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Stuttgarter Boxweltmeisterin Alesia Graf will ihrer Sportart zu altem Glanz verhelfen – dazu muss sie aber erst ihren Titel verteidigen.

Stuttgart - Ein Autohaus also. Alesia Graf muss wieder von ganz unten anfangen. Vor 300 Zuschauern wird die 32 Jahre alte Profiboxerin an diesem Samstag (19.30 Uhr) ihren WM-Gürtel im Superbantamgewicht gegen Liliana Martinez aus Mexiko verteidigen. Im ausverkauften Mitsubishi-Autohaus Gratzke in der Ulmer Straße in Stuttgart gibt eine der besten Boxerinnen der Welt ihr Comeback in ihrer ehemaligen Heimat. Fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Nur ein einziger Fernsehsender überträgt live: Schwarzwald Regio TV. Keine Frage, es mutet alles ein wenig Provinziell an – und zeigt zugleich den niedrigen Stellenwert des Frauenboxens in Deutschland. Das hat allerdings mehrere Gründe.

Vor allem liegt es daran, dass es den Universum-Stall, der früher immer wieder Frauen unter Vertrag nahm, darunter Alesia Graf, Susi Kentikian und Ina Menzer, nicht mehr gibt. Der Hamburger Promoter hat im Oktober Insolvenz angemeldet. Und der letzte große deutsche Boxstall, Sauerland Event, setzt nicht auf schlagkräftige Frauen. „Bei mir werden nie Frauen ins Programm kommen“, sagte Winfried Sauerland 1995 nach einem blutigen Kampf der erst 18 Jahre alten Regina Halmich in Las Vegas. Zwar konnte der Seniorchef von Sauerland Event in Anbetracht des weiblichen Boxaufschwungs vor einigen Jahren das nicht ganz durchziehen, doch bis auf Dreifach-Weltmeisterin Cecilia Braekhus (Norwegen) gehört keine weitere Amazone zu seinem Stall.

„Das Frauenboxen hat hierzulande eine Zukunft“

Aber genau das ist für Alesia Graf das Problem: „Ohne Promoter, der das Fernsehen für Frauen-Veranstaltungen mitbringt, hast du als Boxerin kaum eine Chance“, sagt die gebürtige Weißrussin. Der Vorteil der TV- und Medienpräsenz: Es ergeben sich Synergieeffekte. „Mehr Zuschauer, mehr Sponsoren, mehr Aufmerksamkeit für die Sportart“, zählt Graf auf. Sie muss es wissen. Vor dreieinhalb Jahren wurde sie von Universum vor die Tür gesetzt. Was folgte, war eine Tingeltour der Tigerin durch die Welt. In Mexiko, in den USA, zuletzt in Australien – überall versuchte sie, die Fäuste ohne eigenes Management wieder hoch zu kriegen. Erfolglos. Ihre ersten beiden Niederlagen kassierte sie in dieser Zeit. Ihre makellose Bilanz bekam Dellen, ihr Marktwert sank, kein Promoter klopfte an.

„Dennoch hat das Frauenboxen hierzulande eine Zukunft. Das haben wir doch vor Jahren bewiesen, als bis zu 4,5 Millionen Zuschauer bei meinen Kämpfen den Fernseheingeschaltet haben“, meint Graf trotzig. Auch ihr Trainer Heinz Schultz ist davon überzeugt: „Alesia kann das schaffen. Wenn eine in Deutschland das Zeug dazu hat, dann sie“, sagt er im Brustton der Überzeugung.

Alesia Graf vermarktet sich selbst – das kostet Energie

Dazu müsste Grafs Selbstvermarktungstaktik, die sie zurück ins Rampenlicht bringen soll, aber aufgehen. Was unter sportlichen Gesichtspunkten gar nicht so einfach ist: „Das kostet neben dem Training viel Energie“, gibt sie zu. Denn alles läuft über ihren Schreibtisch. Werbung, Ticketverkauf, Organisation, Logistik. Sie ist die Chefin ihrer eigenen Firma und deshalb Hauptansprechpartnerin für sich selbst. Eine Vorbereitung in aller Ruhe? Undenkbar. Graf sagt: „Ideal ist das nicht.“ Und einfach auch nicht, wie unlängst Neu-Promoter Felix Sturm erfahren musste. Weil dem Ex-Weltmeister die männlichen Protagonisten für seine eigene Boxnacht in Düsseldorf absprangen, schickte er Susi Kentikian als hübsche Hauptattraktion in den Ring. Das Ergebnis: ein Niederschlag. Sat 1 hätte wohl mit Hallen-Halma genau so viele Zuschauer vor die Bildschirme gelockt wie bei der umstrittenen Punktniederlage des Boxflohs gegen Carina Moreno (USA).

„Das ist schade“, seufzt Alesia Graf. Schließlich weiß die amtierende WBF-Weltmeisterin nur zu genau, was ihrer Sportart zudem noch fehlt: eine Galionsfigur. Eine wie Regina Halmich. Nur: Viele deutsche Boxerinnen gibt es nicht mehr, die in Halmichs Fußstapfen treten könnten. Und die, die es schaffen könnte, darf an diesem Samstag vor allem eines nicht: im Stuttgarter Autohaus verlieren.