens Klinke Foto: Dekra

Alkohol am Steuer ist kein Kavaliersdelikt. Etwa jeder elfte tödliche Unfall geht darauf zurück. Dekra-Automobilchef Clemens Klinke fordert deshalb, die Promillegrenze für die Fahreignung abzusenken.

Stuttgart - – Herr Klinke, um die Verkehrssicherheit zu verbessern, fordert Dekra unter anderem, Fahrer unter Alkoholeinfluss stärker ins Visier zu nehmen. Was kann verbessert werden?
Beim Alkohol sollte überprüft werden, ob es dabei bleibt, dass ab 1,6 Promille die Fahreignung begutachtet wird. Aus unserer Sicht sind 1,1 Promille zu empfehlen. Wichtig ist, dass Menschen mit einem Alkoholproblem auch durch eine Auffälligkeit im Straßenverkehr frühzeitig die Möglichkeit bekommen, sich dem Thema zu stellen und ihr Verhalten im Verkehr und im Umgang mit Alkohol insgesamt zu verändern. Das wäre ein echter Beitrag zu mehr Verkehrssicherheit. Es sollte auch geprüft werden, inwieweit es Sinn macht, sogenannte Alkohol-Interlocks für auffällig gewordene Fahrer einzusetzen – also elektronische Wegfahrsperren, die das Losfahren erst möglich machen, wenn der Atemalkoholgehalt gemessen wurde.
Was ist mit Fahrern unter Drogeneinfluss ?
Was die Drogen angeht, müssen vor allem noch wissenschaftliche Grundlagen geschaffen werden, auf deren Basis die Ahndung von Drogen am Steuer geregelt werden kann. Denn nicht alles, was messtechnisch nachweisbar ist, führt zu einer Beeinträchtigung der Fahreignung – und umgekehrt.
Der württembergische ADAC-Vorsitzende Dieter Roßkopf ist als Privatmann ein Verfechter der Null-Promille-Grenze. Sie auch?
Die meisten Autofahrer kennen die 0,5-Promille-Grenze. Sie ist aber sozusagen nur die halbe Wahrheit. Denn wenn Sie den Verkehr gefährden, und das fängt nicht erst bei einem Unfall an, kann schon das Fahren mit 0,3 Promille ein Straftatbestand sein. Messtechnisch zweifelsfrei nachweisbar ist Alkoholkonsum aber erst ab 0,2 Promille – denn schon durch Gärungsprozesse im Körper kann ein minimaler Blutalkoholgehalt entstehen. Deshalb greifen auch die Sanktionen für Fahranfänger und junge Menschen bis 21 Jahren, für die ja gesetzlich die Null-Promille-Grenze gilt, faktisch erst ab 0,2 Promille. Denn niemand kann dafür bestraft werden, dass er beispielsweise Fruchtsaft getrunken hat.
Ist das jetzt ein Plädoyer für eine 0,2-Promille-Grenze?
Wir halten die 0,5-Promille-Grenze für angemessen – wobei immer zu beachten ist, dass jeder Verkehrsteilnehmer selbst in der Verantwortung ist, sich nur ans Steuer zu setzen, wenn er nicht beeinträchtigt ist. Egal wodurch.
Von den Assistenzsystemen erhoffen sich viele Experten mehr Verkehrssicherheit. Psychologen dagegen warnen: Je mehr ein Fahrzeug automatisch tut, desto weniger aufmerksam ist der Mensch. Gibt es also überhaupt noch sinnvolle Anwendungsmöglichkeiten?
Natürlich. Man darf ja das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Moderne Sicherheitssysteme wie zum Beispiel ein Spurverlassenswarner, ein Kreuzungs- oder Notbremsassistent können viel zur Verkehrssicherheit beitragen. Sie können Unfälle vermeiden helfen, die aufgrund von menschlichem Fehlverhalten passieren. Fakt ist, dass die Erfolge der letzten Jahre bei der Reduzierung der Verkehrstoten maßgeblich auf den Einsatz von Assistenzsystemen zurückzuführen sind. Viele Unfälle wurden verhindert oder die Folgen durch den Einsatz der passiven Sicherheitssysteme deutlich gemindert.
Und was heißt das jetzt für den Autofahrer?
Natürlich darf ich als Autofahrer aus all dem auf keinen Fall die Schlussfolgerung ziehen, dass ich mit mehr Risiko fahren kann, weil mich die Assistenzsysteme notfalls dann schon auffangen werden. Das wäre fatal. Jeder Verkehrsteilnehmer muss sich verantwortungsvoll verhalten, unabhängig davon, welche Sicherheitssysteme er an Bord hat.
Glauben Sie, dass autonom gesteuerte Fahrzeuge die Unfallzahlen reduzieren können?
Ich gehe davon aus, dass wir eines Tages, wenn wirklich der größte Teil der Fahrzeuge autonom gesteuert würde, noch einmal deutlich weniger Unfälle hätten und damit die Verkehrssicherheit deutlich gesteigert wird. Allerdings ist es bis dahin sicher noch ein langer Weg. Wenn wir nicht mehr Fahrer sind, sondern quasi als Passagier auf der Rücksitzbank Platz nehmen, dann haben wir es mit einer tiefgreifend veränderten Mobilität zu tun. Meiner Meinung nach wird das noch 20 Jahre dauern. Und auch dann sind noch viele Fahrzeuge unterwegs, die eben nicht autonom fahren. Kompliziert sind die Übergangszeit und die Entwicklung über das teilautonome Fahren, insbesondere was die gesetzlichen Rahmenbedingungen und haftungsrechtlichen Themen angeht.
Was bedeutet das eigentlich für die Fahrzeugüberwachung?
Alle Systeme, mit denen Fahrzeuge teilautomatisiert oder irgendwann einmal völlig autonom fahren, müssen im Rahmen der periodischen Fahrzeugüberwachung auch in Zukunft geprüft werden können, so dass sie dauerhaft und zuverlässig funktionieren. Dabei werden nationale und internationale Regelungen, die den Zugang für die Fahrzeugüberwacher zu den notwendigen Daten und technischen Informationen sicherstellen, entscheidend sein.